laut.de-Kritik
Man versus Nature: Wir verlieren.
Review von Yannik GölzEs gibt Menschen wie mich, deren Reise ins Metal-Land nach Ableisten der handelsüblichen Klassiker irgendwie mit einer exklusiven Vorliebe für Black Metal versandet ist. Macht mich das zu einem Metalhead? Zweifelhaft. Subjektiv würde ich die These aufstellen, dass mein anhaltendes Interesse an Black Metal vor allem ein Quest ist, zu rekonstruieren, was vor Jahren das erste Mal "Filosofem" von Burzum bei mir ausgelöst hat. Nur eben hoffentlich ohne die furchtbaren Menschen.
Nur leider sind die wirklichen Volltreffer rar; entweder ist die Musik doch nicht so abgefahren und kreativ, oder die Bands bestehen doch aus furchtbaren Menschen. Oft ist es beides! Aber immerhin eine Truppe gibt es, die sich in meinen persönlichen Olymp vorgearbeitet hat. Denn kaum ein Projekt hat sich mir so augenblicklich und durchschlagend erschlossen wie Paysage D'Hiver mit seinen kristallinen, depressiven Klangwänden und dem teils wunderschön ins Ambiente schwappenden Dungeon Synth. Alben wie "Paysage d'Hiver" oder "Die Festung" gehören zu meinen meistgespielten Metal-Platten - und dieses neue Material, das sich wie ein Follow-Up von "Im Wald" von 2020 anfühlt, könnte das bisher beste Werk des Schweizers sein.
Könnte man die erste Ära von 2008 bis 2013 noch emotional in sehr düsteres Fantasy einordnen, spielt dieser neue Run ganz klar im Horror. Die neuen Alben sind stockfinster und unheimlich. Und das ist eine sehr coole Entwicklung, denn Black Metal ist ein unglaubliches Vehikel. Es hat einen Grund, weshalb dieses Genre eine lange Tradition hat, Motive von Poe bis Lovecraft als Konzeptalben zu verwerten. Es hat eben einen Hang ins Kryptische, ins vom Lo-Fi Verschleierte, ins Unheimliche.
Denkt nur auf das Genre-Staple schlechthin: "De Mysteriis Dom Sathanas" ist mit seiner skandinavischen Teufelsanbetung ein quintessentielles Halloween-Album. Horror und Black Metal haben sich über die Jahre immer weiter verknüpft, genau wie Horror in Fiktion generell einen langen Weg hinter sich hat. Lovecraft könnte man ans Ende eines Wettrüstens der Fantasie stellen. Da denken wir Menschen uns im Kosmos und der fünften Dimension lauernde Space-Kraken-Götter aus, gegen die der ehemals angerufene, biblische Teufel kaum noch wie der Endboss fürs Tutorial-Level aussieht. Entsprechend dieser literarischen Spooky-Skala legten dann auch die Metaller graduell die Messlatte für den Buh-Faktor höher.
Genau hier kommt Paysage d'Hiver und "Die Berge" ins Spiel - und zwar als Kontrapunkt. Diese neuen Alben haftet ein gewisser Minimalismus an: "Im Wald", "Die Berge", so könnten auch Broschüren in Kitzbühel heißen. Und trotzdem sind diese beiden Platten mit ihren exorbitanten Überlängen mitunter das Unheimlichste, das der Metal je hervorgebracht hat. Unheimlich im wörtlichen Sinne: Un-heim-elig. Abweisend. Schroff. Mit Gitarrenflächen wie Schneewehen, die die polternden, steinigen Blastbeats mitunter ganz verschlucken. Und mit diesen Unwetter-Field Recordings. So erinnert diese Musik uns Menschenäffchen daran, wovor wir historisch gesehen wirklich Angst haben sollten: vor einem Unwetter. Wölfen. Vor der Nacht.
Vor der Unwirtlichkeit dieser eineinhalb Stunden unterkühlten Bergzackenlandschaft von einem Album schützen uns weder Plot noch Pathos. Es gibt keine Protagonistenrolle, keine Antagonistenrolle, keine Heldenreise, kein Gut, kein Böse. Es gibt nur Böe nach Böe, mal Schneetreiben, mal Blizzard, das die Gitarren monochrom mit weißer Farbe auf eine große, kantenlose weiße Leinwand malen. Dieses Album ist mehr Naturschreiben als menschliches Erfahren. Es ist Natur, schreibend, und die packende Gewalt, die sich darin entfaltet, mehr oder weniger ein unbedachtes Nebenprodukt.
So entsteht ein viel archaischerer Horror, kein Teufels-Kitsch und kein 'Buh!', sondern einfach nur ein unbequemes, überlebenstriebiges Gefühl von 'Ich sollte hier nicht sein' - dieser Ort wird uns töten, und er wird es tun, ohne den Anspruch oder Absicht zu haben, es zu tun. Tatsächlich ist das der ganze Trick des Pacings. Klar, es gibt schon einen Albenaufbau und eine sich nach und nach entfaltende Dramaturgie. Aber es ist kein Album, das sich auf ein akutes, haptisches Storytelling verlassen will.
Es folgt grob der Idee, einen Berggipfel zu besteigen, vom Unterholz im Tal über die Selbstbegegnung im Aufstieg bis hin zum Gipfel. Und ich könnte durchaus auf die kleinen Momente der Variation verweisen, wie den wunderschönen Synth-Moment zwischen "Transzendenz I" und "Transzendenz II" und die tatsächlich atemberaubend schönen kurzen, türmenden Klavier-Aufstiege, die in den letzten Momenten vor "Gipfel" in die Szenerie gemischt werden. Diese letzten, kleinen Tropfen Sonnenlicht.
Aber damit würde ich die Kernerfahrung dieses Albums falsch verkaufen. Dieses Album ist gigantisch, mächtig und unglaublich monoton. Es ist im Erleben vermutlich näher an einem "Ravedeath, 1972" von Tim Hecker als an seinen genetischen Metal-Wurzeln. Es gibt diese kleinen Momente der Varianz. Aber dieses Album zu erleben, heißt in meinen Augen wirklich, sich der Weitläufigkeit, der Repetition und der Unwirtlichkeit zu stellen, die über die eineinhalb Stunden Laufzeit immer und immer wieder auf uns Hörer:innen einprasseln.
Es hat etwas Archetypisches, als hätte jemand wirklich versucht, den menschlichen Fluchtinstinkt vor einer unbezwingbaren Landschaft, den verlorenen Konflikt von 'Man vs Nature' in ein ausuferndes, überwältigendes Album zu bannen. Es ist nicht das erste Mal, dass Paysage d'Hiver sehr beeindruckt, aber dieses Album und auch sein noch etwas weniger hörbarer Zwilling "Im Wald" haben für mich tatsächlich neu rekalibriert, zu was für einer Tiefe und schauerlicher Eleganz Black Metal noch fähig ist.
4 Kommentare mit 2 Antworten
Muss das so`?
Wow. Wusstet ihr, dass „ableisten“ und „Ableisten“ das selbe Wort ist?
Damn
Das gleiche gar
Man versus nature - the road to victory
yannik, lies niemals der schatten über innsmouth oder google, wie lovecraft seine katze genannt hat (eine süße raggy maus ♥ ♥ ♥)