laut.de-Kritik

Mutmachphrasen im "Major Tom"-Korsett.

Review von

1982 landete Peter Schilling mit "Major Tom (Völlig Losgelöst)" hierzulande einen Nummer Eins-Hit, zu einer Zeit, als die Neue Deutsche Welle schon fast Geschichte war. Ein Jahr später stieg der Song in einer englischsprachigen Version auch in den USA in den Charts ein. Danach sank der Stern des Sängers nach und nach. Mit den Folgesingles konnte er nicht mehr an den kommerziellen Erfolg dieser Nummer anknüpfen. Ende der 80er-Jahre erkrankte er schließlich am Burnout-Syndrom. Danach zog er sich viele Jahre aus dem Musikbusiness zurück.

Unter seinem eigenen Namen schreibt er seit 2003 wieder Musik. Seitdem veröffentlichte er mehrere Studioalben. Nun feiert der Wahl-Münchener mit "Vis Viva" seinen 65. Geburtstag. Dabei arbeitete er mit dem Produzentenduo Ludi Boberg, bestehend aus Julia Bergen und David Bonk, zusammen. Er wollte eine moderne, aber nicht "krampfhaft" hypermoderne Scheibe auf die Beine stellen, lässt er uns auf seiner Homepage wissen.

"Willkommen In Der Zukunft" heißt es zwar am Anfang, doch wenn man klanglich anachronistischen Elektronik- und Stimmeffekten begegnet, mit denen man das Organ des Wahl-Müncheners überfrachtet, kann von futuristisch absolut nicht die Rede sein. Außerdem klingt der Refrain wie ein lauer Aufguss von "Major Tom (Völlig Losgelöst)". Dabei ist das Schlimmste noch längst nicht überstanden.

So kommen in "Helium" Mutmachphrasen wie "Glück ist 'ne Kleinigkeit" dazu, die sich auch durch den restlichen Verlauf dieses Albums ziehen, wenn man nicht gerade auf irgendwelche Zukunftsthemen wie in "Symmetrie" oder "Hologramm" stößt. Musikalisch pendelt die Scheibe dabei zwischen flachen Pop-Rock-Gesten à la Coldplay, hier und da um "Oh-Oh-Oh"-Chöre ergänzt ("Symmetrie", "Hologramm", "Alles An Dir"), und lauwarmen 80er-Jahre-Sound-Aufgüssen ("Mechanik Meines Herzens", "Metall", "Potential Unendlich") hin und her.

Songwriterisch und instrumental presst man die Texte größtenteils in ein "Major Tom"-Korsett für die nächste The Walking Dead-Staffel. Das Schlagzeug verharrt monoton im ewig selben Takt. Die Synthies bewegen sich oftmals in der immer gleichen Tonlage. Ab und an schunkelt mal eine Gitarre in ermüdendem Tempo vor sich hin. Selbst Peter Schilling erweckt mit seiner Stimme den Eindruck, als sterbe er gerade an Covid-19. Sein Gesang gleicht einem dauerhaften Krächzen. Zudem bleibt bis auf den Refrain in "Mechanik Meines Herzens" nichts hängen. Sämtliche Tracks hätten in den frühen 80ern nicht mal als B-Seite getaugt.

Konsequent, dass das Album eine balladeske 2020er-Version von "Die Wüste Lebt" enthält. Wenn dann noch in "Alles An Dir" ein klebriger Kinderchor lauthals Lyrics schmettert, die aus einem nächstbesten Motivationsratgeber stammen könnten, ist das Maß endgültig voll. Nicht, dass die Stimmeffekte in "Mechanik Meines Herzens" oder "8 Milliarden Astronauten" davor nicht schon unerträglich genug gewesen wären.

Darüber hinaus ist sich der Mittsechziger textlich für keine Deutschpoeten-Phrase zu schade und sei sie noch so ausgelutscht. So krächzt er beispielsweise in "Metall" zu allerbilligstem Electro-Geplucker: "Du bist deines Glückes Schmied / Also nimm', was du kriegst." Wenn sich später noch in "X In Meiner Gleichung" das "Glück" multiplizieren lässt, dann möchte man den Kopf endgültig in den Sand stecken, denn von dem ganzen "Glück" bekommt man depressive Verstimmungen.

Insgesamt eignen sich die Songs dieses erschreckend inspirationslosen Machwerkes bestenfalls für den ZDF Fernsehgarten. Auf "Vis Viva" stellt Peter Schilling musikalisch und textlich nur noch einen bleichen Schatten seiner selbst dar.

Trackliste

  1. 1. Willkommen In Der Zukunft
  2. 2. Helium
  3. 3. Mechanik Meines Herzens
  4. 4. Symmetrie
  5. 5. Metall
  6. 6. Die Wüste Lebt (Version 2020)
  7. 7. 8 Milliarden Astronauten
  8. 8. Alles An Dir
  9. 9. Hologramm
  10. 10. X In Meiner Gleichung
  11. 11. Potential Unendlich
  12. 12. Mechanik Meines Herzens (Phil theBeat Remix)

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