laut.de-Kritik

Western aus der Irrenanstalt.

Review von

Die mit dem Albumtitel bezeichnete Klapse war seinerzeit die erste Einrichtung für sozial schwächer gestellte Menschen mit Dachschaden. Auf dem Cover mimen die Engländer, gehüllt in Gewänder mehr oder minder bekannter Personen, die Insassen. So glotzen uns Napoleon und ein x-beliebiger Geistlicher durch einen Spiegel an. Mit diesen Impersonifikationen vergleichbaren stilistischen Eklektizismus legen die Mannen um Hauptsongwriter Sergio Pizzone musikalisch an den Tag.

Dessen Namensanalogie zu Ennio Morricone, als Komponist zuständig für die auditive Untermalung zahlreicher Western, basiert nicht nur auf der italienischen Herkunft. Morricones Geist in Pizzones Gedanken verleiht vielen Tracks eine typische Western-Note.

Oft werden die Melodien von einem Kinderchor wie im Fieberwahn gedoppelt. Dazu kommt der gemächliche, orchestrale Aufbau: Dezente Einsprengsel von Glockenspiel, Kettenrasseln, Vinylknistern und süffige Synthiesounds verleihen den Songs zusätzlich einen filmmusikalischen Anstrich. Zusammengehalten wird der Reigen durch die für Kasabian typische Kombination aus Dance und Punk.

Das trockene Schlagzeug rumpelt wie eh und je, Pizzone lässt zahlreiche simpel strukturierte Punkriffs im Noisegewand vom Stapel, scheut sich nicht vor Ausflügen in Mariachi-Gefilde. Der Bass pumpt die Achtel wie von Sinnen, und ganz die Soundforscher ist dem Quartett kein Schlenker zuviel, keine Melodie überflüssig. Eine chromatische Abfahrt ins Land der Balkan Beats, psychedelische Klangcollagen, alles scheint wie von Geisterhand miteinander verwoben.

Richtig geil gerät das von einem mächtigen Riff, einem coolen Gitarrenlick und der unwiderstehlich groovenden Rhythmussektion angetriebene "Fast Fuse" - textlich eine Huldigung der "Schnell leben und jung sterben"-Einstellung. Bei "Vlad The Impalter" schält sich aus einem chaotischen Beginn ein in die Rhythmik gezwängtes Riff heraus, das vor Energie zu bersten droht. Hochexplosiv: Das mit einem Bläsersatz beginnende "Take Aim". Serge schraddelt auf einer alten, rostigen Klampfe im unsicheren Grenzgebiet zwischen Dur und Moll.

In "Ladies And Gentleman" vernimmt man förmlich das erotisch gehauchte Gainsbourgsche "Je T'aime". Assoziativ und herrlich anachronistisch bis zum Anschlag, aber in einen Kontext verpackt, der dieser Melange erstaunlich viel Frische abgewinnen kann. Und tanzbar ist es allemal, falls die Sperrigkeit und Soundwülste zwischendurch überfordern. Noch einen Gospel zum Abschied, ein wenig Spiritualität nach all dem nihilistischen, schaurigen Klängen, denken sich Kasabian, und weisen mit dem abschließenden "Happiness" den Weg zur Himmelspforte.

Kasabian bauen eine individuell und schräg klingende Soundlandschaft, die stark polarisiert und auf Abgrenzung setzt. Allerdings sind die Songs unter der Fassade eher minimal gestrickt, folgen einfachen Schemata, was Harmonien und melodische Gestaltung betrifft. Effekthascherei oder Klangreichtum, philosophierende Eremiten der Musik mit oder großspurige Wahnsinnige, die ihre Visionen aus einem Elfenbeinturm herausposaunen? Ja und Nein. Let's call it der Einfachheit halber unberechenbar und äußerst interessant.

Trackliste

  1. 1. Underdog
  2. 2. Where Did All The Love Go?
  3. 3. Swarfiga
  4. 4. Fast Fuse
  5. 5. Take Aim
  6. 6. Thick As Thieves
  7. 7. Sans Soleil
  8. 8. Vlad The Impaler
  9. 9. Ladies And Gentlemen (Roll The Dice)
  10. 10. Sakura Sakura
  11. 11. Fire
  12. 12. Happiness

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Kasabian

Leicester? Was? Ich kenne nur Manchester. Naja, so falsch liegt man da - abgesehen vom Geographischen - bei Kasabian auch gar nicht. Mit 'Madchester' …

22 Kommentare

  • Vor 15 Jahren

    ziemlich geiles album.

    für mich auch das beste kasabian album.
    bei den ersten hören wirkt es sehr konfus und noch nicht überzeugend, aber mit jedem mal mehr hören wird es immer besser.
    die sounds machen sogar fast süchtig, dass man nur schwer wieder los kommt.
    auf jeden fall eine sehr gute abwechslung zu dem standard kramm, den man in letzter zeit so hört.

  • Vor 15 Jahren

    Mir isses persönlich zu verkopft. Und stellenweise macht es Zahnschmerzen. Trotzdem schön, wenn es gefällt.

  • Vor 15 Jahren

    Ich muss sagen, ich finde das Album richtig geil! Anfangs noch etwas verworren, wenn man sich aber reingehört hat macht es fast süchtig. Es strotz nur so vor Abwechslung und man kann es von vorne bis hinten durchhören, weil kein Song merklich abfällt.

    Chapeau die Herren Kasabian, tolle Leistung