laut.de-Kritik

Geschrammel mit aneinander geklebten Metaphern.

Review von

Nachdem Maffay sein voriges Album als das beste seiner Karriere angekündigt hatte, wäre jetzt der richtige Moment für das allerallerbeste. Immerhin, ein besonderes solle es sein, meint der Rock-Barde mit den seichten Texten.

Überhört man den lyrischen Gesamteindruck und rechnet man musikalisch mit dem Schlimmsten, überrascht "So Weit" recht positiv: als ziemlich pure Songwriter-Platte. Der Sänger plus ein Mitmusiker, J.B. Meier. Dieses Mal wirft Peter sein Konzept über Bord, allen ein bisschen was zu liefern. Das vormals angewandte Gemischtwaren-Konzept - etwas Schlager, eine Prise Dudel-Pop, eine Spur Hardrock, eine Mitsing-Hymne, ein paar pathetische Balladen - erspart uns der 72-Jährige.

Es gibt einen Song auf "So Weit", der sich lohnt, weil er fetzt und nicht nur, um mitreden zu können: Im obligatorisch scheinenden "Lockdown Blues" schimmert dezent Blues-Rock durch. Der Vater einer Zweijährigen und derzeitige Radiomoderator schildert, wie der erzwungene Rückzug in die Isolation bei vielen Menschen dazu führte, gleich ganz die Schotten dicht zu machen und sich dauerhaft Zuhause einzurichten. Stilistisch läuft das Album dort und insgesamt zur Mitte hin immer tiefer ins rockige Milieu. Schön sind musikalisch auch "Soweit" und "Wir Zwei". Zumindest, so lange man bei den Passagen weghört, in denen Maffay inadaquät herumschreit. Zu Lasten der Verständlichkeit verwandelt sich der Text streckenweise in übersteuertes Gebratzel "Keine Grähtzen ähn Kopf" kommt dann an, statt "Keine Grenzen im Kopf".

Große Teile seines Gesangs versteckt der kernige Nachdenkliche in seiner Lederjacke. Verwaschenes ("das ist der Taubertrick"), senil wirkendes Gemurmel kommt raus ("Wie weit wiessu gehen?"), wenn er zu leise singt oder zu laut, brutal überbetont ("uhnd wääähn es diiiech zarrrreißt"). Dann muss man mitunter fünf Mal hinhören, um zu verstehen. Anzunehmen, dass es sich dabei um Stilmittel handelt. Oder um den Versuch, Johannes Oerdings bahnbrechendes poetisches Talent nicht gar so in den Vordergrund zu rücken, sondern bescheiden zu verschleiern. Oerding ist der Haupt-Autor von "So Weit".

Mehrmals fragt man sich, ob ein Sprechtraining 2021 nicht doch mal drin gewesen wäre, um das in den letzten Jahrzehnten oft von Satirikern karikierte Teutonen-"R" etwas weniger nach Franz Müntefering klingen zu lassen. Was sonst im Stadionrock untergeht, im Schlager kultig wirkt und sich im Musical dem Plot unterordnet, fällt in gediegenen Akustik-Nummern stärker auf und wirkt unbeholfen. Schön gesungen ist die Platte schon mal nicht. Manches, zum Beispiel "Weiter", wirkt bisweilen schlampig hingerrrotzt.

Die hohe Kunst liegt in der enormen Verflechtung der Songtitel miteinander. Einmal gibt es die Zeitachse, beginnend mit den ambivalent gemeinten Abschiedsliedern "Jedes Ende Wird Ein Anfang Sein" und "Wenn Wir Uns Wiedersehen", gesteigert durchs fatal final wirkende "Nie Mehr". "Nie Mehr" wird kontrastiert durch sein absolutes Gegenteil, "Wann Immer". Reizvoll mutet die Feinheit zwischen dem Albumtitel "So Weit" und der Songbezeichnung "Soweit" ohne Leerzeichen an. Wobei es nach "Soweit" "Weiter" geht. Solche Steigerungsformen sind fraglos genial. Sie finden ihre Vollendung in der Track-Abfolge "Wir" und danach "Wir Zwei".

Das Anti-Waffenexporte-Lied "Wir" beschwört unter Bibelzitaten reichlich pastoral, dass wir alle zusammen halten müssen, und erinnert an Sparkassen-Werbespots im Lockdown. Wer auf dieser Wellenlänge liegt, wird das ganze Album klasse finden, Maffay betreibt perfektes 'Preaching to the converted'. Anders als Konstantin Wecker allerdings ohne argumentativen Unterbau. "Wir" nimmt uns alle in Mithaftung für weltweite Kriege, Lügen und Bereicherungen. "Wir haben so viel nicht verstanden / (wir) denken noch nicht an die anderen / (...) (wir) zünden Feuer an und schauen den Flammen zu / (wir) streu'n zu viel Salz in die Wunden / (...) (wir) wissen nicht, was wir tun" Sind "Wir" alle so vernagelt? Egoistisch, zerstörerisch und böse? Puh.

Also, "Wir" fragen uns vielleicht: Warum wurde aus Maffays "Begegnungen" 1998 keine viel größere Sache? Hat es den Lebensbedingungen von Aborigines in Australien genützt, dass er als Deutscher mit Yothu Yindi einen Hit aufnahm? Nein, wenn man Nattali Rize glaubt, die in Aborigine-Dörfern in den 2000ern Englisch und Musik unterrichtete und uns im Interview sagte, dort wäre Lernen für Kinder schwierig, weil es schon an Trinkwasser mangele. Also, Maffay, übernehmen Sie!

Das Holz in unseren Möbelhäusern stammt in den letzten Jahren großenteils aus dem Kongo; dem hat auch das Duett "Wapi Yo" mit Lokua Kanza nicht vorgebeugt. Genauso gabs noch keine Smartphones und Mineralien-Exporte für die Handy-Industrie, als Maffay sich 1998 für den Kongo in die Bresche warf und damals die Sprache Lingala erstmals in die deutschen Charts brachte. Warum sollen "Wir" uns von dem Musiker heute die Wert erklären lassen? Hätte er nicht mehr Connections als die meisten von uns, um vor Ort nachhaltig in anderen Erdteilen einzuwirken? Besserwissen kundtun ist bequemer - lässt einen so souverän aussehen.

Dazu passt die mitunter bebende Predigerstimme bei erkenntnisreichen Aussagen wie "Mal hat man freie Fahrt und manchmal sieht man nur noch Rot". Hörer*innen fühlen sich nach dem Hören sicher super verstanden. Sie lernen zudem, sehr tröstlich, "Jedes Ende Wird Ein Anfang Sein", intoniert als "A-ha-ha-ampfang sein". Scheinbare Binsen wie "Jede Reise hat ein Ziel" wirken beliebig gehobelt.

Wer selber solche Songs schreiben will, sollte ein paar simple Strickmuster beachten. Hier hilft der alltagspsychologisierende Metaphern-Klebeleisten-Kit zum Nachbauen. Pflichtbausteine: "Es gibt Berge und Täler", "in einem Lied über mein Leben / bist du die Zeile / die noch fehlt", "manchmal tut die Wahrheit weh", "ich wünsch mir von dir / dass du weißt, ich bin hier / wann immer auch wann immer ist". Was "Soweit" jederzeit "Wann Immer" passt, sind die Versatzstücke "wenn wir uns wiedersehen", "Abschied nehmen" und "unendlich Zeit". Maffay und Oerding fügen dann den Basics ganz außergewöhnliche i-Tüpfelchen eigener Handschrift hinzu, zum Beispiel "Vorwärts ist meine Richtung", "Wer nichts gewinnt, hat nichts gewagt" (sic!) und "Ein Leben läuft nie wie geplant und nicht nur geradeaus, mal läuft es rund und manchmal fliegt man aus der Kurve raus."

Das Gitarrengeschrammel auf der Platte läuft halb-rund und sediert teilweise so sehr, dass man den Übergang zwischen den Tracks nicht immer merkt. Für mehr Wiedererkennbarkeit sorgen Momente mit Klon-Charakter. Dran glauben müssen popkulturelle Highlights wie die Line "On a steel horse I ride / I'm wanted dead or alive" (Bon Jovi), an die sich "Jedes Ende Wird Ein Anfang Sein" anlehnt. Die Keyboard-Linie in "Nie Mehr" erinnert an Eric Burdons "San Franciscan Nights", die Harmonika in "Wann Immer" hat krasse Parallelen zu "He Ain't Heavy, He's My Brother". Es gibt noch mehr Déjà-Vus.

Das Anliegen des Sängers ist es laut Produkt-Info, verschiedene Dimensionen von Tod zu verarbeiten: Den Tod seines eigenen Vaters, mit dem er gerne Motorrad-Ausflüge inmitten von Rapsfeldern unternahm (siehe Cover-Artwork). Den Genozid an Sioux-Indianern in South Dakota 1890 in "Wounded Knee". Ehrenwerte Themenwahl, okay. Und den Tod des dreijährigen Aylan Kurdi, im Mittelmeer, behandelt "Odyssee".

Da legt sich eine saure Moral-Schicht über alles, Maffay macht es sich zu bequem. Ein kleiner Junge treibt in "Odyssee" tot an den Strand, und zu dieser, von dem genannten Fall inspirierten syrischen Flüchtlingsgeschichte, lässt der Barde den Hörer recht wurschtig alleine: Die Nummer endet unkommentiert mit diesem Bild des verstorbenen Kindes am Ufer, ohne dass aufgegriffen würde, was der Deutschrocker uns damit sagen will. Schwammig kann er gut. Zweifelhafte CD.

"Ich wollte mich entlasten, (...) um die Aufgewühltheit und die innere Unruhe zu überwinden", kommentiert der Künstler. Das ganze Album lullt ein, zu viel Balladen-Midtempo, zu wenige Aufhorch-Momente, zu viel rustikaler nebliger Klangschleier. Von Maffay schlummert in deutschen Haushalten jede Menge in Folie Eingeschweißtes, vor Jahren gekauft, vergessen, nie ausgepackt, nie gehört, aber so akribisch gesammelt wie die 'Lustigen Taschenbücher' im Regalfach darüber. So kommen Nummer Eins-Alben zustande. Und so kann sich ein Interpret alles erlauben.

Trackliste

  1. 1. Jedes Ende Wird Ein Anfang Sein
  2. 2. Wenn Wir Uns Wiedersehen
  3. 3. Wounded Knee
  4. 4. Odyssee
  5. 5. Soweit
  6. 6. Weiter
  7. 7. Lockdown Blues
  8. 8. Nie Mehr
  9. 9. Wir
  10. 10. Wann Immer
  11. 11. Wir Zwei

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Peter Maffay

Kennzeichen: 1.68 cm klein, pfenniggroßes Muttermal links oberhalb der Lippe, markante raue Stimme, Tätowierungen auf den muskulösen Oberarmen, Rocker …

3 Kommentare mit 16 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    Wenn die Verständlichkeit des Gesanges künftig die Grundlage für eine Bewertung ist, was mag Grönemeyer wohl dazu sagen? Oder der Udo? Oder Howie? Oder jede Random-Grunz-Metal-Band?

    Politisch korrekt könnte man nun natürlich auch auch auf die rumänische Herkunft des Herrn M. verweisen, die möglicherweise mit der Verständlichkeit seines Gesanges zusammenhängt. Aber das Thema überlassen ich mal anderen ...

    • Vor 3 Jahren

      dangäerbensubbe. ichfinaudasverstääändlichkeitkeinegruuunloageseeensolleführnebewerdunng.wasdengsichderräätessentdablos?

      iliebee,
      dein päda

    • Vor 3 Jahren

      Wenn die Melodie stimmt ... Früher gab es auch noch Booklets ... hach...

    • Vor 3 Jahren

      Reg dich nicht auf Erbsi, bei Laut wird sich auch über die Augenbrauen eines Max Mutzkes lustig gemacht.
      Behindertenbashing ist hier kein Tabu.

    • Vor 3 Jahren

      "Wenn die Melodie stimmt ... Früher gab es auch noch Booklets ... hach..."

      Ändert halt nichts, bzw. ist Geschmacksache. Der Rezensent regt sich über Genuschel auf, und das darf er auch. Um mal auf deinen Punkt zurückzukommen: Ja, das ist ne gute Bewertungsgrundlage, denn Rezensionen sind...*drum roll*...subjektiv!

    • Vor 3 Jahren

      @7Sündi: Das kann ich nicht so stehen lassen: Die Userschaft von laut.de ist hochinklusiv, wir bieten hier ja auch seit Jahren Menschen wie Schwingo, SirPsycho und nomanswrap ein wohligwarmes Zuhause, inklusive hochqualifiziertem Personal wie zB mir.

    • Vor 3 Jahren

      Ja, wir sind sehr inklusiv, haben da sogar ein besonderes System. Wir nennen es das System des Prof. Teer und Dr. Feder.

    • Vor 3 Jahren

      Federflaum und Schlacke trägt man hier mit Stolz! Oder mit sich herum.

    • Vor 3 Jahren

      Äch war sächzehn oond sie einunddraissäääch oond öber liebeeeeee wusteeee ich nicht viel.... Sie wussteeee ALLLEEEESSSS oond sie ließ mich spüöreeen....
      Hey... Das ist Kult... Der spricht so. Bob Dylan spricht auch so, halt nur englisch.... ???? Die Musik wird trotzdem immer belangloser, die Texte wareeen auch schon überwiegend scheißeeeee. Aber, hey, das weiß man doch...

  • Vor 3 Jahren

    schade, dass es bei euch immer persönlich wird und immer rausgekotzt wird, was geht. aber das ist ja auch eine form der seelenhygiene und man selbst fühlt sich danach vielleicht besser. nur die anderen tatsächlich nicht. ein typisches internetphänomen, auge in auge ginge das nicht. ach was reg ich mich schon wieder auf. "zeitungsredakteure, die selbt gern musiker wär'n". das problem wurde bereits erkannt.

    • Vor 3 Jahren

      "schade, dass es bei euch immer persönlich wird und immer rausgekotzt wird, was geht."

      Hmmm ja, man könnte meinen, es handelt sich um ne Rezension.

      "nur die anderen tatsächlich nicht."

      Ich denke, der treue PM-Fan kann solche Besprechungen auch einfach ignorieren.

      "zeitungsredakteure, die selbt gern musiker wär'n"

      Die schlechte Bewertung anderer als puren Neid abzustempeln ist halt auch'n ziemlich durchschaubarer move, ma sagen. Man könnte fast meinen, du erträgst nicht, dass jmd. deinen geliebten Deutschschlagersänger nicht geil findet, und bemühst darum ein Strohmannargument...!

    • Vor 3 Jahren

      Da könnte man auch von ausgehen, #DieserYannik wäre selbst gern ein nor... südkoreanisches Musikarbeitslager durchlaufen, um heute die 12jährigen der Welt zu bespaßen. Und weil das nicht geklappt hat, habe er die letzte BTS-Platte mit zwei Sternen bewertet. Stattdessen mache er heute Cosplay von Marii (aus dem Anime Joshiraku), und lache über Dweebs, die als Ash Ketchum rumlaufen.

    • Vor 3 Jahren

      "DieserYannik wäre selbst gern ein nor... südkoreanisches Musikarbeitslager durchlaufen, um heute die 12jährigen der Welt zu bespaßen. Und weil das nicht geklappt hat"

      Mal als kleine, thematisch verwandte Anekdote dazu *channels his inner Heinz Fischer* :
      Ich bin vor einigen Jahren einmal im Studentenviertel und straßenmusikantischen Kulturzentrum Seouls einem afroamerikanischen Straßenmusikanten begegnet, der mich mit seinem Können beeindrucken konnte und mit dem ich infolge dessen dann etwas ausführlicher ins Gespräch gekommen bin. Dabei erzählte er mir unter anderem, dass es sein Traum und Ziel war, der erste schwarze K-Pop-Star zu werden. An Talent mangelte es ihm jedenfalls nicht. Sowohl seine Tanzkunst, sein Gitarrenspiel und seine Singstimme waren vorzüglich und in seiner Songauswahl gelang ihm der schwierige Spagat aus Konsenspop und emotional ehrlichen Songs. Dennoch kam ich trotz seiner ungebrochen positiven Ausstrahlung nicht drumherum, ihn innerlich auch etwas zu bemitleiden. Schon an den Reaktionen und der gehaltenen Distanz der vielen Schaulustigen offenbarte sich mir, dass es ihm mit seiner Hautfarbe aurgrund der gesellschaftlichen Vorstellungen und den engen Standards der K-Pop-Industrie nie zu einem erhöhten Status der musikalischen Berühmheit in der koreanischen Popwelt gereichen würde. Die seitdem verstrichenen Jahre haben mich dabei unglücklicherweise bisher nicht eines Besseren belehren können. Ich hoffe es geht ihm trotzdem gut und er hat dennoch seinen Weg im Leben finden können.

    • Vor 3 Jahren

      Das wäre auch eine der selteneren Ausnahmen, bei denen ich nur aufgrund der Umstände mal ein Ohr und ein Auge riskieren würde. Wäre wohl auch die größtmögliche Divergenz zwischen koreanischer und globaler Rezeption. So minderbemittelt westliche K-Pop-Stans in der Regel auch sein mögen, so haben sie doch allgemein das Herz am richtigen Fleck.

  • Vor 3 Jahren

    Ja, Rezensionen sind subjektiv. Und jetzt hier meine subjektive Meinung: die Rezension hat nicht mal einen Stern verdient, Herr Krause macht es sich viel zu einfach. Meine Ohren sind nicht mehr die besten, ich verstehe die Texte aber wunderbar. Und auf der einen Seite werden auf dieser Webseite Künstler wie die Ärzte gefeiert, wenn sie sich gesellschaftlicher Themen annehmen und Herrn Maffay wird das fast zum Vorwurf gemacht?!