laut.de-Kritik

Leider überhaupt nicht endlos: Das Vermächtnis einer großen Band.

Review von

"Musizieren ist für mich wie meditieren. Ich spiele einfach drauf los und denke nicht wirklich darüber nach, was ich da gerade tue. Ich lasse es einfach passieren." So geradlinig wie unprätentiös beschrieb Pink Floyd-Keyboarder Rick Wright einst seine musikalische Philosophie. Sechs Jahre nach seinem Tod und ganze 20 Jahre nach "The Division Bell" kehrt die Legende Pink Floyd nun mit "The Endless River" noch einmal zurück, um dem alten Gefährten jenen ebenso verdienten wie überfälligen Tribut zu zollen, der Wright zu Lebzeiten im Schatten von Gilmour/Waters/Barrett meist versagt blieb. Daneben stellt Studioalbum Nr. 15 den Schwanengesang eines gigantischen Lebenswerks dar.

Pink Floyd hatten in 50 Jahren Bandgeschichte zahllose Phasen. Es gab unter anderem die erst mit Pop (Syd Barrett), dann mit Blues (Gilmour) unterfütterte experimentelle Psychedelik der ganz frühen Jahre. Danach die symbolistischen - zwischen direkt und entrückt pendelnden - Großtaten der "Dark Side Of The Moon"/"Wish you Were Here"-Ära. Und die zerquälte Zeit der Dunkelheit, deren Höhepunkt "The Wall" als echtes Herz ihrer Finsternis verkörpert, bevor die Post-Waters-Platten "Momentary Lapse Of reason"/"Division Bell" den Floyd-Zug in Richtung gehoben-edlen Radiorock schoben.

Natürlich ist dem übrig gebliebenen Duo Mason/Gilmour klar, dass man Dynamit und Rad kein zweites Mal erfinden wird. Das wäre auch eine verfehlte Erwartungshaltung an zwei 70 jährige Legenden. Es geht mithin eher darum, mit "The Endless River" ein würdiges letztes Kapitel zu schreiben, mit dem man das Buch Pink Floyd lächelnd schließen kann.

Insofern ist diese Scheibe vor allem ein milder Epilog ihrer musikhistorischen Errungenschaften, ein Nachhall der hungrigen Kreativität und floydschen Innovation, deren Zeitlosigkeit immer Gegenwart bleiben wird. Halb Fortsetzung, halb Selbstzitat, dabei immer ein farbenprächtiges Kaleidoskop mit einer Spannweite von 45 Jahren. Der älteste Track - "Autumn '68" - geht tatsächlich auf Material aus selbigem Hippie-Herbst zurück und darf getrost als den Kreis schließendes Gegenstück zum großartigen Wright/Waters-Song "Summer '68" ("Atom Heart Mother", 1970) verstanden werden. Eine psychedelische Messe erster Kajüte!

Auch ohne den streitbaren Roger Waters sind alle unveränderlichen Kennzeichen und absolute Erkennbarkeit hier in jeder Sekunde vorhanden. Seine Abwesenheit hat jedoch nichts mit vergangenem Zwist zu tun. Große Teile der neuen Platte speisen sich aus weiter entwickelter Musik, deren Grundzüge aus den 93/94er "Division Bell"-Sessions stammen. Sogar der Albumtitel entlehnt sich einer Zeile aus "High Hopes". Ursprünglich geplant als elegisches Extra-Album namens "The Big Spliff", das jedoch nie erschien. Zu diesem Zeitpunkt war RW längst nicht mehr Teil der Band.

Der Einfluss Wrights hingegen schimmert an allen Ecken und Enden durch, egal ob an Keyboard, Piano oder Orgel. Wer die von ihm maßgebend geprägten "Shine On You Crazy Diamond" ("Wish You Were Here", 1975) oder "Us And Them"/"The Great Gig In Th Sky" (Beide von "Dark Side Of The Moon", 1973) liebt, wird die zusammen gehörenden ersten drei Songs ("Things Left Unsaid", "It's What We Do", "Ebb And Flow") sicherlich als gelungene Fortsetzung dieser Periode genießen.

Auf dem rockigeren "Sum" hingegen duelliert sich einmal mehr Gilmours Vorliebe zum Blues mit Wrights durch Jazz und Klassik geprägten Stil. Der Tastenmann war dem simplen Bluesschema eher abgeneigt und favorisierte komplexere Strukturen voller Harmoniewechsel. Diesem Teil der Natur Wrights erweist Nick Mason auf dem folgenden "Skins" gekonnt die Ehre und bietet ein kurzes, gleichwohl prägnantes Drumsolo.

Die Ergänzung all dieser Ansätze, die ebenso unterschiedlich sind wie die Persönlichkeiten Pink Floyds, macht einmal mehr jene atmosphärische Wärme aus, die von zahllosen Epigonen zwar oft plagiiert indes nie erreicht wurde. So fügen sich die recht skizzenhaften Versatzstücke von "The Lost Art of Conversation" bis "Night Light" zu einer nachtblauen Suite, deren samtiger Schimmer keinen einzigen Sonnenstrahl braucht, um zu glänzen. Das nachfolgende "Allons-y (1)" galoppiert zum Kontrast wieder einmal durch die Hölle wie anno 1979 ("Run Like Hell").

Die Liste edler Gäste ist nicht minder beeindruckend. Als Producer mischt unter anderem der vielseitige Martin 'Youth' Glover mit, der seine ohnehin einmalige Bandbreite - von Alien Sex Fiend über Paul Mccartney bis hin zu Peter Murphy - noch einmal erweitert. Am Bass zupft zwischendurch Bob Ezrin, der bereits "The Wall" und die größten Momente von Floyd-Kumpel Alice Cooper produzierte. Und für "Talkin Hawkin'" borgen sie sich kurzerhand die Stimme Stephen Hawkings aus, dessen schroffe Robo-Voice ein ideales Kontrastmittel zur opulenten Wall of Sound bildet.

Zum Grande Finale gibt es dann den einzigen Vocaltrack, gesungen von David Gilmour. Die Lyrics zu "Louder Than Words" stammen von seiner Frau, der britischen Autorin Polly Samson. Ein letztes Mal ertönt Wrights wundervolles Piano, dessen Spiel er sich als Kind selbst beibrachte. Die Zeilen runden das Vermächtnis dieser großen Band treffend ab, wenn Gilmours stets leicht heisere Charakterstimme Pink Floyds Kunst als weit bedeutender als die ewigen Streitigkeiten untereinander besingt.

Nach dem Verebben des letzten Tons dieses leider gar nicht so endlosen Flusses bleibt der Hörer mit einer Träne im Knopfloch zurück. Das also soll es nun gewesen sein? Der wirklich endgültige "Final Cut"? Doch ein würdiger Abschiedsgruß ist es allemal! So kramt man die alten Floyd-Scheiben heraus und hört endlich mal wieder Perlen wie "The Nile Song" oder "Echoes". "Louder than words, the way it unfurls!"

Trackliste

  1. 1. Things Left Unsaid
  2. 2. It's What We Do
  3. 3. Ebb and Flow
  4. 4. Sum
  5. 5. Skins
  6. 6. Unsung
  7. 7. Anisina
  8. 8. The Lost Art of Conversation
  9. 9. On Noodle Street
  10. 10. Night Light
  11. 11. Allons-y (1)
  12. 12. Autumn '68
  13. 13. Allons-y (2)
  14. 14. Talkin Hawkin'
  15. 15. Calling
  16. 16. Eyes to Pearls
  17. 17. Surfacing
  18. 18. Louder than Words

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