laut.de-Kritik
Das fantastische Eigenleben einer EDM-Gaststimme.
Review von Yannik GölzEs ist etwa eineinhalb Jahre her, als mir die Operation "mal das Mädchen googlen, das auf 'Lean On' von Major Lazer und DJ Snake gesungen hat" ziemlich aus dem Ruder gelaufen ist. Beim Copy-Pasten des Namens mit dem umständlichen, skandinavischen Umlaut hätte ich auch mal echt nicht erwartet, wie tief der Fuchsbau um MØ reichen würde, die aus dem Augenwinkel eigentlich nur wie ein weiterer, generischer EDM-Vocalist der Marke Bebe Rexha, Dua Lipa oder Kai wirkte. Aber weit gefehlt: Hinter schamlos kommerzieller Oberfläche und unscheinbarer Peripherie verbarg sich mit MØs Debütalbum "No Mythologies To Follow" ein absolutes Juwel.
Die neue EP "When I Was Young" bietet nun perfektes Beweismaterial für die absurde Stärke dieser dänischen Sängerin, ziemlich generische Songs durch schiere gesangliche Gewalt zu Top-Tier-Popmusik zu machen. In verschiedenen Punkbands sozialisiert und ohnehin durch eine unglaublich kernige und ausdrucksstarke Stimme gesegnet, zerreißt MØ sich regelrecht, um polierte Mainstream-Instrumentals und halbgare Songideen so brachial gut zu verkaufen, dass am Ende des Tages genug Persönlichkeit durch die Beats pulsiert, um auch den letzten Hipster von der Hasenheide glücklich zu machen.
Perfektes Beispiel ist Leadsingle und Titeltrack "When I Was Young" mit hinlänglich bekanntem Synth-Aufbau, doch dann wirft sich diese Frau in den Refrain, als wäre es ihr letzter Tag auf Erden und der Song, der davor noch geklungen hatte, wie der Diplo-Remix einer Flamenco-Klasse in der Clownschule, ist auf einmal eine grundlos mitreißende Ballade über die belanglose Vergänglichkeit des Lebens.
Wie schon auf den älteren Singles "Kamikaze", "Walk This Way" oder "Maiden" spart sich die EP Momente, in denen die Protagonistin gegen eine grundlos überpolierte Produktion ankämpfen muss. Das Saxophon auf "Turn My Heart Into Stone" könnte zwar ein bisschen dreckiger klingen, macht aber mit den treibenden Drums eine ziemlich eigenständige, düstere Nummer aus. Richtig großes Tennis gibt es dann auf dem Closer "Run Away", auf dem endlich mal ein organisch klingender Bass zu einem Blues-inspirierten, minimalistischen Volltreffer verschmilzt, der durch das vereinzelte Aufblitzen von elektronischen Produktionstricks atmosphärische Experimentierfreude ausstrahlt.
Natürlich basiert die musikalische Ausrichtung und die zu großen Teilen selbst geführte Produktionsarbeit der EP auf den aktuellen Trends. Die lange Zusammenarbeit mit Diplo hört man schnell heraus, die nostalgische Rock- und Blues-Edge gibt all dem aber ein bisschen mehr Persönlichkeit. Abgesehen vom schräg konzipierten Titeltrack macht die Produktion zwischen House, Tropical House mit einem Funken Latin und einem bisschen PC Music einiges richtig.
MØ selbst rückt sogar ihre aufbrausende, mitreißende Art zugunsten von vermehrt leisen und melancholischen Tönen beiseite. Steht ihr überaus gut zu Gesicht, denn kaum ein Sänger singt derzeit mit einer ausdrucksstärkeren emotionalen Dichte. Mit viel Liebe zum Detail und Gefühl für Nuancen in den einzelnen Noten wird hier einfach ein bisschen besser performt als bei der Konkurrenz.
Von den ruhigen, nostalgischen Momenten des Openers "Roots" über einen energetischen Titelsong bis hin zum verlorenen, schwerelosen Ausklang in "Run Away" steht am Ende eigentlich nur noch die Frage im Raum, wann hier endlich das nächste Album spruchreif wird. Da das aber scheinbar noch in den Sternen steht, halten wir fest: Wen es interessiert, wie Mainstream-Pop 2017 goldrichtig umgesetzt wird, ist hier richtig.
4 Kommentare
Ganz solide mMn, kann man 3,5-4/5 geben.
opener gefällt mir gut. werde es mal checken
3 reichen. run away gefällt
Bisher habe ich von der EP nur den Titeltrack gehört, der gefällt aber, den Rest muss ich mir demnächst mal anhören. Und ja, die Musik von MØ ist definitiv Mainstreamtauglich, wie ihr Erfolg beweist, aber austauschbar war sie nie, im Gegenteil.