laut.de-Kritik

Der Süden lernt fliegen.

Review von

Lynyrd Skynyrd kennen die meisten Nicht-Genre-Anhänger wohl vor allem durch das unvergessliche Radio-Monster "Sweet Home Alabama". Wer sich jedoch aus dem Schatten dieses zwanghaften Aushängeschilds wagt, stößt auf ein Debüt, das nicht weniger als ein Meilenstein des Southern Rock ist. "(Pronounced 'Lĕh-'nérd 'Skin-'nérd)" richtet sich nicht nur an die Aussprache-Schwa­chen, sondern an eine ganze Generation und an alle, die sich nach ehrlichem, gitarrenlastigem Rock sehnen.

Schon der Entstehungsprozess der Platte ist legendär. Als die Band ins Studio eintrat, staunte Produzent Al Kooper nicht schlecht: Jede Note war gesetzt, Improvisation nicht vorgesehen. Lynyrd Skynyrd hatten ihre Songs in unzähligen Stunden in der Proberäumlichkeit nahe Jacksonville, Florida – dem berühmt-berüchtigten "Hell House" – geformt. Jede Nuance, jede Wendung war erarbeitet, bis sie saß. Kurz vor den Aufnahmen hatte Bassist Leon Wilkeson die Band verlassen, doch mit Ed King war schnell Ersatz gefunden. Sänger Ronnie Van Zant erkannte bald, dass King an der Gitarre besser aufgehoben war, überredete Wilkeson zur Rückkehr, und so entstand das legendäre "Three Guitar Army"-Lineup mit King, Allen Collins und Gary Rossington, das zu einem der markantesten Markenzeichen der Band werden sollte. Das Coverbild, aufgenommen in Jonesboro, Georgia, zeigt alle Gründungsmitglieder – alle mittlerweile verstorben – und ist selbst ein Stück Rockgeschichte.

Musikalisch ist das Album ein perfekter Mix aus Southern Rock, Blues und Rock'n'Roll. Bereits der Opener "I Ain't The One" markiert die Handschrift der Band: drei Gitarren, die sich ergänzen, nicht blockieren, und Van Zants unverwechselbarer Gesang, der sofort den Ton für das gesamte Album vorgibt. Mit "Tuesday's Gone" zeigen Lynyrd Skynyrd, dass sie auch Sehnsucht und Melancholie wie kaum jemand sonst transportieren. Diese Ballade über Abschied und Loslassen, metaphorisch im "Tuesday" verdichtet, erstreckt sich über 7:30 Minuten und wirkt dabei doch wie ein flüchtiger Moment, der die Zeit anhält. Gitarren- und Pianosoli brennen sich ins Gedächtnis ein, und die emotionale Tiefe lässt einen spüren, warum Metallica Jahre später diese Hymne auf "Garage Inc." covern würden.

Doch Southern Rock ist nicht nur Traurigkeit, und Lynyrd Skynyrd wissen genau, wann es Zeit ist, die Stimmung zu kippen. "Gimme Three Steps" zieht das Set aus der Melancholie, erzählt humorvoll von einem Bar-Streit – die Bitte um "three steps towards the door" ist ebenso ikonisch wie augenzwinkernd.

"Simple Man" ist ein Song, der auf den ersten Blick wie eine einfache Rockballade wirkt, bei genauerem Hinhören jedoch die Weisheit eines ganzen Lebens in sich trägt. Van Zants Gesang ist dabei nicht nur emotional, sondern auch moralisch eindringlich: "Take your time, don't live too fast / Troubles will come and they will pass". Die Stimme des Sängers wirkt wie eine väterliche Mahnung, ein Leitfaden für ein Leben, das nicht in der Jagd nach schnellen Erfolgen und oberflächlicher Befriedigung verloren geht. Die Gitarren begleiten diese Botschaft meisterhaft, wechseln zwischen zarten Harmonien und kraftvollen Riffs, während das Solo die Seele streichelt und gleichzeitig die Dringlichkeit der Botschaft verstärkt. "Be a simple kind of man" – dieser Refrain ist weit mehr als eine Aufforderung; er ist ein Manifest, eine Lektion in Gelassenheit, Demut und Selbstfindung. Kein Wunder, dass dieser Song über Jahrzehnte hinweg Generationen berührt hat.

Doch das Album wäre nicht komplett ohne weitere nachdenkliche, bluesige Momente. "Things Goin' On" zeigt eine dunklere Seite, beschäftigt sich mit Chaos, Ungerechtigkeiten und gesellschaftlichen Missständen – musikalisch getragen von einem betörenden Piano. Die erzählerische Flucht setzt "Mississippi Kid" um, das vom Vagabundenleben in den Südstaaten erzählt, von Freiheit, kleinen Abenteuern und einem Leben abseits der Norm. Und ja, "Poison Whiskey" ist eine Ode an die berauschende Seite des Lebens – unverschämt, kraftvoll, warnend.

Wer danach glaubt, das Album habe seine emotionalen Höhepunkte schon erreicht, wird von "Free Bird" eines Besseren belehrt. Dieser Song ist nicht einfach ein Track; er ist ein Epos, ein musikalisches Statement, das die Freiheit, Sehnsucht und das Streben nach Selbstbestimmung verkörpert. Die ersten Minuten der Ballade sind zart, fast fragend: "If I leave here tomorrow, would you still remember me?" – eine existentielle Frage, die Van Zants Stimme mit einer Mischung aus Verletzlichkeit und Bestimmtheit trägt. Doch dann bricht die zweite Hälfte des Songs los: ein Sturm aus Gitarren, der die drei Gitarren der "Three Guitar Army" in unvergesslichen Harmonien und Soli vereint. Vier Minuten Gitarren, die durch die Geschichte des Rock pflügen, klingen wie ein Manifest der Freiheit: Man kann nicht ändern, wer man ist, man kann nur fliegen. Der Song lebt von Kontrasten – ruhige, intime Momente treffen auf explosive Rock-Orgie, das Stück wird zur Verkörperung von Freiheit und Unabhängigkeit. Die Mischung aus Melancholie, Hoffnung und purer Rockenergie macht "Free Bird" bis heute zu einem Referenzpunkt der Rock- und Gitarrenmusik.

"(Pronounced 'Lĕh-'nérd 'Skin-'nérd)" ist mehr als ein Debütalbum. Es ist ein Lehrstück im Southern Rock: virtuos, gefühlvoll, unverschämt rockig und dabei stets ehrlich. Lynyrd Skynyrd legen hier die Blaupause für das Genre fest, verbinden musikalisches Können mit erzählerischer Tiefe und schaffen ein Album, das nach über 50 Jahren nichts von seiner Wirkung eingebüßt hat. Wer Southern Rock verstehen will, beginnt hier.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. I Ain't The One
  2. 2. Tuesday's Gone
  3. 3. Gimme Three Steps
  4. 4. Simple Man
  5. 5. Things Goin' On
  6. 6. Mississippi Kid
  7. 7. Poison Whiskey
  8. 8. Free Bird

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LAUT.DE-PORTRÄT Lynyrd Skynyrd

Kaum eine Band verkörpert die Denkweise des stereotypischen Südstaatenamerikaners so wie Lynyrd Skynyrd. Über Jahrzehnte hinweg besingen sie die Werte …

2 Kommentare mit 12 Antworten

  • Vor 2 Tagen

    Da die Südstaaten in Form der Konföderation ein zutiefst menschenverachtendes Gebilde warne (und in weiten Strecken immer noch sind) gehören ausnahmslos alle Künstler:innen, die eine solche südstaatenmentalität zu ihrem Kernmerkmal machen vollständig geächtet.

    • Vor einem Tag

      Nordstaaten-Südstaaten. Überleg mal wer hinter den Nordstaaten gestanden hat, und wer die Geschichte geschrieben hat. Gleiches in Mittelseuropa besonders seit Anfang 20. Jhrts.

    • Vor einem Tag

      naja, die southern mentality war schon mehr als "wir hassen schwarze und wollen sie versklaven" und die kulturelle auseinandersetzung mit den südstaaten und deren erbe umfasst oft ein spannungsfeld aus der melancholischen sehnsucht nach verloren indealen (die es so vllt nicht gegeben hat) und dem bitteren erbe, welches halt auch vielfältig leid und trauer umfasst.
      das jetzt so komplett ächten zu wollen finde ich verkürzt, weil du dann in letzter konsequenz auch künstler und künstlerinnen wie william faulkner, flannery o`connor, mark twain, tennessee williams, david eugene edwards, bruce springsteen oder gar ethel cain und deren werke ächten müsstest...

    • Vor einem Tag

      "Da die Südstaaten in Form der Konföderation ein zutiefst menschenverachtendes Gebilde warne (und in weiten Strecken immer noch sind)"
      Du musst dich da gar nicht auf die Südstaaten beschränken, die vereinigten Staaten sind als siedlerkolonialistische Sklavenhalternation und später siedlerkolonialistischer Appartheidsstaat in ihrer Gänze ein „zutiefst menschenverachtendes Gebilde“.

    • Vor 17 Stunden

      Die Nordstaaten waren ähnlich kaputt wie die Südstaaten. Da sollte man sich nichts vormachen. Die Theorie, dass die amerikanische Unabhängigkeit AUCH eine Folge von Befürchtungen war, in Europa werde die Sklaverei bald abgeschafft, scheint akademisch keine abwegige zu sein.

      Auch das ist mal wieder zu komplex für einen Kommentar, da kommen einige Faktoren zusammen. Aber ich halte es allermindestens für sehr abwegig, anzunehmen, die edlen Nordstaaten hätten plötzlich begriffen, wie falsch Sklaverei ist. Und bloß aus dieser Überzeugung heraus haben sie dann einen langen, brutalen Bürgerkrieg in Kauf genommen.

    • Vor 17 Stunden

      ja brüder das ist fast wie deutschland wo die zwei sued staaten auch sehr schlimm aber andere sind nicht besser

    • Vor 11 Stunden

      Für mich ist eher alles was aus den deutschen Ost-Staaten musikalisch entsprang gnadenlos zu ächten.

    • Vor 10 Stunden

      Der Süden ist zum Kotzen, der Westen kann ich mal, der Norden stinkt nach Fisch, der Osten ist komplett verloren. Ich hasse Himmelsrichtungen. Die zeigen auch immer von mir weg.

    • Vor 10 Stunden

      Du musst dich da gar nicht auf die Südstaaten beschränken, die vereinigten Staaten sind als siedlerkolonialistische Sklavenhalternation und später siedlerkolonialistischer Appartheidsstaat in ihrer Gänze ein „zutiefst menschenverachtendes Gebilde“.

      Ah, die Anti-Imps mal wieder. Wie läufts denn gerade so?

    • Vor 10 Stunden

      bis in die 1960er hattest du defacto rassentrennung... und in den kriegsjahren wurden asiatisch stämmige einwanderer interniert

    • Vor 3 Stunden

      Ja, schlimm, diese Anti-Imps. Ein bissl Diskriminierung, Hass und Gewalt haben noch niemandem geschadet. Darauf ein Bum-Bum-Eis!

    • Vor einer Sekunde

      @scroto: Tatsächlich sogar bis in die 1960er sogar dejure Rassentrennung, defacto Rassentrennung arguably bis heute.

      @pedroc452h: diese grobe Kategorisierung hat nichts mit der Sache zu tun.

  • Vor einem Tag

    es gibt wenig Bands die 3 Gitarren einsetzen, und deren Musik nicht vollgestopft klingt, sondern genau jeder seinen Part erfüllt und so den Song zu dem macht was er ist.