laut.de-Kritik
Teenage Angst und elektronischer Minimalismus.
Review von Andrea TopinkaDer Erwartungsdruck hätte mal wieder kaum größer sein können: Der Hype um das Trio London Grammar wollte nicht mehr abreißen, nachdem die Briten Ende des letzten Jahres mit ihren ersten beiden Tracks "Hey Now" und "Metal & Dust" für Begeisterung gesorgt hatten. Zu keiner Band wurde mehr gebloggt, Disclosure holten sich für ihr gefeiertes Debüt Unterstützung von Sängerin Hannah Reid, und die britischen Wettbüros sahen in ihnen bereits die Sieger beim diesjährigen Mercury Prize. Auf die Shortlist der Nominierten schaffte es "If You Wait" am Ende allerdings nicht. Ein kleiner Dämpfer.
Was keinesfalls etwas über die Qualität ihres Erstlings aussagt. Denn statt einen verhunzten Schnellschuss hinzulegen, um ihre 15 Minuten Internet-Fame auszunutzen, nahmen sie sich bei den Aufnahmen die Zeit, die sie brauchten. Insgesamt 18 Monate lang arbeiteten sie an ihrem Album und holten sich zur Unterstützung während des Prozesses ein hochwertiges Team (unter anderem Produzenten von Richard Ashcroft und Grammy-Gewinner Tom Coyne) an Bord.
Entfernte Anhaltspunkte, um "If You Wait" einzuordnen, bieten zum einen The XX durch die gemeinsame Vorliebe für elektronischen Minimalismus in den Arrangements, zum anderen Florence Welch, da Hannah Reids Gesang dem der Frontfrau von Florence And The Machine in seiner Ausdrucksstärke ähnelt. Genüge getan ist dem Downbeat-Pop London Grammars durch diese Referenzen allerdings lange nicht.
Ohne Frage steht und fällt ihr komplettes Schaffen mit Frontfrau Reid. Um ihre wunderschöne Soprano-Stimme herum baut sich die komplette Platte auf, gewährt ihr stets genügend Platz, ihren unheimlichen, von Schwermut geplagten Zauber zu entfalten. Deswegen untermalen Dot Major und Dan Rothman die Lyrics größtenteils nur mit zurückhaltende Gitarren, sanftem Piano, schweren Streichern oder verschwommenen Beats. Der gut dosierte Einsatz von Hall-Effekten in Instrumental- und Vocal-Parts macht die emotionsgeladene Heimsuchung perfekt.
Es sind Ausläufer der Teenage Angst, aber auch noch existenziellere Befürchtungen, mit denen sich Reid, wie so viele andere Künstler unter 25, in ihren Texten auseinandersetzt. Ein Zeitgeist, den sie in einem Interview mit dem Guardian so umschrieb:
"Ich habe im Moment viele Freunde, die wirklich verloren sind. Wir konnten zur Uni gehen und haben eine gute Ausbildung, aber finden uns in einer Situation wieder, in der es unmöglich ist, Jobs zu finden und wir sind verängstigt. So viele Leute, die ich kenne, wissen nicht, was sie mit ihrem Leben machen sollen."
Der schon im Titel bezeichnende Song "Wasting My Young Years" setzt sich mit der Thematik auseinander, anrührend verletzlich vorgetragen im Mantel einer Piano-Ballade mit schwach treibenden Beats: "Don't you know that it's only fear / I wouldn't worry, you have all your life / I've heard it takes some time to get it right".
Neben Identitätskrisen verarbeiten London Grammar Liebe und vor allem Herzschmerz. Im Titeltrack "If You Wait" bespielsweise überwältigen Reid Selbstzweifel und niederschmetternde Ernüchterung, die gescheiterte Beziehungen mit sich bringen: "And to find just one other seems to be the goal of everyone / From the search to the hurt I believed I could take on you / We would drink, we would dance and you would watch me whenever you want / And can you give me everything, everything, everything? / 'Cause I can't give you anything". Am Ende schimmert dennoch matt etwas Hoffnung durch: "If you wait, I will trust in time that we meet again"
Mit "Nightcall" wagen London Grammar ein mutiges Cover: Kavinskys Hit zum Film "Drive", der im Original mit der vollen Ladung 80er Elektro-Beats die Geschichte eines Zombies erzählt, der nach seiner Wiederauferstehung seine Liebste anruft, interpretieren sie meisterlich um. Das Zwiegespräch verwandelt sich in den nächtlichen Wehmutsanflug einer jungen Frau mit gebrochenem Herzen. Die Version beginnt als vom Klavier getragene Ballade, ehe sich verhältnismäßig kräftige Gitarrenbegleitung erhebt und Reid von einem Männerchor unterstützt wird, was im Übrigen trotz ihrer gesanglichen Klasse für interessante Abwechslung sorgt.
"Metal & Dust" und "Flickers" stechen gegen Ende hin heraus. Ersteres, weil es sich mit klackernden Beats und verspielten Synthies in Richtung Club neigt, Letzteres, indem es den kühlen Minimalismus der Produktion durchbricht und durch Klatschen, nervöses Trommeln und den erneuten Einsatz männlicher Vocals fast wie ein ungeordneter Jam wirkt. Der Rest verlässt die sphärische, reduzierte Soundlandschaft aber selten.
Genau deshalb ist London Grammar ein sehr gutes, aber kein fantastisches Debüt gelungen. Denn so fesselnd Inhalt und Form sein mögen, am Ende gerät "If You Wait" in seiner Länge leider ein wenig eintönig. An Tagen, an denen man sich nur noch die Decke über den Kopf ziehen möchte, darf es aber gerne in Dauerschleife laufen.
8 Kommentare mit 10 Antworten
Ich weiß nicht was da so innovativ sein soll. Die erste Single klingt für mich wie Annie Lennox "Don´t let it bring you down".
wort!
Die Stimme blaest einen ja voellig um. Finde ich nach 11x Durchgang schon besser als The xx, mit denen sie verglichen werden, und ist auch jetzt schon unter den besten 10 in meiner Jahresendliste. Und diese Braut, Alter, Traumfrau. Banshee wailing wie es besser nicht geht. Wuerde ich mir sogar mal live anschauen.
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Sonst alles ok?
Haha, man hätte an dieser Stelle auch erwarten können, dass ihr euch jetzt in Brüderle-Manier über dutzende Posts hinweg die Bälle zuspielt...
Oh ja Mann, die Alte würd ich mal so richtig nach Strich und Faden auf'n Drink mit anschließendem Spaziergang einladen, sie bis vor die Haustür begleiten und ihr zum Abschied einen Kuss auf die Wange geben.
... meh, bin noch nicht richtig wach.
ich würd sie mal ordentlich ins Kino einladen!
Ich würde sie mal gepflegt meinen Eltern vorstellen.
Mom and dad, this is Chasey. Chasey, this is my mom and dad...
now Show em yer titties!
Danach,ja
Absolut ein Top Album. Songs wie If You Wait, Feelings, Metal and Dust, Nightcall und Wasting my young tears sind richtig gut und Strong ist der absolute Hammer. Gefühlvoll, stark, emotional, rational und detailreich zugleich... wirklich sehr gut gelungen. PS: Die Blonde ist wirklich heiß
Nach jedem Durchgang gefällt mir das Album besser. Die Stimme ist fantastisch und die Melodien gefallen auch.
Aber wie schon in der Rezension beschrieben: Das Album lebt primär von der Stimme der Sängerin.
das beste und stimmigste album, was ich 2013 zu hören bekam. if you wait und interlude sind perfekt gebaut und gekrönt durch reids stimme. das geht schön unter die haut. streckenweise erinnert mich die stimmung an 100th window. nur traurig schöner.