laut.de-Kritik

Vom G-Funk-Auswechselspieler zum Trap-Linksaußen.

Review von

In einem kürzlich erschienenen Interview sprach Nimo von einer Straßenrap-Renaissance. Und man kann tatsächlich nachvollziehen, was er damit meint, sieht man sich die aktuelle Welle an Newcomern zwischen 187 Straßenbande, Ufo361 und dem letzten Output von Haftbefehl an: Junge MCs, vorrangig aus Frankfurt, Hamburg, Bonn oder Berlin, die exzessiver auf Trap-Beats und Autotune zurückgreifen und den amerikanischen Instrumentalsound mit einer französischem Vocal-Delivery anreichern. Und all die Lucianos, Soufians und Enos machen dabei ordentlich Patte.

Kalim nimmt in diesem Spektrum eine eigenwillige Rolle ein, denn sein Come-Up fand noch weit vor dieser Welle statt. Das erste Mixtape "Sechs Kronen" veröffentlichte er im großen Wind der Alles-Oder-Nix-Ära, als er gemeinsam mit SSIO, Xatar und Schwesta Ewa eine Bastion des Westküsten-orientierten Oldschoolsounds im deutschen Straßenrap-Mainstream etablierte. Dieses Modell wurde nun durch besagte Renaissance verdrängt. Auf das G-Funkige "Sechs Kronen" folgte ein Debütalbum namens "Odyssee 579", das trotz Cosign mehrerer Kritiker eher unterging.

2017, neue Singles, neues Album: Titel wie "38" mit Gzuz und Gringo44 zeugen von einem Kalim, der inzwischen vorbehaltlos auf dem Trap-Film angekommen ist. "Thronfolger" titelt das neue Werk, das auch Zeiten, in denen der Labelchef reihenweise Trap-Rapper signt, standhalten soll. Was zunächst recht opportunistisch und reaktionär wirkt, funktioniert in der Umsetzung aber besser als erwartet: "1994", ein atmosphärisches Intro, verspricht ambitionierten und subversiv reflektierten Trap mit einem äußerst kompetenten MC am Steuer – und Tatsache, das Tape macht handwerklich einiges richtig.

Der stärkste Pfund liegt in den Instrumentals, die zwar fast durchgehend auf klassischen, unspektakulären Trap-Drums fußen, dabei aber vielfältige und farbenfrohe Samples und Synthesizer auf das 808-Gewummer zimmern, die das Tape über die zwölf Titel lange Spieldauer durchaus frisch und interessant halten. Ob eine bedrohlich schiefe Piano-Line auf "Loco", flackernde, urbane Bells auf "6LITA" oder ein sphärischer, treibender 8Bit-Synth auf "38" - weder die klanglichen Texturen noch die Melodien fühlen sich zu generisch an. Ein wichtiger Pluspunkt eines Tapes, das sich musikalisch irgendwo zwischen Future und MHD einordnen lassen könnte.

Kalim selbst gibt ebenfalls Anlass, ihm mit diesem Projekt eine unerwartete Ambitioniertheit zu unterstellen. Seine Flows kommen druckvoll, variieren zwischen authentisch und verstrahlt melodisch oder energetisch nach vorne, manchmal geradlinig, manchmal mit prägnanten Trap-Patterns. Das größte Versäumnis aber ist, dass in all dieser gelungenen Adaptionen wenig eigene Identität aufflackert. Er bleibt über Albumlänge in der Rolle eines guten Schülers, der kompetent verschiedene Flows drauf hat und verschiedene Soundbilder authentisch zitiert, aber am Ende des Tages doch keine besonders einzigartige, individuelle Vision hergibt.

Diese zeigt sich noch am ehesten in einem der ungewöhnlichsten Momente auf "Thronfolger", als Ace.Tee auf "Bis um 4" auftaucht, um aus dem Nichts einen BoomBap-lastigen 90er-Throwback inklusive Biggie-Referenz und Oldschool-Flow zu kredenzen. An sich eine schöne Sache, man spürt sogar förmlich Kalims Begeisterung für das Material.

Die Frage bleibt hier: Warum wird dieser Stil nicht ins Gesamtkonzept der Platte integriert? Warum dieser eine, im Prinzip deplatzierte G-Funk-Track, der sich stilistisch sonst nirgends auf der Platte wiederfinden lässt? Auch wenn man Kalim nicht vorwerfen will, einen Moment der Vielfalt einbinden zu wollen. Der Track eröffnet vielmehr den Gedanken, was gewesen wäre, wenn er sich tatsächlich um einen musikalischen Crossover bemüht hätte. Ein deutsches Trap-Tape mit sichtbarem G-Funk Einschlag? Verdammt, das hätte fantastisch sein können.

Die ganze Kompetenz und Qualität retten sich auf etwas zu beliebige Allgemeinplätze. Manche Tracks sind grimmige Straßenbanger wie "Tresi" oder "38", manche ziehen mehr Einflüsse aus Cloud-Gefilden wie die von Trettmann oder Bausa unterstützten Nummern "Glitz&Glamour" und "Heimgehen". Hier und da hört man den Input der 187-Gäste Gzuz und Maxwell heraus.

Aber wer dieser Kalim über den klassischen deutschen Gangster-Kanon hinaus wirklich ist, weiß ich am Ende von "Thronfolger" immer noch nicht so recht. Schade, denn da schimmert zwischen dem verdammt kompetenten zeitgenössischen Deutschrap-Album immer wieder ein wesentlich interessanterer Kerl durch als allein ein handwerklich versierter Trapper mit guten Beats. Aber das ist ja auch schon ziemlich viel.

Trackliste

  1. 1. 1994
  2. 2. Loco feat. Xatar
  3. 3. Tresi feat. Luciano
  4. 4. 38 feat. Gzuz & Gringo44
  5. 5. Glitz & Glamour feat. Trettmann
  6. 6. Heimgehen feat. Bausa
  7. 7. Lila Regen
  8. 8. Bis um 4 feat. Ace Tee
  9. 9. 6lita feat. Maxwell
  10. 10. Kodex
  11. 11. canim (Skit)
  12. 12. VVV

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10 Kommentare mit 5 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Kalim leider immer noch ohne den Hak der im zusteht. Der sollte musikalisch zurück zu 6 Kronen. Auf Trap versinkt er im soliden Mittelmaß.

    • Vor 7 Jahren

      Fand ja schon Odyssee nicht so prall, aber das hier wirkt einfach weitgehend lieblos hingeklatscht. Vor 6 Kronen hat er ja auch nen etwas düsteren Stil gefahren, der auch gut zu ihm gepasst hat, aber hier ist halt (fast) alles so 08/15.

  • Vor 7 Jahren

    Hab 6 Sechs Kronen sehr gemocht. Das Nachfolgealbum hab ich erst gestern das erste mal gehört, war eine gelungene Symbiose aus Sample und 808. Nun beim dritten Longplayer ist fast nichts mehr übrig vom früheren Charme. Die Flows sind in die ziemlich austauschbaren Beats gepresst. Klingt mir alles zu lieblos und riecht hart nach Trendreiten. Ich hasse Trendreiten.

    2.5/5

    Favorit: "VVV"

    Oddysey > 6 Kronen > Thronfolger

  • Vor 7 Jahren

    Song 1-5 gehen hier echt super klar, aber danach haben wir die ultimative Mischung aus "Kann weg" bis hin zu "Ehhh, geht wohl fit". Bis auf den Closer natürlich, der ist wirklich klasse. Das war mit Abstand die größte Enttäuschung des Jahres, besonders da ich die Oddyssee wirklich sehr, sehr gerne mochte. Ich seh den Grund dafür in dem kurzen Abstand zwischen den Alben. Der Junge sollte sich lieber wieder zwei Jahre eine Pause gönnen, und dann mit einem durchgängig gutem Album wiederkommen. Denn wenn ich einen Rapper wirklich nicht in diesem Einheitssumpf versinken sehen möchte, dann ist das Kalim. Ist ja jetzt auch keine schlechte Platte per se, aber dafür einfach unglaublich eintönig und nicht besonders genug.

    Möchte aber trotzdem anmerken, dass Tresi, 38 und VVV schon echt fette Bretter sind, da kann ich wirklich nicht rummeckern. Wenn er diese Schiene das Album über durchgezogen hätte, wäre das besser gewesen. Just saying.

    3,5/5

  • Vor 7 Jahren

    Hör wohl heute mal bisschen in das Teil

  • Vor 7 Jahren

    Leider kein Vergleich zu Odyssee579. Hat seine Eigenständigkeit aufgegeben und sich in die Masse der jungen Trap-Bauchtaschen-Versager eingereiht, auch wenn er in der Reihe recht weit vorne steht...

  • Vor 7 Jahren

    so..auch hier hatte ich wieder ein seltsames EP-Gefühl

    Manche Tracks sprühen vor Power und Rawness. "Loco", "6lita" oder "Tresi" sind richtig raubeinige Hits, die einem aufzeigen warum man Street-Rap so gerne hört. "Glitz & Glamour" verkörpert wohlige Entschleunigung und das kratzige "VVV" als sinnierender Closer wirkt auch nach.

    "38" und "Heimgehen sind grundsolide, aber ohne größere Überraschungen, das Intro "1994" baut eine gewisse Erwartungshaltung auf und kann dies in der Folge anhand der erwähnten Tracks auch umsetzen

    Was allerdings dann wieder störend wirkt, sind alle Versuche dieses Konzept zu verlassen: "Kodex" klingt nach ausgelutschter Fler-Nachahmung, "Lila Wolken" versinkt im öden Trapbrei, "Bis um 4" ist eine langweilige Pseudochill-Nummer die ein Mosh mit "Legalize Pot" um Längen besser hinbekommen hat, der Skit ist belanglos und das Album insgesamt sonderbar kurz

    Hier hätte man entweder etwas Feinschliff walten lassen müssen oder eben nicht auf aktuelle Trends aufspringen, sondern sein klares Konzept konsequent durchziehen. So hab ich ein eigentlich brauchbares Album mit einigen unschönen Fillern. Als EP hätte es dann besser gewirkt oder eben dann mehr vom Format eines "Loco" oder "VVV", denn beide Tracks, obwohl so unterschiedlich im Soundbild, harmonieren richtig gut miteinander und hier ist die Street auch fühlbar