laut.de-Kritik
Tiefsinnige Perlen neben flachen Supermarktsongs.
Review von Ulf KubankeHeureka! Es ist vollbracht! Oi Va Voi haben eine Stammvokalistin gefunden. Und was für eine. Bridgette Amofah heißt die neue Sängerin und passt wie die berühmte Faust aufs Auge.
Nachdem die temperamentvolle Dame bereits seit einiger Zeit zur Live-Garde der von Umbesetzungen gebeutelten Truppe zählt, übernimmt sie nun endlich auch im Studio das Zepter. Gänzlich ungetrübt ist die Freude über ein tönendes Lebenszeichen der klezmernden Briten gleichwohl nicht.
Unwiderstehlich frühlingsflockig schmeicheln sich der Opener "Waiting" und der Live-Killer "Dusty Road" in die Ohren und ins Tanzbein. Man achte bei ersterem auf das Highlight in Form der Takt gebenden gezupften Violine Anna Phoebes.
Die sehr poppige Grundstimmung zieht sich dann auch wie ein roter Faden durch das Album. Doch die Gratwanderung zwischen Radiotauglichkeit und Klezmer geht leider auch mal deutlich daneben. Der Titeltrack "Travelling The Face Of The Globe" ist zwar flott konzipiert, gerät aber ungewohnt flach und vorhersehbar. Der Abnutzungseffekt stellt sich schnell ein.
"Long Way From Home" und "Stitches And Runs" lassen die frühere Substanz im Songwriting doch arg vermissen. Das ist so unfassbar glatt polierter Pseudoklezmer wie The Corrs Bügelbrettversion von keltischem Sonwriting.
Doch die alte zwingende Intensität ist nicht vollkommen verlernt. "S'brent" brennt fast quälend mit einer dringlich klagenden Intensität, die dem 1942 ermordeten jüdischen Troubadour und Poeten Mordechaj Gebirtig als Verfasser des Textes sicherlich Tränen der Rührung in die Augen getrieben hätte. S'brent Bridderlech, s'brent. Shteyt nech, Bridder. Lesht das Foir. Oinsr Shtelt brent.
"Every Time" lässt den Funken der Verzückung mit leicht judifizierter 60ies Psychedelia auf den Lauscher überspringen. Die gekonnte Vermischung männlichen Gesangs mit der spät einsetzenden Stimme Amofahs hält die Repeat-Taste in Reichweite.
Fast chansonesk und sehr ergreifend beendet "Photograph" den Reigen mit dem alten französischen Haudegen Dick Rivers als Gast. Die wehmütig lebenserfahrene Würde seines rauen Sprechgesangs verleiht diesem charmanten Lied eine Prise jener Zeitlosigkeit, die sonst nur den ganz großen Tracks zuteil wird.
So bleibt der Hörer am Ende ein wenig Schulter zuckend ratlos zurück. Das Album bietet musikalische Feinkost und Fastfood gleichermaßen; stellt tiefsinnige Perlen neben - für Oi Va Voi-Verhältnisse - fast schon penetrant flache Supermarktsongs. Aber vielleicht ist dies gerade das Geheimnis, das die Scheibe für Einsteiger in dieser Musikrichtung zum idealen Objekt macht.
16 Kommentare
*hust*
Äh, Herr Kubanke, erklären Sie doch eben mal einem Unwissenden, was "judifiziert" bedeutet.
grob gesagt:
auf jüdisch getrimmt; akustisch in diesem fall.
naja.....:D....ich habe mich da zu einer wortschöpfung hinreissen lassen....aus gründen der bildhaftigkeit in der darstellung
du elender provokrokant!
die sängerin ist übrifgens eine schwarze. soll früher viel soul gemacht haben.
interessante mischung
Habe das Album leider auch erst nur eher flüchtig durchgehört ... und war angesichts der kritischen Zwischentöne in der Review weit mehr als nur angetan und beruhigt. Die Sängerin hat ein sehr interessantes, leicht maskulines Timbre ohne irgendeine Art von Glattgebügeltheit. Als ich Oi Va Voi irgendwann so 2004, 2005 erstmalig live erlebte, war auch eine schwarze Sängerin dabei, aber ich glaube das war eine Kubanerin, bin mir aber nicht mehr sicher. Ist diese Band übrigens wirklich auf der Suche nach einer "festen" Stammsängerin? Mir gefällt dieses offene Konzept eigentlich. Die haben schon mit so vielen Gastvokalistinnen zusammengearbeitet, mir schien das eher als eine Bemühung um Vielfalt.
Der Gesamtsound fällt nicht aus dem Rahmen, aber ich bin dennoch erstmal positiv zugetan. War ich allerdings irgendwann mal gegenüber zum Beispiel "Nada como el sol", einem spanisch-portugiesischem Auszug aus Stings "Nothing Like The Sun" auch. Heute halte ich diese EP für eher maniriert-geschmäcklerischen Edel-Käse. Wenn auch nicht schlecht gemacht. Wie komme ich gerade auf diesen Vergleich? Weil es zumindest in "They Dance Alone" um ähnlich starken Tobak (die Verschleppten des Pinochet-Regimes) geht wie in "s brent". Den Song kenne ich aus einer Sammlung traditioneller jiddischer Musik in einer Fassung mit Emma Schaver. Und er ragt aus diesen Liedern mit Witz und Sinn für Lebenstragik und Humor wie "Gefilte Fisch" oder Sachen von den Bagelman Sisters oder windschiefen Aufnahmen von Naftule Brandwein in seiner Art schroff und ohne Trost heraus. Erinnerte mich irgendwie an das Bild "Der Schrei" von Edward Munck. Auf "Travelling ..." reiht sich das Stück ziemlich organisch ein ... nur so eine Überlegung.
Der letzte Song ("Photograph") ist nun leider der einzige, der mich deutlich weniger ansprach.
Der Vergleich zum Vorgänger: EIn Stück wie "Yuri" fehlt mir jedenfalls nicht, ist mir mittlerweile einfach zu sehr auf "nach vorn gehend" getrimmt.
Erstes Fazit: Oi Va Voi gehören nach wie vor wie vor zu den bewunderten Bands. Ganz klar.
quatsch. ich will meinen yuri wiederhaben!