laut.de-Kritik
Setzte Maßstäbe in Sachen Opulenz und Bombast.
Review von Kai ButterweckJeder dritte Rockstar jenseits der 35 hat sich wenigstens einmal in seiner Jugend als Demon, Starchild, Spaceman oder Catman verkleidet. Egal ob Tom Morello, Rivers Cuomo, Dimebag Darrell, Kurt Cobain, Bela B. oder Lenny Kravitz: Sie alle drehten Mitte der siebziger Jahre am Rad, als sich vier Jungs aus New York die Gesichter anmalten, die Haare toupierten, sich in kiloschwere Plateau-Boots zwängten und auf der Bühne plötzlich Feuer und Blut spuckten.
"You wanted the best, you got the best! The hottest band in the world: Kiss!", dröhnt es auch heute noch, fast vierzig Jahre nach Bandgründung, vor jedem Konzert der Combo durch die Hallen-Lautsprecher.
Man mag von der Band halten, was man will, gerade aufgrund ihres pompösen Gehabes auf und neben der Bühne, aber letztlich kommt auch der größte Kritiker nicht drum herum, dem Quartett einen musikalischen Einfluss auf die nachfolgenden Generationen zu bescheinigen, der dem von Bands wie AC/DC, Queen oder den Ramones in nichts nachsteht.
Das für viele Anhänger größte und einflussreichste Juwel innerhalb der Band-Diskografie erblickte am 15. März 1976 das Licht der Welt und wurde auf den Namen "Destroyer" getauft. Nach den ersten drei Studio-Alben, die sich nur schleppend verkauften, ging es der Band darum, den theatralischen Urknall ihrer Live-Shows auf Platte zu bannen. Der kommerzielle Erfolg des sechs Monate zuvor veröffentlichten ersten Live-Albums der Band "Kiss Alive" diente den Verantwortlichen als Messlatte für "Destroyer".
Erstmals nahm die Band beim Songwriting Hilfe von außen in Anspruch und bediente sich der Talente von bereits etablierten Songschreibern wie Bob Ezrin, Kim Fowley und Mark Anthony. Ezrin zeichnete zudem als Produzent verantwortlich und die Band begab sich im Sommer 1975 ins New Yorker Record Plant Studio, wo sich im Januar 1976 die letzten Knöpfe drehten. Das Ergebnis: Neun Songs, die in ihrer Gesamtheit im Bereich Hardrock den Maßstab in Sachen Opulenz und Bombast neu definierten.
Mit dem Uptempo-Rocker "Detroit Rock City", dem grollenden Stampfer "God Of Thunder", der Stadion-Hymne "Shout It Out Loud" und der schmachtenden Piano-Ballade "Beth" präsentierte das Quartett vier Songperlen, die (abgesehen von "Beth") heute noch zum Standardprogramm einer jeden Ü-30er-Hardrock-Party zählen.
Es gibt bis zum Hier und Jetzt nur wenige Konzerteröffnungen, die es mit der krachenden Symbiose aus "Detroit Rock City" und "King Of The Night Time World" aufnehmen können. Den Beweis dafür lieferten Kiss eineinhalb Jahre später auf ihrem zweiten Live-Output "Kiss Alive II".
Kein Kiss-Song passt dermaßen maßgeschneidert auf Gene Simmons' Demon-Alter Ego wie "God Of Thunder" und kaum eine Anhängerschaft vermag es mit der stimmgewaltigen KISS-Army aufzunehmen, wenn diese drei Minuten lang "Shout It Out Loud" brüllt.
"Destroyer" lässt sich in drei Hälften unterteilen: Zwischen dem donnernden Beginn und dem nicht minder feudalen Ende des Selbstinszenierungs-Rockers "Do You Love Me" fällt der Mittelteil mit zwar solidem, aber nicht bahnbrechendem Hardrock-Handwerk etwas ab. Vor allem die Halbballade "Great Expectations" tut sich im Vergleich zum Rest des Materials schwer.
Dennoch gilt "Destroyer" nicht nur bei eingefleischten Jüngern des Vierers als stimmigstes und authentischstes Werk innerhalb der opulenten Band-Diskografie. Selbst die Protagonisten werfen immer wieder den Blick zurück ins Jahr 1976, wenn es darum geht, den ultimativen Kiss-Sound zu beschreiben. Seit dem '92er-Werk "Revenge" versuchen Kiss bekanntlich händeringend, eine Brücke zwischen "Destroyer" und der Neuzeit zu schlagen.
Selbst die immer noch zahlreiche Langzeit-Gefolgschaft muss sich dabei eingestehen, dass dieses Vorhaben bis zum heutigen Tage noch nicht von Erfolg gekrönt war. Aber was solls, manche Errungenschaften stehen halt gern für sich allein. Und "Destroyer" steht heute noch: Felsenfest, unantastbar und richtungsweisend.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
28 Kommentare mit einer Antwort
Oh Mann, warte noch auf einige tolle Meilensteine... und dann KISS.
Wahrscheinlich bin ich ein Ignorant, aber mit dieser Band konnte ich einfach noch nie etwas anfangen.
Den popkulturellen Nährwert werde ich kaum erahnen können und ich weigere mich auch weiterhin, ein Album von ihnen zu kaufen.
@jenzo: Genau das wollte ich auch schreiben....wieder mal zu langsam....
@jenzo: dem ist nichts hinzuzufügen...
Detroit Rock City ist ein absoluter Gänsehautsong... wenn er mir auch live besser gefällt.
Ich mag die Clowns ja an sich auch ganz gern, und in Sachen Vermarktung haben sie wirklich Massstäbe gesetzt, aber ihnen einen ähnlichen musikalischen (!) Einfluss wie Queen oder AC/DC zu attestieren? Ba Dum Tsss
Na ja, Kiss. Ist wie die Entscheidung zwischen Beatles oder Stones. AC/DC sind mir immer näher und authentischer gewesen und Bon Scott ist eine Liga für sich. Höre mir gerade nebenbei Destroyer an. Das soll ein Meilenstein sein? Na ja, jeder nach seinem Geschmack. Great Expectations ist sowas von falsch gesungen. Einfach gruselig. Der Rest ist guter Poser Rock. Durchschnitt und mehr nicht. Egal. Jeder hat eben ein anderes Musikverständnis. Meins ist es nicht. Angemalte Larven sind bei King Diamond besser aufgehoben.