laut.de-Kritik

Lieber Hose runter als die Maske bei der Querdenker-Demo.

Review von

"Explizite Inhalte, die der sexuellen Befriedigung dienen, sind auf YouTube nicht erlaubt. Das Veröffentlichen pornografischer Videos kann dazu führen, dass die Inhalte entfernt werden oder der entsprechende Kanal gekündigt wird. Videos mit Fetisch-Inhalten werden entfernt oder mit einer Altersbeschränkung versehen." Nach diesen Richtlinien wurde das "Daddy"-Video von Man On Man gesperrt. Darin zu sehen: zwei mittelalte Herren, die amerikanische Rentner-Kleidung tragen und niedlich unbeholfen für einen kurzen Moment in die Wellen am Strand hüpfen. Welche Fetisch-Fantasien das bedient und inwiefern zwei sich küssende Männer eine Bedrohung der gesellschaftlichen Ordnung darstellen, bleibt auch nach mehrmaligen Anschauen unklar. Aber wer blickt in diesen verrückten Zeiten noch durch?

Roddy Bottum, der Keyboarder von Faith No More, begegnet derlei Intoleranz auch nicht das erste Mal in seinem Leben. Seine Freunde rieten ihm noch in den frühen 90ern von einem Outing ab und befürchteten das Ende seiner Karriere. Doch auch die Intoleranz in den eigenen Reihen nervt ihn und seinen Partner Joey Holman. Alt und schwul widerstrebt anscheinend dem Zeitgeist der Community, sie präferiert Körper ohne Makel, graue Haare und Falten. Ein verbittertes Album ist "Man On Man" zum Glück dennoch nicht. Es geht um Liebe und Optimismus, trotz der momentanen schweren Situation für uns alle.

Euphorisch und nicht eingeschüchtert brummt "Stohner", dessen Tracktitel schon die musikalische Ausrichtung vorgibt. Es geht vordergründig um eine Nachtfahrt, in der man einfach froh ist, den Kopf an die Schulter seines Partners zu legen. Es ist natürlich auch eine schöne Metapher der Pandemie, die ohne Solidarität und Liebe noch finsterer als eh schon wirkt. Hymnische Dinosaur Jr.-Gitarren-Wände fegen tatsächlich die Schwere für einen Moment hinfort. "It feels so right with you by my side." Mehr muss man manchmal nicht sagen oder singen.

Diese positive Grundstimmung trägt auch "Daddy". Die schöne Ode an die Kraft der Liebe über viele Kilometer und Autobahnfahrten hinweg ist fast niedlich, wenn auch nicht gerade zimperlich in den Vorstellungen, was man bei dem Wiedertreffen anstellen möchte. "He took a ride to my house. He pulled my shorts down / He knelt before his swelling king / He took in everything / I gave him everything." Papa freut sich anscheinend wirklich sehr. Was soll's, auch unsere Eltern haben noch Sex, und wem gönnt man den bitteschön nicht? Lieber Hose runter als die Maske bei der Querdenker-Demo.

Das "It's So Fun To Be Gay" mag nicht unbedingt auf Lebenssituationen in Dubai zutreffen, aber ist eine schöne Erbauungshymne und Appell an Selbstliebe. Klar, dass dieser Song nicht unbedingt für Englisch-Abiturprüfungen zugelassen wird, aber es geht, wie schon erwähnt, nicht um Grübeln oder eine Master Class in Nihilismus. Für einen kurzen Moment vertreiben Drum-Patterns, eine schöne Synthie-Melodie und viel Sonnenschein allen Frust.

Dieses lebensfrohe und sex-positive Konzept funktioniert anfangs noch sehr gut, bis eine Monotonie in Ideen und Songwriting einsetzt. Ja, sie lieben sich wirklich sehr. Also sehr sehr sehr. Liebe ist toll, auch hier keine Anklage im Namen der notorisch nörgelnden Kritik. Doch die Himbeer-Süßigkeit aus California führt mit dem überbordenden und zuckrigen Harmoniebedürfnis irgendwann zu Sodbrennen. Das Album entstand in der Quarantäne, die Mittel waren sicherlich begrenzt, doch auch Boddrums Zweitprojekt Imperial Teen war kaum mehr als solider Indie-Pop, der nie länger im Gedächtnis blieb. Was soll's, der deutsche Sommer ist auch unabhängig von Corona scheiße. Wir alle, egal ob Heten oder Queers, können so eine hoffnungsvolle Spaßplatte gut gebrauchen.

Trackliste

  1. 1. Stohner
  2. 2. Daddy
  3. 3. It's So Fun (To Be Gay)
  4. 4. Beach House
  5. 5. 1983
  6. 6. Baby You're My Everything
  7. 7. Two At A Time
  8. 8. Lover
  9. 9. Please Be Friends
  10. 10. Kamikaze
  11. 11. It Floated

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