laut.de-Kritik
Musik, um den Verstand zu verlieren.
Review von Stefan MertlikFaith No More, Dead Cross, Mr. Bungle, Tomahawk, Fantômas, Lovage, The Dillinger Escape Plan, Peeping Tom – Mike Patton kennt das Arbeitsamt nur vom Vorbeigehen. Die zahlreichen Bandaktivitäten scheinen dem 50-Jährigen trotzdem nicht zu reichen. Seit zehn Jahren tritt Patton immer wieder als Filmkomponist in Erscheinung. Nach dem hochgelobten Soundtrack zu Derek Cianfrances "The Place Beyond the Pines" steuert der Kalifornier nun Musik zu Zak Hilditchs Horrorfilm "1922" bei.
"1922" basiert auf der gleichnamigen Kurzgeschichte von Stephen King. Darin streitet sich das Ehepaar James über ihre Zukunft als Farmer. Weil die Frau mit dem mühseligen Leben abschließen und in die Stadt ziehen möchte, reicht sie die Scheidung ein. Der Mann lässt sich das nicht bieten und ermordet sie. Die schreckliche Tat holt ihn jedoch ein, was sich darin zeigt, dass er langsam wahnsinnig wird.
Der 42-minütige Soundtrack zu "1922" lässt sich nicht so einfach zusammenfassen. Als reguläres Pop-Album kann er schon gar nicht bezeichnet werden. Dafür klingen die 21 Stücke wie abseitige Experimente, die ohne einen visuellen Eindruck überhaupt keinen Sinn ergeben.
Der Opener "No Grave For Mama" verzichtet auf Instrumente und setzt stattdessen auf ein spärliches Holzknacken. Das darauffolgende "Mea Culpa" stellt zwar keine Soundeffekte in den Mittelpunkt, klingt mit seiner todtraurigen Geigenmelodie aber nicht weniger verstörend. "Sweetheart Bandits" nimmt innerhalb von drei Minuten langsam an Intensität zu, bis sich beim Hörer unangenehme, körperliche Reaktionen einstellen.
Das Unbehagen ruft Mike Patton durch Dissonanzen, plötzlich aufpoppende Perkussionsgeräusche und bewusst gesetzte Stille hervor. "Elphis" bricht in der Mitte des Albums aus, leiert für 30 Sekunden verschobene Streicherspuren herunter und weckt damit Tote auf. Die Anspannung verwandelt sich erstmals in Aufregung. Das anschließende "Magnolia Hotel" übernimmt die Geigen zwar, lässt sie aber nur noch im Hintergrund ihr unheilvolles Werk verrichten. Der unterschwellige Horror setzt wieder ein.
"1922" kann nur mit gutem Willen empfohlen werden. Die minimalistisch ausgefüllten Partituren klingen einfach zu befremdlich. Dennoch hat Patton seinen Job erledigt. Besser könnte die Geschichte eines Farmers, der in einer menschenleeren Landkulisse mordet und den Verstand verliert, musikalisch nicht eingefangen werden.
Noch keine Kommentare