laut.de-Kritik

Ihr letzter Gang: ein akustischer Nadelregen.

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Es soll ihr 'Farewell-Album' werden. "Ich bin durch viele Stürme geritten, hatte ungezählte Höhen und Tiefen, bin wie im Hamsterrad gelaufen, ohne anzukommen, und bin jetzt einfach müde", erzählte Michelle der dpa im genreüblichen Hochtrab. "Es war ein Prozess, eine Sehnsucht, die immer größer wurde. Das hat nichts mit dem Publikum zu tun, sondern mit dem ganzen Drumherum. Business und Privatleben, eins leidet immer. Ich bin schlicht an einem Punkt, an dem ich sage: Ich möchte das nicht mehr."

Michelle leitet ihre Abschiedsvorstellung mit dem Titelsong ein. "Manchmal verfluch' ich's hier im Flutlicht, weil das Drama kein Ende nimmt. Ich bleib' eine Kämpferin", singt sie im Refrain und beackert damit wie ihre rappenden Kolleginnen Liz und Badmómzjay den Widerwillen gegen die eigene Profession. Doch wer drangsaliert die Schlagersängerin? Es sind die Medien, die Böses im Schilde führen. "Trau dich und wirf den nächsten Stein", tadelt sie die Journaille. "Ist dir egal, ob ich fall' oder nicht? Aber du strahlst scheißkalt in mein Gesicht und wirfst dann trotzdem einen Schatten auf mich."

Es wäre leicht, der früheren ESC-Teilnehmerin vorzuwerfen, überempfindlich zu sein. Zugleich arbeitet ja tatsächlich eine Reihe ruchloser Publikationen der Yellow Press mit unredlichen Methoden daran, mit ihr, Helene Fischer oder Florian Silbereisen die Auflage in die Höhe zu schrauben. Ob die Kritik in Form einer Stadionhymne geäußert werden sollte, stellt dann nochmal eine andere Frage dar. Fakt ist, dass ihr Produzent und Partner Eric Philippi "Flutlicht" musikalisch wie eine einzige Erfolgsgeschichte in Szene setzt, statt der inhaltlichen Dramaturgie aus Niederschlägen und Widerständen zu folgen.

Die Text-Musik-Diskrepanz steigt in "Du Kannst Mich Mal" weiter an. Wo es sich ihre Kollegen in der Selbstlüge bequem machen, rüttelt Michelle auf. Musikalisch herrscht hingegen Eurodance zum Abtanzen und Betäuben für ein Publikum, das Manny Marc womöglich gar nicht kennt, sich aber fragt, was er täte. Schlimmste Kirmes-Musik dominiert "So Oder So", während "Du Bist Es" etwas stilvoller im Trance fischt und "Der Junge Mit Den Weißen Haaren" das passende Umfeld für ihre Disney-Prinzessinnen-Stimme bietet. "Mali" und "Männer" wiederum spiegeln ihre Vorstellung von Chansons.

Letztgenannter setzt dem gelungenen "Lächel Doch Mal" aus K.I.Z.' "Görlitzer Park" einen eher beschränkten Song über Männlichkeit entgegen. Michelle skizziert Männer als "Feinde", die sie durchweg als Variation eines Donald Trump wahrzunehmen scheint. Jedes Wort sei gelogen, sie sind weinerlich, machthungrig und schwer narzisstisch gestört: "Am liebsten hätten sie ein Ölgemälde von sich selbst wie ein Superheld." Trotzdem driftet das Borderline'eske Stück bei Zweidritteln der Laufzeit plötzlich ab, um das starke Geschlecht mit choralem Gesang geradezu engelsgleich hochleben zu lassen.

Die Chöre kehren in "Gespräch Mit Gott" zurück. Bloß diesmal sprechen sie Michelle heilig. Mit der Selbstüberhöhung eines Bernhard Brink skizziert sie, wie der Allmächtige sie vom Himmelreich zurück zur Erde schickt. "Ich flieg' zurück und hab' die Zeit besiegt!" Schlimmer klingt nur "Herz In Takt", das einen pathetischen Nonsens-Text über zersprungene und heilende Herzen mit einer Produktion verbindet, die Geschmack und Wahrhaftigkeit zermalmt und ihre ohnehin piepsige Stimme weiter in die Höhe pitcht, zerschneidet und als akustischen Nadelregen auf die Trommelfelle niederprasseln lässt.

Dann leitet sie den Abschied ein. Selbstergriffen rekapituliert sie in "Das War's Für Mich" noch einmal den eigenen Weg vom stets zuvorkommenden Mädchen aus einer schwäbischen Kleinstadt, das sich den Weg ins Rampenlicht erkämpfte und dem nun die Kraft ausgeht, sich länger gegen die manipulativen Menschen des Geschäfts durchzusetzen. "Ich kann nicht mehr, ich räum' die Bühne leer!" Als Zugabe macht sie sich "Zum Letzten Gang" bereit. "Räum den roten Teppich weg", fordert sie, um sich ganz ins Private zurückzuziehen, "Ich brauch' nur dich und dein Herz am rechten Fleck." Wer's glaubt.

Trackliste

  1. 1. Flutlicht
  2. 2. Du Kannst Mich Mal
  3. 3. So Oder So
  4. 4. Männer
  5. 5. Gespräch Mit Gott
  6. 6. Lieb Mich Oder Lass Es Sein
  7. 7. Herz In Takt
  8. 8. Das War's Für Mich
  9. 9. Antequera
  10. 10. Du Bist Es
  11. 11. Falsch Dich Zu Lieben
  12. 12. Liebeskrank
  13. 13. Der Junge Mit Den Weißen Haaren
  14. 14. Mali
  15. 15. Rache Ist Süß
  16. 16. Zum Letzten Gang

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