laut.de-Kritik
Ausbruch aus der Metalcore-Lethargie.
Review von Nico EscheParkway Drive brachten nach der Ankündigung von "IRE" häppchenweise Auskopplungen unters Volk. Plötzlich schienen die Foren zu explodieren: Fans prophezeiten unter anderem einen "weiteren Schritt hinein in den Untergang des Metalcores" und den "letzten und endgültigen Nackenschuss für die Band". Ruhigere Parts weichen demnach den gewohnten Sound aus heftigen Breakdowns, harten Riffs und straightem Tempo auf.
Aber worüber reden wir hier? Stagnation, Ideenlosigkeit - oder genug Mut, um seine Musik neu zu erschaffen und sich selbst in einem anderen Licht darzustellen? Parkway Drive trampeln mit ihrem fünften Werk nicht nur den gewohnten Pfad ab. Sie zerpflügen, ebnen und teeren ihn mit ihrem vermeintlich Metalcore-fernen Sound. Die Zeiten des Schneller-Härter-Besser(?) sind vorbei. Ab sofort legen die Australier noch mehr Wert auf musikalischen Anspruch.
"Destroyer" bietet Parkway-typisch ein Riff zum Anbeten und walzt wie ein Zehntonner alles nieder. Dabei achten sie mit an Perfektion grenzender Präzision darauf, dass ihre Tracks jeden Augenblick einen Haken schlagen könnten und dies tatsächlich auch tun. Speziell mit "Destroyer" brechen sie die verkrusteten Metalcore-Wände auf und versetzen ihre Musik mit klassischen Hardrock-Elementen, die aus den 80ern stammen könnten.
Bei "Dying To Belief" schlägt der Puls ebenfalls höher: unverkennbar Parkway Drive, aber mit seinen Arrangements musikalisch liebevoller, exzentrischer und doch mit gewohnter Brutalität gestaltet. Spätestens hier hängt man an der Nadel und bleckt die Zähne.
Es ist mir ein Rätsel, wie die Herren sich eine so große Portion Mut und Wut aneignen und sie kanalisieren konnten, ohne einen einzigen Moment lang den Überblick über ihre Strukturen zu verlieren. Die vorangegangen Platten der Aussies waren sicher ebenfalls überdurchschnittlich produziert und manche der Songs Perlen im Wust der Breakdown-Orgien à la While She Sleeps und Breakdown Of Sanity. Doch die Lethargie, das Phlegma des Genres, machte auch keinen Halt vor Winston und Gespann.
Sie selbst wollen sich davon befreien. Das Bild von den gesprengten Ketten trifft es nach den ersten Minuten der Scheibe dann aber doch nicht ganz. Parkway Drive fusionieren mit der Kette und zaubern mit "Vice Grip" einen weiteren Höhepunkt: ein Zwitterwesen aus Killswitch Engage-Riff, Manowar-Crowdshout und dem unwiderstehlichen Groove eines Machine Head. Winston brüllt sich mit seinem stimmlichen Talent durch die viereinhalb Minuten und bringt das Blut in Wallung: einer der besten Songs seit langem.
Gäbe es nicht "Crushed" mit seinen meditativen Mantra-Gesängen, der unheimlichen Atmosphäre und reichlich neuen Facetten. In einem Crescendo aufbauend, eruptiert der Track zum Refrain hin und ergießt sich in einen gefühlvoll-zerstörerischen Chorus, nach dem man sich die Finger lecken möchte. Wie von der Muse geküsst, wandeln Parkway Drive durch ein Reich des Schmerzes und lassen Schönes daraus hervorgehen.
Nicht dass jemand auf den Gedanken käme, die Herren produzierten erst seit kurzem geistreichen, anspruchsvollen Metal! Allerdings erschien ihr kreativer Output bis zu "IRE" nie so rund und zugleich interessant. Man ertappt sich stets dabei, mit schelmischen Grinsen auf den nächsten vorausgeahnten Teil eines Songs zu warten, bevor die Australier dieses Lächeln mit scharfer Klinge sehr schnell wieder aus dem Gesicht fetzen: Akustikgitarren und Tambourin in einer heftigen Keule "Fractures"? Hölle, ja! Zarte Streicher als Opener und ein Piano in Kombination mit dem unheilvollen Vorträgen Winstons in "Writings On The Wall"? Auch beim dritten Rundflug durch das Album ein Hörgenuss.
Während man noch darüber sinniert, wie opulent besagte Songs klingen, setzen Parkway Drive direkt hinterher. "Bottom Feeder" und "The Sound Of Violance" gehören zwar nicht zu den besten Songs der Platte, gingen bei anderen Metalcore-Formationen allerdings als absolute Höhepunkte auf ihren Alben durch. Für die Parkways dürfte es eine Herkules-Aufgabe bedeutet haben, die erste Hälfte der LP noch einmal zu toppen.
Das exotisch angehauchte "Vicious" balanciert mit dem metaphorischen Finger am Abzug zwischen epischem 80er-Hardrock und der Räudigkeit ihrer letzten Scheibe "Atlas". Nostalgisch, wenn man dies im Zusammenhang mit den Vorgängeralben überhaupt so nennen kann, hämmert "Dedicated" sämtliche Ängste aus den verhärteten Köpfen der Zweifler, die zuvor am lautesten geschrien hatten. In wildem Blutdurst ballern Parkway Drive sich durch den kurzen Track und hinterlassen verbrannte Erde, bevor sie mit "A Deathless Song" einen großen Abschluss hinlegen, der bittersüßer nicht hätte ausfallen können.
Mit "IRE" liefern Parkway Drive ein Werk ab, das sie mit kommenden Platten nur schwer toppen dürften. Die Metaller aus Down Under erzeugen einen alles zersetzenden Dunst aus brutalen Growls, dicken Gitarrenwänden und Symphonischem, das nahezu perfekt mit dem 'neu-alten' Sound harmoniert. So viel Abwechslung und zum Jauchzen schöne Melodien hört man nur selten. Die Kombination hasst man, oder man liebt sie. Das Interesse lohnt aber auf jeden Fall.
6 Kommentare
Echt 5?!
Untergang des Metalcore ist immer was Gutes *Genrefaschismus off*
Ich fand die Singles nicht gut. Ich halte es auch nicht für sehr innovativ, Metalcore zu verlassen und 80s-Rock zu imitieren.
Gefällt mir als Genrefremden, der gerne mal über den Tellerrand schaut sehr, sehr gut. Bin nach dem rein hören versucht sie mir zu holen.
Wollen wir ehrlich sein, PWD haben hier gar nichts neu probiert und sind auch nicht innovativ oder risikobereiter. Von vorne bis hinten die gewohnte Kost welche natürlich immer noch bestens funktioniert. Ähnlich wie bei Rise Against auf die breiteste Fläche des Genre produziert und jedes Riff ist wahrscheinlich ausgelotet für den Markt. Wuchtig und nen Tick zu dick aufgetragen aber ansonsten durchaus nen spaßiges Album.
Geht gut rein, für meine Ansprüche reichts allemal