laut.de-Kritik
Alles schreit nach Urknall.
Review von Jeremias HeppelerEigentlich ist es unmöglich, über ein Mogwai-Album in ansprechender Form zu schreiben. Normale Wörter oder Satzkonstruktionen reichen kaum aus, um den musikalischen Schichtungen gerecht zu werden. Außerdem, ihr wisst schon: Über Musik zu schreiben, ist wie ... und so weiter. Doch genau dieses Aufeinanderprallen offenbart eben auch Chancen des Austauschs und der Analyse.
"Atomic", das neue Mogwai-Monster - ein Portal in eine andere Welt, einer wabernden Leerstelle gleich leuchtet die tief orange brennende Sonne vom Cover. Wir tauchen kopfüber ein in diesen fremden, non-verbalen Kosmos, den wir versuchen wollen, greifbar zu machen: Ein Unternehmen, das zum Scheitern verurteilt ist.
Dies offenbart bereits das Intro "Ether", das zunächst zärtlich umschmeichelt. Eingangs zittert ein dezentes Glockenspiel, das alsbald von brüchigen Streichern umzogen wird, die uns viel eher an Sigur Rós als an die klassischen Mogwai erinnern. Der Auftakt klingt seltsam harmonisch, fast schon kitschig, aufdringlich schön. Aber so richtig traut man der vermeintlichen Idylle nicht - alles schreit hier irgendwie nach Urknall.
"Scram" beginnt erneut bei Null, wieder in der Stille. Es gibt keinen künstlichen Übergang, sondern einen kaum merklichen Bruch. Wo zuvor organische Sounds dominierten, kratzt und beißt es jetzt dystopisch, elektronisch. Ein Hauch von Kraftwerk kommt auf, verfliegt aber sogleich wieder, während sich der Song für Mogwai typisch in Loops aufschichtet und eine Soundspur über die nächste schmiert.
Dann wieder: Stille. "Bitternes Centrifuge" beginnt mit wildem Rauschen, ein Soundbrett vor dem Kopf. Der Hörer muss sich in diesen Song hineinkämpfen, erst dann schält sich aus der Destruktion angedeutete, dunkle Harmonie, die in der zweiten Songhälfte wütend dramatisch zu kreisen beginnt, um schlussendlich zu implodieren.
"Atomic" ist kein Konzeptalbum, das die Songs ineinander verzahnt oder eine geradlinige Geschichte erzählt. Im Gegenteil: "Atomic" ist absolut nicht-linear. Die Songs stoßen sich voneinander ab, jeder funktioniert für sich alleine in seiner eigenen Umlaufbahn. Mogwai erzählen zehn voneinander getrennte Stories, die an unterschiedlichen Punkten anknüpfen und nur punktuell dieselben Diskurse streifen bzw. nur in den allgegenwärtigen Stilmitteln der Schichtung und Loops zusammenfinden.
Das Format Album hält die einzelnen Atome irgendwie zusammen und wird dann doch zum abstrakten Klangkörper. So entsteht eine fast kosmische Platte, deren Stimmung so dicht ist, dass man sie schneiden möchte. "Pripyat" wird zum massiven Höhepunkt, ein magnetischer Ausschlag in alle Richtungen. Die Komposition kommt einem Mahlmstrom gleich, der alles in sich aufsaugt. "Pripyat" ist dunkel, groß, bedrohlich, ein echtes Alien, eine künstliche Intelligenz.
Überhaupt erinnern weite Teile von "Atomic" an den den Geist einer tiefschwarzen Science Fiction-Reflektion im 80er Jahre-Blade Runner-Gewand. Das Album erinnert in seiner raumgreifenden Offenheit immer wieder an Filmmusik - und dieser Eindruck täuscht nicht: Die Platte knüpft direkt an den Mogwai-Soundtrack zu Mark Cousins gleichnamigen Archiv-Film an. "Die Prämisse war zunächst, Musik zu machen, die gut zu dem Film passt. Wir haben dann aber angefangen, daraus ein Album zu entwickeln und haben weiter mit den Grundlagen gearbeitet, mehr Musik eingespielt und diese stetig erweitert", erklärte Gitarrist Stuart Braithwait unlängst.
Aufschichtung, schon klar. Das sind die Sphären in denen sich Mogwai bewegen, ohne die entsprechenden Zitate und Verweise wirklich auszuformulieren. Denn "Atomic" erklärt nichts. Es gibt weder ein ultimatives Sinnangebot noch eine irgendwie geartete Auflösung. Alles überlagert sich in Wellen von Musik, die in der Mitte der Platte kaum noch greifbar werden. Erst "Weak Force" führt das Werk konzentriert zurück in irdische Gefilde.
Überhaupt scheint die zweite Hälfte der Platte den kleineren Geschichten gewidmet zu sein, darauf verweisen zumindest Songtitel wie "Little Boy", "Are You A Dancer" und "Fat Man". Und tatsächlich klingt "Little Boy" zunächst wirklich kleiner, fast wie ein normales Stück Rock - ehe dann zum Songende eine herzzereißend, komplett überdrehte Kirchenorgel einsetzt, die umgehend aus der angedeuteten Lethargie reißt.
Und da wird wieder deutlich: Mogwai ist nicht zu trauen. Die Schotten legen nur zu gerne falsche Fährten aus, in denen man sich verfängt und der Band vollends ausgeliefert ist. Aber diese Momente sind es eben auch, die Mogwai in Höchstform zu einer so wichtigen, weil total losgelösten Band machen.
Und trotzdem hat "Atomic" einige wenige Schwachstellen: "Are You A Dancer" ist das harmloseste Stück der Platte und fällt mit seltsamem Folklore-Charme ab. "Fat Man" beendet die Reise und entlässt von Pianospuren begleitet wieder in die normale Welt. Der Abschluss wirkt beinahe wie eine komprimierte Fassung der restlichen Scheibe - unfassbar, melodiös, kreisend, ausbrechend.
Am Ende erweist sich "Atomic" als ein Album, wie man es nur selten zu hören bekommt. Irgendwie analog, irgendwie angestaubt, aber keinesfalls nostalgisch. Klar, da sind elektronische, elektrifizierte Spuren, aber größtenteils entziehen sich Mogwai dem digitalen Diskurs.
Viel eher klingen sie denkbar organisch, beinahe naturalistisch, ohne übertrieben verklärt oder romantisch zu wirken. Dieses Muskelspiel zwischen aufgezeigter Härte, beinahe pompösem Größenwahn und fast zärtlich zerbrechlichen Sequenzen bleibt einzigartig und wird auf "Atomic" nahezu in Perfektion aufgeführt.
13 Kommentare mit 41 Antworten
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.
Ich finde Mogwai einfach klasse, auch wenn sie mir Live das Gehör zerstört haben. Schon jemand reingehört?
Nee, erst noch vollmündig vor paar Wochen selber angekündigt, dann letzte Woche glorreich verpennt, wie scheinbar alle anderen üblichen Verdächtigen auch
Absolut. Muss nachgeholt werden.
Ich als üblicher Verdächtiger, wenn es um Mogwei who geht, habe dem Release von Anfang an nur wenig enthusiastisch entgegen geblickt, da ihre letzten Soundtrack-Ausflüge für mich nie über ein "ganz nett" hinaus kamen.
Ich finde die Rezension liest sich interessant, aber sehr überenthusiastisch. Ich werde es mir auf jeden Fall in Ruhe anhören. Habe nicht alle Soundtrack Ausflüge Mogwais allergenaustens verfolgt. Les Revenants hat mir allerdings sehr gut gefallen.
Fanboi-Wertung des Redakteurs, aber damit täte sich wohl jeder Mogwai-Liebhaber genauso schwer
Ja, weiß nicht. Bin da eher reserviert. Mogwai können Soundtrack und Mogwai können Album. "Les Revenants" zündete bei mir aber tatsächlich erst, nachdem ich die Serie gesehen hatte. (Und dann war ich enttäuscht, dass sie die leicht ausgedünnte Serien-Version von "We're no here" nicht auf den Soundtrack packten... Gehört zu meinen Lieblingsstücken).
Bin gespannt, ob sie das "Unsere Soundtracks funktionieren jetzt auch ohne begleitendes Medium"-Dingens jetzt tatsächlich perfektioniert haben. Auf "Les Revenants" blieben sie ja oft recht vage, haben die angerissenen Ideen zum Ende hin höchstens mal voll instrumentiert ausgespielt, aber den Songs kaum echte Entwicklung oder Veränderung gegönnt.
Wenn der Gedanke des Weiterspinnens der Soundtrack-Ideen hier also konsequenter geglückt ist, kann ich es vielleicht tatsächlich als "echtes" Mogwai-Album betrachten.
schaue gerade die zweite staffel von "les revenants" und bin ungefähr bei der hälfte. lohnt es sich die restlichen folgen noch zu schauen? der plot langweilt mich immer mehr und ich habe das gefühl dass es ein lost-ähnliches serienfinale geben wird oder eins bei dem wichtige fragen mit noch mehr fragen beantwortet werden.
Ich hab's zu Ende geschaut (Lost habe ich nie geschaut, aber via Internet so bissl was mitbekommen).
Das soll jetzt keinesfalls was zur Qualität sagen, aber wenn "Breaking Bad" als Kernthema "Konsequenz" abhandelt, dann tut "Les Revenants" dies mit dem Thema "Akzeptanz".
Die Serie zwingt einen schon, unheimlich viel zu akzeptieren, um sie bis zum Ende schauen zu können. Wenn es Mitte der zweiten Staffel schon nicht mehr gelingt mit der Akzeptanz, dann steig jetzt lieber aus... Man könnte auch sagen, die Autoren muten einem zum Ende hin immer mehr zu - dafür scheint aber recht eindeutig, dass dieser Plot/diese Plots nach der zweiten Staffel nicht weitergeführt werden.
Und Fragen bleiben dennoch mehr als genug. Wo wir wieder beim Thema "Akzeptanz" wären. Komische Serie. Bin stellenweise begeistert, stellenweise angepisst.
evtl sagen dir die früheren sachen mehr zu? schon mal die singles oder mr beast gecheckt?
I'm a full-fledged member of Mogwai Young Team since 1998, bitch!
Sollte nach über 7 Jahren rumpöbeln auf laut.de klar sein, ne? Alles auf Vinyl, was bisher auf Vinyl zu haben war, Rest in Silberscheiben. Fanbrille: Purpur.
Meint ihr die Franzmann-Serie oder das Ami-Remake? (da fand ich die erste Staffel schon vergessenswert)
Ansonsten denke ich bei Mogwai an das grandiose Spiel "Life is Strange" (Kids Will Be Skeletons) mit einem Indie-Soundtrack, dem selbst ich als Genrefremder etwas abgewinnen kann
@django das französische original
@pseudologe ich wollte eigentlich nur wissen, ob das staffelfinale noch sehenswert ist, aber irgendwie bin ich doch noch angefixt. hab auch mal nachgeschaut, es sind noch drei folgen, also werde ich mir den rest mal noch zu gemüte führen
Das französische Dingens. Da kam nämlich in Staffel 1 schon richtig Atmosphäre auf. Und die Bilder! Hatte hier und da was von spätem von Trier.
Bin versehentlich mal eine Folge an das Ami-Remake geraten... Startet statt mit Mogwai-Mucke erst mal mit nem beschwingten College-Rock Sample. Sagt alles über die Quali des Remakes, finde ich.
Die Mogwai finde ich - als Genrefremder - auch gut, habs mir wegen besagtem Spiel geholt
Fandest du die fünfte Staffel auch die schwächste @ Django?
Hi Folks, bin langjähriger, stiller Leser (Stalker) bei Laut und schätze die Meinung einiger User sehr.
Finde das Album schon ansprechend und würde mich gerne mal in Mogwai reinhören. Doch bei einer Band, die seit Mitte der 90er Musik macht, weiß ich nich wo ich am besten anfangen soll.
Irgendwelche Anspieltipps?
Ich mache es, wie damals der Dude, als ich hier gefragt habe und empfehle dir "Hardcore Will Never Die (But You Will)" und "Mr. Beast". Die haben ne ordentliche Hitdichte und vermitteln einen guten Eindruck über die "neueren" Mogwai.
Von den früheren Sachen seien noch "Hapy Songs For Happpy People" und "Come On Die Young" genannt. Ich merke gerade, wie schwer es ist, sich auf einige Empfehlungen zu beschränken. :3
Wenn du Zeit, Ruhe und ne gescheite Anlage hast, sei dir das hier ans Herz gelgegt:
https://www.youtube.com/watch?v=YYpimokjfYw
Come On Die Young oder Hardcore Will Never Die (But You Will) würde ich dir wie bereits mein Vorredner ebenfalls nahelegen. Sind aber zwei sehr unterschiedliche Platten..
...die Frage "Wie merke ich im Verlauf von nur einem einzigen Track, ob Mogwai so gut sind wie der Kram, der mir sonst so ans Herz geht?" beantworte ich ja am liebsten hiermit:
https://www.youtube.com/watch?v=teffTQupBM4
Ansonsten: Die Kombi aus Morpho und battlefire. Wer "komprimiert" die Entwicklung der Band seit den 90ern nachvollziehen möchte, sollte mE
CODY -> Mr. Beast -> HWNDBYW
hören.
Mit Mr. Beast als dem, aus meiner Sicht, zeitlosen Monolithen.
https://www.youtube.com/watch?v=aeRsLPQannM
Mr. Beast schon viel zu lange nicht mehr gehört... Travel Is Dangerous, Glasgow Mega Snake und Friend Of The Night seien hier meine Anspieltipps.
https://www.youtube.com/watch?v=d5GdkOXmcyk
Meine Lieblinge von Hardcore:
https://www.youtube.com/watch?v=W5rR1F1GvQU
https://www.youtube.com/watch?v=typIFjuE7r4
Außer Konkurrenz spielt - und auch das mehr wegen des Namens - "You're Lionel Richie"
Einer meiner absoluten Lieblingstracks ist aber auch der Opener vom 2014er Rave Tapes:
https://www.youtube.com/watch?v=Vf7Jj23BVZM
Und um noch einmal Mogwais Vielseitigkeit hervorzuheben, hier noch ein Stück abseits der großen Veröffentlichungen, von der Earth Division EP:
https://www.youtube.com/watch?v=eIQNWY9osJY
ja klar, zb die compilation zur orientierung. die hier gleich nachfolgenden comments ("der anwalt verlinkt sich wieder selbst, shocking") einfach ignorieren und den von der band angesetzten leitfaden checken. das könnte erstmal helfen.
http://www.laut.de/Mogwai/Alben/Central-Be…
Alles gesagt:
https://www.youtube.com/watch?v=-F1TmBygqp8
Nö, da bleib ich lieber unberechenbar und mache darauf auferksam, dass die vom Anwalt reviewte Compi, ähnlich wie unsere Einzel-Links hier, zwar einen netten ersten Überblick über Schaffensstationen der Band geben kann, wie battlefire aber schon anmerkte, diese Band eigentlich eher als "Kopfkino-Albenband" geschätzt wird, die jedem ihrer Alben (nicht Soundtracks) eine völlig eigene Atmosphäre kredenzen, die auf einer Werksschau wie der Compilation natürlich nur vereinzelt angerissen werden kann...
Das ist schon ein Unterschied im Vergleich zu bspw. einem Komplettdurchlauf "Hardcore..." im Park unter Kopfhörern...
Nice! Hab schon mieses getrolle erwartet, aber nix da!
Danke euch. Check ich alsbald aus.
"Mogwai Young Team" sollte man schon auch nennen, finde ich.
Ja, aber vielleicht anno 2016 nicht unbedingt als Einstieg. Wenn man sie schon gut findet und begreifen möchte, warum sie noch viel besser sind, als man eh schon dachte, eher, oder?
Es ist schon eine beeindruckende Entwicklung von ein paar wütend eingedroschenen Git/Bass/Drums-Parts mit diversen darüber gelegten Sprachsamples zu den multinstrumental verdichteten und seidig umschlingenden Klangkosmen von Atomic, imho.
Stimmt schon, andererseits könnte es sinnvoll sein, die Entwicklung, gerade weil sie so beeindruckend ist, auch chronologisch nachzuvollziehen. Ist aber Haarspalterei, einen Fehlgriff kann man bei Mogwai kaum machen - nur den Einstieg via Kompilation finde ich problematisch; die Gründe dafür hast du ja schon genannt.
Leute...
Sehr befremdlich die Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki als "den kleineren Geschichten gewidmet" zu bezeichnen oder weiß Herr Heppeler nicht, dass Little Boy und Fat Man die Kosenamen der Amis für die beiden A-Bomben waren. Bin sonst auch Fan der Seite und den Kritiken, hier würde ich aber doch eine Überarbeitung empfehlen!
Mogwei who...?
xD vergessen, nachlässig, aber bei Drive-by-Postern wohl zu verzeihen.
"Pripyat" auf voller Lautstärke führt indes auch weniger musikbewandten Nachbarn musikalisch eindrücklich die Kernschmelze vor Augen...