laut.de-Kritik
Soundtrack für die Herbstdepression.
Review von Luca WisnagrotzkyDie zweite Platte nach einem gefeierten Debüt ist bekanntlich eine schwere Geburt. Der Nachfolger muss sich meist mit zu hohen Erwartungen und erdrückenden Vergleichen zum Vorgänger messen - Erstgeborene und Einzelkinder setzen an dieser Stelle ein Partyhütchen auf. Das lustige Party-Utensil gebührt in diesem Falle "If You Wait", dem mit Doppel-Platin ausgezeichnetem erstem Studio-Album von London Grammar.
Das zweite Erzeugnis der britischen Dream-Pop-Band führt den minimalistischen Faden von "If You Wait" weiter. Und zwar gekonnt, doch viele orchestrale Ausbrüche und große Überraschungsmomente darf man auf "Truth Is A Beautiful Thing" nicht erwarten. Die Instrumentierung besticht, wie schon bei seinem Vorgänger, durch Einfachheit und spärliche Einsätze der Gitarre, Synthesizer, manchmal auch Klavier. Oft wünscht man sich bei dieser Platte den großen Knall, schlussendlich bleibt es aber eigentlich immer bei einem angenehmen Schweben auf der sparsamen Instrumentierung.
Als Produzenten wagten sich Paul Hopkins, der schon Adele produzierte, Greg Kurstin (Sia, Tegan & Sara) und Jon Hopkins (Coldplay, Purity Ring) an das Trio. Glücklicherweise klingt hier nichts überproduziert, wobei überkandidelter Bubblegum-Pop London Grammar auch nicht sonderlich stehen würde - trotz Hannah Reids wirklich bemerkenswerter Stimme. Die Sängerin war und ist der Kern von London Grammar, das ganze Album baut auf den Einsatz ihrer eleganten Vocals.
Da sind wir auch schon beim Knackpunkt: Kann ein Album wirklich nur von der Stimmgewalt einer Sängerin getragen werden? Ja und Nein. Die Lead-Single "Rooting For You" macht es vor: Klanglicher Minimalismus, typische, in Teenage Angst gebadete Zeilen wie "I'd like to always love you, but I'm scared of loneliness when I'm alone with you". Wo man an einigen Stellen im Song schön dramatisch etwas aufziehen könnte, zieht die Gitarre nur sparsam hinterher und dient hauptsächlich als Unterstützung für Hannahs Vocals. Diese sind natürlich sehr respektabel, die Sängerin greift sämtliche Tonhöhen auf. Trotzdem - da fehlt etwas.
Auf dem Folgetrack "Big Picture" hingegen baut sich langsam etwas auf, zum großen Soundgerüst reicht es allerdings nicht. Die kurzen, wabernden Bässe sind trotzdem ein Kleinod für die Ohren, endlich hört man auch verhaltene Drums. Das Drum-Gefüge wird in Tracks wie "Bones Of Ribbon" weitergeführt, bei "Non Believer" werden diese durch pluckernde Elektro-Drums ersetzt und bringen frischen Wind in die Platte. Dieser Track wirkt im späteren Verlauf eher austauschbar, gerade im Refrain. Auch das Ende wirft Fragen auf. Da wird Hannahs Stimme Imogen-Heap-mäßig durch einen Vocoder gejagt - manche Dinge sollte man besser sein lassen.
Highlights bilden Songs wie "Hell To The Liars", das durch seine dröhnenden Synthies heraus sticht und gegen Ende einen wunderbar apokalyptischen Charakter bekommt. Wer die Wunderkinder von Hundreds mag, wird auch hier ein paar kleine Freudentränchen verdrücken.
"Wild Eyed" besticht durch den gut eingebauten Einsatz des Klaviers, der Song ist, wie alle Tracks der Platte, nicht aufdringlich und vergleichbar mit früheren Titeln der Band - "Metal & Dust" oder "Hey Now". Laut Keyboarder Dot Major expandierte die Band auf der neuen Scheibe in Richtung kinematographischer Inszenierung. Das stimmt bedingt, für einen Film-Soundtrack sind einige Songs perfekt, andere fließen einfach wieder zu schnell aus dem Kopf, wie beispielsweise die Tracks "Who Am I" und "Everyone Else".
Gegen Ende der Platte erlebt man noch mal einige filmische Klavier-Momente. "Leave The War With Me" wartet mit depressiv-anmutenden Textpassagen wie "Judgement's gone, and there's no love again / but it's my way, till the end of time / Where do we go? I'm leaning towards losing my mind, and I'm feeling no more" auf - nur, um direkt im nächsten Satz doch noch mal eine Prise Optimismus zu streuen: "Better leave that war with me". Auch der Titeltrack zum Album kommt fast ausschließlich mit einem Klavier aus und zeigt sich als typische Ballade.
Als Soundtrack für ruhige Stunden oder die obligatorische Herbstdepression funktioniert "Truth Is A Beautiful Thing" recht gut. Im Vergleich zum Vorgänger passiert hier so gut wie nichts Neues, es ist eine schöne, logische Fortführung und greift mit manchen Titeln gekonnt in die Soundtrack-Kiste. Allerdings vermisst man auf dem Zweitling ein paar erfrischende, musikalische Höhepunkte, gerade bei einem Track-by-Track-Durchhören. Wer sich also die besten Songs rauspickt, wird mit "Truth Is A Beautiful Thing" zufrieden sein.
9 Kommentare mit 15 Antworten
Dem Satz mit dem "großen Knall" kann ich nur zustimmen. Auch ich hätte an manchen Stellen gern mehr Wumms gehört bzw. mal einen echten Uptempo-Track
Aber wie schon Adele gehen auch LG auf Nummer sicher, um nicht irgendwie anzuecken oder unecht zu wirken.
Ein wenig schade, aber allemal ein solider Langspieler!
Ich habe beim Durchören auch auf den zündenden Funken gewartet. Die Stimme reißt ne Menge raus, aber teilweise wirkt das Album einfach monoton. Aber vllt. braucht es noch etwas.
Ich wuerde immer noch sagen, diese Hannah hat die abgefahrenste Stimme im aktuellen Popgeschaeft und waere mit ihrem banshee wailing auch auf Lilith Fair damals ganz obenauf gewesen. Da kann kaum eine mithalten.
So beruehrend wie den Vorgaenger finde ich das hier aber (noch?) nicht. Vielleicht auch die falsche Jahreszeit.
Geht mir ähnlich. Wundervolle Stimme. Album ist schön und sehr homogen, packt jedoch (noch) nicht so wie der Vorgänger.
Tipp: Letzter Track der Deluxe-Version mit schöner Adaption von "bittersweet symphony".
Die Genrefremden mal wieder im Auskenner-Modus.
Du willst mich jetzt hier aber nicht allen Ernstes als genrefremd bezeichnen, so tun, als haettest du jemals etwas vom Lilith Fair-Festival gehoert und dich gleichzeitig mit mir in Sachen Hip Hop-Auskennung anlegen, oder? Ich denke, das wuerde sich hier keiner ernsthaft wagen.
Aber ansehen würd ich es mir gerne.
Wo hab ich denn behauptet, dass ich IRGENDWAS von diesem Lilith Fair Festival wissen würde?
Hab das mal gegoogelt, wie kommst du drauf, das mich das überhaupt interessieren würde?
Was das Thema Genrefirmheit angeht, hab ich hier vor ziemlich wenigen Typen "Angst" (lol), auch vor Dir nicht, liebster Baude.
Ohne El Timo dreht der Ochs hier in der Manege wild!
Mundi betätigt sich mal wieder als Grabschänder.
Erstes Querhören eher ernüchternd. Scheint so, als wichen sie nicht eine handbreit vom Konzept des Debüts ab. Auf der Habenseite natürlich die unglaublich talentierte und schöne Sängerin.
Im Vergleich zum Erstling tatsächlich etwas schwächer. Dennoch finde ich gerade durch die reduzierte Instrumentierung ohne viele Ausschläge erzeugt das Album eine tolle Stimmung! LG sind ja aber auch nicht angetreten um bei der neuen Platte Tracks "die nach vorne gehen" zu Produzieren...
Im Vergleich zum Erstling tatsächlich etwas schwächer. Dennoch finde ich gerade durch die reduzierte Instrumentierung ohne viele Ausschläge erzeugt das Album eine tolle Stimmung! LG sind ja aber auch nicht angetreten um bei der neuen Platte Tracks "die nach vorne gehen" zu Produzieren...