laut.de-Kritik
5 vor 12: Das Geisteralbum darf endlich erscheinen.
Review von Michael Schuh"Witching Hour", "Geisterstunde" - prophetischer hätten Ladytron bei der Titelwahl ihres neues Studioalbums vor zwei Jahren kaum vorgehen können. Damals noch beim Branchenriesen Island/Universal unter Vertrag, hoffte das Quartett, die nach zwei Alben und euphorischen Publikumsreaktionen allerorten eingefahrenen Meriten endlich in barer Münze ausbezahlt zu bekommen.
Stattdessen folgte wahrhaftig ein Geister-Release, denn außer in England kam das Teil fast nirgendwo regulär in die Regale, sondern konnte nur als Import bestellt werden. Der Grund: Nachdem schon die Veröffentlichung in England von Komplikationen begleitet war, untersagte die Band dem Label den Vertrieb in Resteuropa. Dass sich ein Plattenlabel wie Island nicht einfach so herum dirigieren lässt, dürfte logisch sein. Der Bitte um Lizenzfreigabe kam das Label dann auch mit breitestem Grinsen nach: Allerdings erst zwölf Monate nach der Anfrage.
Ein Bohei sondergleichen, der für die Liverpooler um so ärgerlicher gewesen sein muss, da die neuen Stücke noch eine Spur eingängiger, also durchaus Majorlabel kompatibel ausgefallen sind. Nun ja, noch ist ja 5 vor 12: Das witzigerweise Major Records betitelte Mini-Label aus Hamburg unterbrach für das vor kurzem erfolgte Ladytron-Signing seine Promo-Aktivitäten für Boytronic und X-Perience und bläst "Witching Hour" nun sowohl als Einzel- als auch Doppelalbum heraus.
Hier wurde dankenswerterweise angemessen auf einen Mehrwert gegenüber längst erhältlichen Tracks geachtet, so dass man mit den acht Songs der Bonus-CD nun auch Schmankerl wie den der Live-Version nahe kommenden James Iha-Remix von "Weekend" erhält. Außerdem dabei: die Non Album-Tracks "Nothing To Hide", "Tender Talons" und "Citadel" (vom 2006er US-Release "Extended Play") und ein paar weniger spannende Remixes. Wenn man Alben mit zweijähriger Verspätung bespricht, lässt sich aber wenigstens zweifelsfrei über deren Haltbarkeit philosophieren, und in diesem Punkt schneidet "Witching Hour" außerordentlich gut ab.
Nicht nur belegen die "neuen" Songs die mittlerweile ungeniert zum Rock tendierende Live-Dynamik des Quartetts, sie könnten auch ohne Weiteres gerade frisch dem Aufnahmestudio entfleucht sein. Heraus ragen hier die Hits "High Rise", "Destroy Everything You Touch" und "Sugar", die mit alten Synthie Pop-Glanztaten der Marke "Playgirl" und "Seventeen" locker mithalten. Die gerne molllastigen Zwischentöne und Freak-Outs hat die Band deshalb nicht ad acta gelegt: "International Dateline" ist eines der düsteren Juwele der Band, in "Soft Power" kämpft eine zarte Melodie gegen analoges Dauerwummern an, und Nachhilfe in bulgarisch erteilt Mira Aroyo wie immer selbstlos und etwas unnötig in "Fighting In Built Up Areas".
Die frisch gewonnene Zuneigung der Band für druckvollen Synthie-Rock belegt auch das späte Highlight "Whitelightgenerator", bevor "All The Way" die Vorstellung als eine Art Wiegenlied sanft beschließt. Ähnlich den Kolleginnen von Client befinden sich zwar auch Ladytron mehr denn je auf der Suche nach der perfekten Synthie-Pop/Rock-Symbiose. Auf ihrem Weg dorthin, der ihnen bereits Amerika als treue Fanbasis sicherte, konnten die Vier von der Merseyside lästige Soundvergleiche allerdings lockerer abschütteln und sind bereits zu einer eigenen Referenzgröße erwachsen. Das Konzept bleibt spannend, am Nachfolger wird ab Sommer 2007 gebastelt.
1 Kommentar
Coole Rezi!!
Schade dass bei euch nicht das neue Album von X-Perience besprochen wurde, oder die beiden "elektrisch!"-Sampler. Ist auch alles bei Major Records erschienen.