laut.de-Kritik
Brachial, aber mit eigenwilliger Schönheit.
Review von Giuliano BenassiMan nehme eine Flex, bearbeite Metall und Steine, übertrage den Krach auf die Tasten eines Keyboards und lege harmonische weibliche und männliche Harmonien darüber. So ließe sich die Corona-Platte der Band aus Duluth, Minnesota zusammenfassen.
Doch greift diese Beschreibung zu kurz, denn Lärm ist nicht gleich Lärm. Und Low sind Meister darin, aus wenigen Elementen eine eigene Klangwelt zu erschaffen. Wie gewohnt, geht es in dieser düster zu, hat man beim ersten Anhören aber die ersten zwei brachialen Stücke überstanden, entfaltet das Album eine eigene Schönheit.
Erklingen in "All Night" zu Beginn tatsächlich Kirchenglocken? Jedenfalls folgt ein Keyboard, das irgendwo zwischen Giorgio Moroder und Daft Punk angesiedelt ist, bevor Mimi Parker und Alan Sparhawk ihre Stimmen miteinander verweben. Sogar mit einem "Lalala" zur Songmitte, bevor die Musik in einem Verzerrerstrudel mündet, auf dessen Boden es wieder ruhig zugeht. Für mehrere Takte, zumindest.
Die Pandemie spielt auf der Platte keine explizite Rolle. Letztlich geht es dem Ehepaar Parker/Sparhawk wie üblich um die verschlungenen und manchmal düsteren Wege der Liebe. Diesmal allerdings - und zum ersten Mal in ihrer Karriere - ohne Bassist, denn mit Steve Garrington hat nun auch das vierte Mitglied an diesem Instrument die Band verlassen.
Die Bässe kommen nun aus der Retorte, teilweise so tief, dass man sie allein mit Saiten so nicht hinbekommen würde. Um die Produktion kümmerte sich erneut BJ Burton. Das sehenswerte Cover (der Teil eines Fingerabdrucks, eine Holzsmaserung?) stammt vom britischen Künstler Peter Liversidge.
Mit "Days Like These" wäre sogar ein potentieller Single-Hit dabei, so freudig beginnt das Stück, bis wieder der Verzerrerstrudel und die Erkenntnis einsetzen: "No, you're never gonna feel complete / No, you're never gonna be released". Gefangen im Ewiggleichen, ohne die Möglichkeit, auszubrechen.
"Hey What" ist keine leichte Kost, doch die boten Low seit ihrem ersten Werk 1993 eh noch nie. Erstaunlicherweise fällt es nicht schwer, diese Platte nach dem Ende noch mal zu hören, und danach noch mal - jedes Mal wirken die Klangwelten anders. Dass man immer wieder aus seinen Tagträumen herausgerissen wird, etwa mit dem zerstörerischen "More", ist der Preis, den es zu zahlen gilt. Nicht umsonst lautet der Titel des letzten Stücks "The Price You Pay (It Must Be Wearing Off)".
1 Kommentar
Es klingt wie ein Fisch
der viel schwimmt und nicht ankommt
traurig nostalgisch