laut.de-Kritik

Das tragische Liebesleben von Max und Erika Mustermann.

Review von

Ach, ich weiß echt nicht mehr. Als Montez "Liebe In Gefahr" veröffentlicht hatte, war ich so sauer wie selten in meinem Dasein auf dieser Seite. Sein unglaublich belangloser Deutschpop-Schmonzetten-Sellout kam mir wie der aufdringlichste und vehementeste Verkauf einer Seele vor, den ich in meinem Leben als Musikkritiker mitbekommen habe. Nicht nur, dass die Musik schlecht war: Ich habe mich wirklich aktiv provoziert davon gefühlt, dass jemand etwas so Flavourloses machen kann und damit auch noch Erfolg hat. In meiner Welt gab es, dachte ich eigentlich, ein Maximum an Zynismus, Kalkül und Glätte, das auch das größte Mainstream-Publikum irgendwann abstoßen müsste.

Aber nein, Montez gehört nun zu den erfolgreichsten Vertretern seiner Zunft. Egal, dass all seine Songs zusammengebaut sind wie Ikea-Regale im Akkord, egal, dass er ein Charisma wie ein Laiendarsteller bei "Mitten im Leben" hat. Es gibt kein "zu mid" für den deutschen Musikmarkt. Flötet die Pavlovschen Gefühlsduselein, drückt die richtigen Knöpfe, es wird laufen.

... und jetzt steht da ein neues Montez-Album vor mir, und ich kann die Wut vom letzten Mal einfach kein zweites Mal zusammenraufen. Ja, ich finde es schlecht. Ich finde es regelrecht unhörbar. Aber was soll ich überhaupt damit? Ihr geht doch auch nicht mit dem Stock-Photo von einer Blumenwiese, das irgendeine Werbeagentur für die positiven Assoziationen auf eine Packung Wurst gedruckt hat, zu einer Kunstkritikerin und fragt, was sie von der Farbgestaltung und der Metaphorik hält.

"Pass Auf Mein Herz Auf" löst in mir Resignation bis zur Apathie aus. Mit mehreren hochrangigen Songwritern, darunter Esther Graf, habe er sich nach Norwegen verzogen, um dort sein sicherlich persönlichstes und bestes Album aufzunehmen. Es habe einen ganz besonders maritimen Flair, hehlt Montez im Pressetext.

Bitte, was daran? Die Produktion auf diesem Album ist so steril, dass 99 Prozent der Bakterien sterben müssten, wo auch immer man diese CD ablegen würde. Als Haushaltsgegenstand sicher praktisch, aber musikalisch wirklich fad. Immer wieder tun sich Gitarren-Licks auf, die klingen, wie aus einem Chill-House-Song von 2016 (die Art, die schlechte Radiosender um 3 Uhr morgens spielen). Pianos spielen die zertifizierten traurigen vier Akkorde™, und die Drumbeats dudeln dann mechanisch und kalt ihre pseudo-peppigen Pop-Voreinstellungen dahin.

Es gibt keinen Moment, in dem irgendetwas auf diesem Album auch nur andeutungsweise danach klingt, als hätte man irgendeinen Regler an irgendeinem Preset bewegt. Jeder Sound klingt so absolut nach der generischsten Werkeinstellung, dass man das Gefühl hat, man stehe in einem Rohbau: Hier lebt niemand, von all den Dingen wurde noch nicht einmal das Plastik entfernt, in das eingeschweißt sie geliefert wurden. Wer aus dieser Nicht-Musik das Meer heraushören möchte, bräuchte starke Dosen LSD. Aber ich glaube, nicht einmal auf einem High, bei dem man den Wind vor dem Fenster oder das Ticken einer Uhr für die krassesten Sounds im Universum halten würde, würde dieses Album etwas auslösen. Montez macht so etwas wie das Gegenteil von psychedelischer Musik. Dieses Album sollte in Ausnüchterungszellen laufen.

Das ist übrigens auch der Eindruck, der sich bei den Texten aufdrängt. Der Vorgänger war ja immerhin noch in seiner Inkompetenz manchmal lustig. Das hier ist unausstehlich, förmlich okay. Wenn ich einen Song hervorheben müsste: "Einzimmerwohnung" kommt noch am ehesten an diesen mondänen Schmerz einer verflossenen Beziehung heran. Wenn Montez darüber singt, dass er jemanden vermisst, mit dem er "unsere Serie" gucken könne, dann wirkt es einen Moment immerhin so, als ergänze die Belanglosigkeit dieses Moments die Alltäglichkeit des Schmerzes irgendwie. Ein bisschen wie Sido es auf seinem "Paul"-Album gemacht hat.

Aber, woah, selbst aus diesem Blickwinkel betrachtet, bleibt dieses Album einfach unerträglich. Montez sagt ohne Scham Sachen wie "Sag' deiner Mum ich bin der Schwiegersohn, den sie braucht" oder "Jetzt sind die Nachbarn zu laut / Ey, Was fällt denen ein". Manchmal führt das Streng-nach-Handbuch-Texten auch an einfach komische Orte, wie zu dieser Hook: "Ich hab' überall gesucht / In Argentinien und Peru / hab' wirklich alles hier versucht / aber niemand ist wie du." Was für ein verschrobenes, sinnloses Setup für eine Phrase! Der Tracktitel "Argentinien Und Peru" wirkt für eine Sekunde immerhin noch so, als käme jetzt etwas Spezifisches und Interessantes, warum sonst würde man zwei so konkrete Länder benennen? Aber nein, er hat einfach nur einen nie weiter aufgegriffenen Zweckreim für den Aufbau zum nächsten Allgemeinplatz gebraucht.

Generell: Das Fehlen von irgendetwas Spezifischem macht das Album am meisten kaputt. Gepriesen sei das Format des Songwriter-Camps, das auf diesem Album in vollem Glanz zeigt, was daran schiefgehen kann. Mag ja sein, ich will es gar nicht in Frage stellen, dass hier viele auf ihre Art und Weise musikalisch kompetente Menschen an den Reglern saßen. Aber von Synergie ist wirklich nicht zu sprechen.

Das ganze verdammte Album spielt nur Liebesschnulzen und Break-Up-Songs. Die leben davon, dass man irgendeinen Eindruck von dem Pärchen in Question bekommt. Wenn so viele Leute ihre kompetent aufgeschriebenen Liebesleben-Phrasen zusammenmatschen, verhindert das, dass auch nur aus Versehen etwas Individuelles auf dem Textblatt landet. Wir hören hier auf dem Album deswegen so etwas wie das große, tragische Leben einer Beziehung zwischen Max und Erika Mustermann. Mit einem emotionalen Payoff, der nicht über ":)" und ":(" hinausgeht.

Das Unspezifische erklärt dann auch übrigens diese Instrumentierung, die selbst für den Hintergrund eines YouTube-Tutorials zu anonym ausfiele. Wie sollte ich wütend auf "Pass Auf Mein Herz Auf" sein? Es ist so generisch, wie Musik nur irgendwie sein kann. Es ist eine zynisch, seelenlos durchexerzierte, irgendwie runtergearbeitete Darbietung musikalischer Kompetenz. Es macht theoretisch nichts falsch, aber es macht auch ums Tausendfache nichts richtig.

Man will sich nur vorstellen, dass Montez und sein Team jeden Tag in Norwegen von Punkt 10 Uhr bis Punkt 16 Uhr mit einem perfekt neutralen Gesichtsausdruck auf ihrer Arbeit aufgetaucht sind und absolut mittelmäßige Schnulzentexte ohne jedes emotionales Investment abgefertigt haben. Dazwischen gingen sie zum Mittagessen in die Kantine, wo sie über Fußball oder das Wetter geredet haben. Genau das ist dann auch der Nicht-Flavour, der dieses Nicht-Album ausstößt: Dieses Album riecht wie ein neuer, noch nicht belebter Co-Working-Space in Berlin, Mitte. Mit Tischkicker, den nie jemand benutzen wird, und einem Teller Plastikobst.

Trackliste

  1. 1. Erste/Letzte
  2. 2. Verstecken
  3. 3. Argentinien & Peru
  4. 4. Ufos
  5. 5. Wünsch Dir Was
  6. 6. Verletzte Menschen
  7. 7. Sekundentakt
  8. 8. Du Bringst Mich Um
  9. 9. Mit Dir Ist Es Anders
  10. 10. Was Machst Du So
  11. 11. Wie Viel Wiegt Ein Herz
  12. 12. Einzimmerwohnung
  13. 13. Seltsam Still
  14. 14. "Glücklich"
  15. 15. Pass Auf Mein Herz Auf

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9 Kommentare mit 36 Antworten

  • Vor 28 Tagen

    Montez ist die Art von zeitgenössischer Künstler, der in seiner Gegenwart vielleicht erfolgreich ist, aber schon in spätestens 10 Jahren im Nostalgie-Filter steckenbleibt, eben weil er absolut kein Zeichen mit seiner Musik gesetzt hat.

    Ich meine, wer denkt heutzutage noch an Band ohne Namen, Natural, Tiziano Ferro, B3, Ronan Keating, Ben, Gareth Gates, Stacie Orrico usw.

    • Vor 28 Tagen

      Vor allem aber weil er nichts liefert das man nicht ständig hört. Vor allem eine Stimme die nichts hinterlässt außer Langeweile.

    • Vor 27 Tagen

      Vielleicht macht er ja den Rea Garvey, und erhält seine Autobahnraststättenrelevanz durch irgendwelche TV-Shows.

    • Vor 27 Tagen

      ronan keating hat mit yusuf islam father and son neuinterpretiert. das ist ein recht gelungenes lied

    • Vor 26 Tagen

      Ich sag' ja auch nicht, dass die von mir genannten Figuren der frühen 2000er schlechte Musiker gewesen sind. Das waren ja eben alles Leute, die in der Zeit über einen gewissen Zeitraum etabliert waren, regelmäßige Fernsehauftritte hatten und teilweise hohe Chartplatzierungen landen konnten.

      In Erinnerungen blieben aber entweder die Konsensmusiker, die am meisten Fans hatten und nostalgische Erinnerungen verursachen UND stellvertretend für bestimmte Nischen stehen (z. B. No Angels, Eminem etc.) oder halt die Ausreißer mit ihren kommerziell weniger erfolgreichen Experimenten (auf die schnelle fällt mir nur MF Doom ein), die in der Retrospektive ihre Größe erfahren haben. Die Leute, die das gemacht haben, was die großen Namen machten, fallen halt in der Regel weg.

  • Vor 28 Tagen

    Wenn weichgespülte Plastikemotionen vom Reißbrett tropfen..Prätentiöse Scheisshausbarden wie dieser hier sind der Grund, warum ich überhaupt keinen Bock mehr auf Deutsch"rap" habe. Alles eine eklige Melange an steriler Berechnung ohne den Versuch einer Seele.

    Ich würde eher noch am Speakers' Corner Wingos Reimräusche rezitieren als mir solch akustische Jauchegruben in die Gehörgänge zu kippen.

  • Vor 28 Tagen

    Das Cover hahahahahaha