laut.de-Kritik

Bang, bang, bang! Bleed, bleed, bleed!

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Musikalische Konstellationen, die aufhorchen lassen, liefert Faith No More-Sänger Mike Patton seit Jahrzehnten. Via Ipecac veröffentlicht der Rockstar Soundtracks, die sich nur wenige in den Schrank stellen dürften, aber auch seine längst etablierten Bands Fantômas, Tomahawk und neuerdings Dead Cross. Gefühlt außerdem so ziemlich alles, das stilistisch zwischen diesen Polen stattfindet. In der Veröffentlichungsflut seien exemplarisch Mondo Cane (italienischer Pop der 50er und 60er neu interpretiert, 2010) und die Kollabo mit dem Norweger Kaada (2004) genannt.

Zu beiden Letzteren weist das aktuelle Album bezüglich der akustisch orientierten Instrumentierung eine gewisse Nähe auf: "Corpse Flower", die Zusammenarbeit mit der französischen Orchesterpop-Koryphäe Jean-Claude Vannier, ist nach einer bizarren, in Indonesien beheimateten Riesenpflanze benannt. Um die Atmosphäre der Scheibe in einem Bild anzudeuten: Patton könnte einen Livegig auf dem Barhocker absolvieren. Das Klavier/Streicher-basierte "Chansons D'Amour" und das abschließende, orchestrale "Pink And Bleue" wären wie geschaffen dafür.

Gleichwohl handelt es sich um die musikalisch zahmsten Stücke der Platte. Auf der anderen Seite stehen sperrig angelegte Geräuschbrocken wie "Cold Sun, Hot Beer". Auch innerhalb der einzelnen Songs folgen öfter eingängige Parts auf experimentell unkonventionelle Klänge. Ein Stück wie "Insolubles" lässt sich stilistisch schwer fassen: Orientalische Melodien werden angerissen, Akustikgitarre, ein Akkordeon oder allerlei perkussives Instrumentarium, Patton intoniert theatralisch, das verstörende Arrangement erinnert an die eingangs erwähnte Kaada-Kollabo.

Schon der Opener "Ballad C.3.3." deutet die recht breit angelegte Instrumentierung der Platte an: Rhodes-Piano, Akkordeon, Schlagwerk, Rockfeeling. Das schräge "Camion" führt im Anschluss erstmals Streicher ein. "Browning" stellt in der Folge das Pophighlight dar: Moderne trifft gewissermaßen auf längst vergangene Tage, wenn ein voluminöser Elektrobeat zu charakteristischen Tremoloeffekten die Basis für Pattons Vokalpotenz legt. Der Mann trifft instinktiv einfach immer den richtigen Ton. "Hungry Ghost" verfügt wieder über Livedrums und einen 70er-Basssound. Überhaupt kommen die siebziger Jahre öfter in den Sinn, etwa im Titeltrack oder dem rockigen "On Top Of The World".

Der Franzose Vannier, Jahrgang 1947, zeichnete einst für einen der Klassiker Serge Gainsbourgs verantwortlich: "Histoire De Melody Nelson" von 1971. Der gut 20 Jahre später geborene Amerikaner Patton hatte Vannier bei der Beschäftigung mit Gainsbourgs Werk entdeckt, war begeistert und hatte die Kollaboration mit dem Komponisten und Arrangeur seit Jahren angestrebt.

Irgendwann schickte Vannier Songentwürfe an Patton, der retournierte seine Interpretationen und Ergänzungen. Hin und her ging es über den Atlantik, bis die Platte in L.A. und Paris mit entsprechendem Fachpersonal eingespielt wurde. Am Pazifik waren Smokey Hormel (Beck, Johnny Cash), Justin Meldal-Johnsen (Beck, Air, Nine Inch Nails) und James Gadson (Beck, Jamie Lidell) beteiligt, in Paris unter anderem das Bécon Palace String Ensemble.

Patton und Vannier mögen in unterschiedlichen Welten sozialisiert worden sein. Den Beweis, dass Musik als die viel gerühmte universelle Sprache fungieren kann, hat das Duo hiermit über Tausende Kilometer hinweg aber erbracht. "Wir schufen starke, schöne und ehrliche Musik und wurden Freunde", so Vannier, der dazu Pattons Humor betont. Bevor es zu pathetisch wird, flötet der in "Pink And Bleue" zum herzzerreißendsten Musicalsound, den man sich vorstellen kann: "When I drink to much / I shit my pants."

Trackliste

  1. 1. Ballad C.3.3.
  2. 2. Camion
  3. 3. Chansons D'Amour
  4. 4. Cold Sun, Warm Beer
  5. 5. Browning
  6. 6. Ghost
  7. 7. Corpse Flower
  8. 8. Insolubles
  9. 9. On Top Of The World
  10. 10. Yard Bull
  11. 11. A Schoolgirl's Day
  12. 12. Pink And Bleue

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