laut.de-Kritik

Mutterseelenallein unter der Mitternachtssonne.

Review von

Zum hundertsten Mal: erstaunlich, was der Ex-Faith No More-Sänger an musikalisch Massenuntauglichem und qualitativ Ergreifendem auf den Weg bringt (viel Geld dürfte sein Label Ipecac ja nicht abwerfen). Ob in Stein gemeißelte Alternative-Rock-Grooves (Tomahawk), eine Voice-Kollabo mit Björk, experimentell und thrashig hart (Fantômas), Beatboxing mit Rahzel, neuerdings auch Turntable-Bounces (vs. X-Ecutioners) oder das Neun-Track-Projekt mit dem norwegischen Sample-Musiker Kaada.

Bei aller Bandbreite bleibt Mike Pattons Stil unverwechselbar. Dabei heißt sein Antrieb schlicht und einfach: Musik und noch mal Musik, gleichgültig welcher Couleur. So erklären sich die unterschiedlichen Projekte: Patton als extrovertierter Banddiktator, dann wieder mehr im Hintergrund agierend, oder, wie im Falle von Kaadas Debüt "Romances", eher in sich gekehrt.

Die Reise beginnt mit einer skurril theatralischen Geräuschcollage aus allerlei Sounds und Instrumenten, die, von einem Piano eingeleitet, sich im zweiten Track zunächst in eine melodisch perlende Geste öffnet ("You came to take my heart and soul ..."), um dann wieder mit singenden Sägen, allerlei Geklingel, Stimmen und hochfrequentigen Synthies ins Bizarre umzuschlagen. Die Namen der Tracks beziehen sich (natürlich) auf Liedtitel der französischen Romantik des 19. Jahrhunderts.

"Aubade" könnte dank seines tiefen Streicher-Einsatzes und den Chören auch ein Dracula-Remake untermalen. "L'Absent" swingt ziemlich krank. "Pensée Des Morts" verbindet Live-Drums mit einem elektronischen Knarzbass, und "Seule" verbreitet genialisch romantische Schwermut. Kaada und Patton gehen auf Entdeckungsfahrt in die norwegische Mitternachtssonne - und sind dabei mutterseelenallein. Anders lässt sich die introvertierte Stimmung wohl kaum beschreiben.

Als Parallele könnte vielleicht die klassische Neue Musik herhalten: Ein vielstimmiges Orchester experimentiert und testet die Grenzen zur Disharmonie aus. Rechner und Live-Instrumente werden hier eins, und wuchern modern und archaisch zugleich: eine Platte aus Fleisch und Blut. Wer mit "Romances" (nach intensiver Beschäftigung) nicht zurecht kommt, wird nie verstehen, wohin die Seele eines Musikers wandern kann.

Trackliste

  1. 1. Invocation
  2. 2. Pitié Pour Mes Larmes
  3. 3. Aubade
  4. 4. L'absent
  5. 5. Crépuscule
  6. 6. Viens, Les Gazons Sont Verts
  7. 7. Seule
  8. 8. Pensée Des Morts
  9. 9. Nuit Silencieuse

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