laut.de-Kritik
Grenzenlosigkeit schafft Freiheiten.
Review von Jan EhrhardtGanze drei Jahre sind seit "The Rising Of The Son" vergangen. Drei Jahre, in denen sich viel verändert hat. Lokal, regional, national und vor allem global. Patrice denkt generell eher in dieser Einheit. Grenzen zu ziehen ist im ebenso zuwider wie sich auf sie zu berufen. "Nationalismus ist scheiße", sagt er in unserem Interview. "Man kann und darf stolz sein auf eigene Leistungen, ja, aber nicht darauf, irgendwo geboren zu sein."
Nimmt man dies als Schlüssel für sein neues Album "Life's Blood", wird sehr schnell klar, welche Intention dahinter steckt. Musikalisch wie inhaltlich. Zugegeben: Patrice ist als Musiker nicht immer einfach zu durchschauen. Seine Argumente verpackt er zumeist vielschichtig. Musikalisch ist er seit jeher experimentierfreudig.
So gerät auch der neue Langspieler: Man kann ihn hören und hören, und noch immer nicht so recht verstehen. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem man sich die Vorstellung der Grenzenlosigkeit vor Augen hält. Plötzlich setzt sich das Puzzle zusammen. Plötzlich ergibt alles Sinn.
Patrice setzt seinem eigenen Leben keine Grenzen. Die Mutter ist Deutsche, der Vater stammt aus Sierra-Leone. Als Gaston Patrice Babatunde Bart-Williams in Köln geboren, zieht es den Sänger bald in die weite Welt. Noch heute wohnt, lebt und arbeitet er in Frankreich, Deutschland und den USA. Diese eigene Grenzenlosigkeit schafft neue Freiheiten.
Diese Freiheiten wiederum schaffen neue Möglichkeiten. Mit Diplo als Co-Autor und Produzenten am neuen Album zu arbeiten, beispielsweise. Ebenso mit MØ oder mit den Picard Brothers, die das musikalische Konzept von "Life's Blood" maßgeblich geprägt haben. Dieses Konzept gerät weniger verkopft, als noch auf den Alben zuvor. Es schafft Raum für Experimente ("Guns & Tings") und hält Platz für Altbewährtes frei ("Out In The Open", "So She Say'").
OMI begeistert als Gastsänger ("Meanin'") ebenso wie das Armstrong-Cover "What A Wonderful World" in kreolischem Dialekt. Lediglich "Love Your Love" fällt etwas ab. Das liegt aber keineswegs daran, dass der Song nicht gelungen ist. Er hält einfach nur nicht so ganz mit der Qualität der restlichen Titel Schritt.
Generell besitzen die Kompositionen eine unglaubliche Tiefe. Jeder einzelne der 16 Songs darf sich entfalten und sein eigenes Klangspektrum offenbaren. Begleitet von einem Sänger, der gewohnt klare Bilder entwickelt. Über Armut und Ungerechtigkeit. Über Krieg und den Tod. Patrice singt über eine Welt, die Menschenhand zu dem machte, das sie heute ist. Aber Patrice singt auch über eine Welt, die von Menschenhand erneuert werden, zum Guten hin verändert werden kann. "We Are The Future In The Present": Kein Titel könnte das treffender beschreiben.
Mit "Life's Blood" vollzieht Patrice den Spagat zwischen Reggae und Pop. Auffallend viel Pop. Aber das ist gut so. Die LP klingt zeitgemäß, ohne zeitgemäß sein zu wollen. Genau das macht sie zeitlos.
1 Kommentar
Treffende Review! Gelegentlich flacht das Album zwar etwas ab aber insgesamt eine runde Sache. Und man benötigt wirklich mehrere Hördurchläufe