laut.de-Kritik
Trümmert ihm einen Stern in den Hollywood Boulevard!
Review von Philipp GässleinRap ist, selbst mit anderen Stilen der Musik verglichen, eine kurzweilige, bisweilen auch unbarmherzig kurzweilige Kunstform. Releast man nicht in genretypischen Abständen von ein bis zwei Jahren neue Alben, übernehmen andere das Game, während man den Zahn der Zeit an sich selbst nagen spürt und gleichermaßen rapide den Zugang zur Hörerschaft verliert. Eine Lektion, die in Deutschland auch einst unangefochtene Granden wie Samy Deluxe oder die Beginner schmerzhaft erfahren mussten.
Entsprechend stand die Szene dem Comeback von Duval Clear 2001 keineswegs ohne Skepsis gegenüber. Der New Yorker hatte sich als Masta Ace zwar seit den späten 80ern seine Meriten verdient und genoss nicht zuletzt als Mitglied der legendären Juice Crew ein hohes Standing in der Eastcoastszene. Allerdings lag sein letztes Release "Sitting On Chrome", wenngleich es sein kommerziell erfolgreichstes und bis dato wohl auch künstlerisch kräftigstes Album war, bereits sechs Jahre zurück. Sechs Jahre, in denen es in allen großen Nationen des Hip Hop-Universums zu einem Generationenbruch gekommen war. In den Staaten waren es Eminem und Jay-Z auf dem Höhepunkt ihrer Schaffenskraft, die längst über allem thronten.
Nicht nur die Protagonisten hatten sich geändert, das ganze Genre stand im Begriff, sich neu zu erfinden. Masta Ace war 2001 bereits 34 – für damalige Verhältnisse ein absoluter Hip Hop-Grandpa. Wie reagiert man taktisch klug auf eine solch fundamentale Veränderung?
Die Antwort: Man releast ein Konzeptalbum, in dem man die eigene Karriere metaphorisch dem Leben des Protagonisten gegenüberstellt, einem jungen Mann aus Brooklyn, der nach sechs Jahren aus dem Gefängnis entlassen wird. Den schon im Opening Skit, dem Moment seiner Entlassung, der Wärter wegen seiner Oldschool-Klamotten disst: "In '95, '96, this was the shit!" - "Well, my boy, in case nobody told you, this is 2001." Mit einer ordentlichen Prise Selbstironie – man beachte das Coverartwork, auf dem Ace im krassen Kontrast zum Vorgängeralbum ganz offensichtlich nicht einmal mehr ein Auto besitzt – aber genug Selbstbewusstsein, um sich keineswegs den Rapgeboten der Neuzeit zu unterjochen.
Das Sujet des Knastis, der nach seiner Haft im "echten" Leben struggelt, ist ein gerne wiederkehrendes in unterschiedlichen Disziplinen, vom "Graf von Monte Christo" über "Berlin Alexanderplatz" bis hin zu Gaspar Noés "Der Menschenfeind". Mit derart viel tiefliegendem Witz wurde es bis dahin allerdings selten behandelt. Die "School of Disposable Arts", die der Protagonist schließlich besuchen wird, kontrastiert erneut die tatsächliche Bedeutung des Konzeptalbums, das auch nach 20 Jahren nichts von seiner Aktualität und seinem Charme verloren hat.
Dieses Album braucht keine Bombentracks, keine erhabene Riege an Featuregästen (wobei Jean Grae und Rah Digga damals schon zu den bekannteren Female MCs zählten) oder Starproduzenten. Seine thematische Vielschichtigkeit und die mithilfe von Skits konsequent vorgetragene Geschichte machen es zu einem stimmigen Gesamtwerk. Hervorzuheben sind – natürlich - "Acknowledge", ein Disstrack gegen Boogieman, verpackt in ein fantastisches Instrumental als Abschlussarbeit des Kurses "MPC 101". Und "Take A Walk", bei dem Ace seinem kanadischen Roommate schildert, was die Straßen Brooklyns von denen Saskatchewans unterscheidet und damit ganz nebenbei seinem Bezirk eine der stärksten Hymnen kreiert. Ironischerweise auf einem Sample von "Lazy Day" von Spanky & Our Gang, einem Song, der auch prima das Jingle einer suburban Soap Opera abgegeben hätte.
Kommerziell war "Disposable Arts" ein Flop, auch weil sein Label kurze Zeit später dichtmachte und anscheinend die Promoarbeit schleifen ließ. Das hinderte Masta Ace aber nicht daran, knapp drei Jahre den Nachfolger "A Long Hot Summer" zu veröffentlichen, der als Prequel zu "Disposable Arts" gelten darf. Auch das zweite Konzeptalbum genießt nach Ansicht vieler Heads absoluten Kultstatus. So gibt es von mir auch nur einen Punkt zu kritisieren: Hätte er mal gewartet!
Was wäre, wenn Masta Ace in einer Zeit, in der ein Doppelalbum in der Rapszene noch gleichbedeutend damit war, sich seinen eigenen Hollywoodstern in die Straße zu meißeln, diese beiden Bretter zeitgleich releast hätte? Zwei Konzeptalben, die sich thematisch ergänzen, jedes für sich schon alleinstehend ein großes Kunstwerk – als Doppelalbum? Die Heads hätten den Hollywood Boulevard gestürmt und ihm einen Stern da reingetrümmert.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
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Meisterwerk.