laut.de-Kritik
David Lynchs Hauskomponist beherrscht weiterhin alle Gefühlsmuster.
Review von Martin MengeleAls Anfang der 1990er, weit entfernt von Internet oder Social Media, die Serie "Twin Peaks" auf dem noch relativ jungen Privatsender RTL Plus ausgestrahlt wurde, hatte sich ihre außergewöhnliche Popularität schon nach Deutschland herumgesprochen. Als David Lynch-Verehrer war mir jedenfalls sofort klar, dass man das Ding in einem Stück anschauen muss. Zu groß war die Gefahr, eine Folge zu verpassen oder anderweitig Plot-Details zu erfahren.
Erst als mir ein Kommilitone 1996 seine VHS-Kopien überließ, stand dem Abtauchen in diese Welt nichts mehr im Wege. Bei Donuts, Kirschkuchen und Kaffee wurde diesem Meisterwerk der Fernsehunterhaltung ein komplettes Wochenende geopfert. Schon als sich bei Folge zwei das klassische Twin Peaks-Thema in unseren Ohren wiederholte, brannte es sich tief in unserem Gefühlsmusterkatalog ein.
Im Jahr 2017 wird die noch unbekannte dritte Staffel der Serie natürlich auch erst angeschaut, sobald die gesammelte DVD-Box unter dem Weihnachtsbaum liegt. Der Score hat es jedoch schon vorab - gemeinsam mit dem Sampler zur Serie - auf meinen Schreibtisch geschafft. Trotz Angst vor Spoilern widme ich mich mehr als 20 Jahre später erneut dieser zeitlosen Komposition von David Lynchs Leib-und-Magen-Komponist Angelo Badalamenti.
Sie enthält erwartungsgemäß neben dem klassischen Twin Peaks-Thema, dem Laura-Palmer-Thema und anderen Bekannten auch neue Kompositionen. Das aufgejazzte "Deer Meadow Shuffle", das mit seinem kuscheligen Beat und dem verspielten Xylophon an klassische amerikanische Detektiv Noir-Serien erinnert, streng schwarz-weiß und düster. Aber eben auch Referenz an Lynchs bisherige Werke wie "Lost Highway".
Die Mehrzahl der Stücke folgt dem Grundthema: herbsterfüllt und schwer, voller Nebel und Zwielicht. Stellvertretend "Dark Mood Woods / The Red Room", als wäre man tatsächlich im traumgleichen Red Room gelandet, mit weichem Hall ausgekleidet, von Echos aus Keyboard-Teppichen umgeben, während ein Zwerg und ein Riese in ihren gepflegten Anzügen tanzend auf dem gemusterten Parkett konzentrisch spiralieren.
Oder das schwer verdauliche aber gefällige "The Chair", das Drama und Tragik versprüht und damit die wichtigsten Elemente der Serie in einem Song vereint. Abgründe, die sich auftun, wenn oberflächliche Idylle und Schein beiseite geschoben werden.
Badalamenti gelingt es immer noch, eine intime Darkness zu beschwören, ohne einen lauen Neuaufguss zu kreieren. Er erzeugt dieses fantasieanregende Gefühl, das Serien-Zuschauer in ihren Bann zieht. So sehr, dass sogar ungesehen neue Szenen aus der Serie vor dem geistigen Auge an einem vorbei rauschen. Ein Gefühl, das Lynch mit seinen Bildern nur noch zu stützen braucht. Szenen im Wald und am Fluss, dort wo einst alles begann und hoffentlich nie aufhört ...
2 Kommentare
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Fand schon den ersten Soundtrack zu Twin Peaks von Herrn Badalamenti sehr schön und melancholisch. Wenn man auf sowas steht, macht man nichts falsch.