laut.de-Kritik
Auf der finsteren Seite des Mondes von Onkel Roger.
Review von Ulf KubankeDie Suche nach einem Meilenstein im Oeuvre der britischen Kultband Pink Floyd gestaltet sich als schwierig. Für den Autor gibt es da nichts zu lachen. Die Syd Barrett-Fraktion scharrt schon mit den Hufen nach dem "Piper At The Gates Of Dawn"-Album. Andere schwören auf die nicht weniger meisterlichen Werke "Dark Side Of The Moon" und "Wish You Were Here". Man könnte jeden ihrer Tonträger wählen. Dennoch fiel meine Wahl auf das große Maueralbum.
"The Wall" ist nicht nur das mit rund 30 Millionen weltweit meistverkaufteste Doppelalbum der Musikgeschichte. Nein, die Platte verkörpert bis heute den ultimativ polarisierenden Zankapfel in der Bandgeschichte. Psychedelische Floydianern beklagen den sülzig zerquälten Labertaschengrusel. In Wahrheit sollte man das Werk als psychologisch ausgefeilte Blaupause für alle später folgenden Seelenstriptease-Alben weltbekannter Musiker betrachten.
Inhalt: Ein autobiographisches Manifest zwischen Sozialkritik, Freudscher Analyse, Uniformfetisch und Zinksarg. Völlig neu: Der Künstler ist nicht länger der umjubelte Rockstar aus dem Pantheon. Stattdessen erweist sich der Typ auf der Bühne als genauso kaputt, fehlbar und Opfer jedweder Fehlprägung durch Familie und Gesellschaft wie alle anderen um ihn herum. Anders ausgedrückt: Dank Roger Waters' "The Wall" wurden alle Götter zu Sterblichen: "Tell me, is something eluding you, sunshine? / Is this not what you expected to see?"
Vergessen wir für einen kurzen Moment alles, was die Gruppe bis 1979 ausmachte. Gilmour, Wright und Mason sind in jenen Tagen mehr Staffage als echte künstlerische Partner ihres schwierigen Bassisten - zumindest aus dessen Sicht. Willkommen auf der ganz und gar finsteren Seite des Mondes von Onkel Roger.
Streit, Zwist und gegensetige Kränkungen gehören ebenso zum Alltag der Aufnahmen wie sein in dieser Phase schwer gestörtes Verhältnis zum eigenen Publikum. Der Anfang vom Ende einer großartigen Band? Vielleicht. Der Musik hingegen verleiht das Gift in der floydschen Atmosphäre die rechte Würze.
Das Wabernde der "Wish"-Ära wird kurzerhand stranguliert. Auch die zerfahrenen und weniger zugänglichen "Animals"-Tracks bilden keine Lösung mehr. Die Melodien der einzelnen Stücke dürfen - für sich genommen - gern eingängig und harmonisch geraten. Im gesamten Arrangement-Kontext indes wirkt fast jeder Ton bleiern, transportiert bis zum Schluss eine einzige wolkenverhangene Depression. Klangen die Floyds zu Zeiten von "Saucerful Of Secrets" noch wie eine übermütig sprudelnde Rasselbande, steht dieser Tonspur gewordene Ziegel daneben wie ein donnerndes Gewitter zur eigenen Beerdigung.
Etwas Nazi-Rock zum Tee? "In The Flesh" feuert aus allen Rohren. Die Hook gerät doomiger als es die Innovatoren Black Sabbath Ende der Siebziger hinbekommen. Zwischen faschistischer Agitation, niedlichem Babygebrabbel und der Agonie eines zu Tode stürzenden Fliegers - ein Bild des kleinen Roger, der seinen Vater im Zweiten Weltkrieg verlor. Der manische Songwriter übernimmt alle Rollen selbst. Seine Egozentrik mag menschlich problematisch sein, künstlerisch war sie alles andere als falsch. Der eigene psychisch abgewrackte Zustand des Frontmanns manifestiert sich in seinem Gesang geradezu beängstigend.
Zwischen tobsüchtig rasendem Soziopathen, resignierter Stumpfheit und ganz wenigen lichten Momenten harmonischer Ruhe malträtiert er die eigenen Stimmbänder zu dieser faszinierend konstanten Achterbahn der Stimmungen. Schier unglaublich, wie der Mann aus Surrey es innerhalb einer Dekade vollbringt, einer ursprünglich eher langweilig, charakterlosen Stimme ein echtes Gesangsinferno voll schrecklich schöner Klangfarben zu entlocken.
Die Wahl von Bob Ezrin als Produzent erweist sich als ergänzend perfekter Schachzug. Mit Lou Reeds klaustrophobischem Horrorgemälde "Berlin" und Alice Coopers opulentem "Nightmare" bringt der Kanadier genau die richtigen Referenzen für das britische Irrenhausquartett mit. Allein seine Ideen für das Einbinden und Umsetzen der orchestralen Arrangements sollten Gilmour und Co. Grund für ewige Dankbarkeit sein. Mit ordnender Hand gibt er der Doppel-LP jenes notwendige Quäntchen Transparenz und Volumen, das der Band im Studio zuletzt fehlte.
Mit den drei "Another Brick In The Wall"-Scheibletten sowie "Comfortably Numb" gelingt der Truppe nebenbei über Nacht eine völlige Kehrtwende zur Hitcombo. Was den Streithähnen das Leben in den videolastigen 80ern durchaus erleichterte. Das häufige Reduzieren auf die späten Kulthits führte wiederum häufig zu Unmutsäußerungen auf Seiten von Gilmour und Waters. Fluch und Segen der Welthits.
Mehr als dreißig Jahre später feiert zumindest das erwähnte Duo ein kaum für möglich gehaltenes Happy End. Gilmour gibt nach vollbrachter Versöhnung fröhlich den milden Solo-Teddybär und Cocktail-Gitarrero. Waters indes hat alle Dämonen besiegt, tritt als Richard Gere- hafter Rock-Gentleman auf und gilt seinen Partnern mitlerweile als angenehmer Zeitgenosse mit Humor.
32 Jahre nach der Erstveröffentlichung darf Waters mit der opulenten Stadion-Tournee "The Wall - Live 2011" noch einmal die besondere Bedeutung der Platte als deutsches Soundtrack-Symbol zum Berliner Mauerfall genießen. Hat das noch den rechten Biss? Oder ist alles doch nur Nostalgie von und für rockistische Greise? "All in all it's just another brick in the wall."
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
31 Kommentare mit 9 Antworten
War selbst letztes Wochenende in Düsseldorf auf dem Konzert zu "The Wall" und es war einfach nur beeindruckend. Das ist kein Livekonzert wie die anderen! Wer nicht auf einem der Deutschlandkonzerte war (oder in anderen Ländern) hat wirklich etwas verpasst, was wahrscheinlich nicht wieder kommen wird.
Danke für die Erinnerung! Aber die Karten waren einfach zu teuer...
Sehr gute Review. The Wall ist die größte Rockoper, die je geschaffen worden ist und wird auch in den nächsten 100 Jahren gehört werden. Das Album schafft ebenso eine perfekte Mischung aus kritischer Haltung und einer düsteren, depressiven Geschichte über Pink zu entwickeln.
dieses album sollte den namen roger waters und nicht pink floyd auf sich tragen. der größte teil der songs ist mist. mit außnahme von comfortably numb's grandiosem gitarrensolo an dem sich gilmore durchgesetz hat ist alles nur zeug das der bassist der band aufgedrückt hat und damit die band schon halb zerschlagen hat.
Get niclas.PC up against the wall!
"Pink Floyd bekommen einen laut.de-Meilenstein!" Ist ja verrückt! Mega! Wer hätte bei dieser Band damit gerechnet?
erdali, Allah! Sei gegrüst! Lass deine Froschfresse doch mal wieder öfter im Chat blicken!
http://webchat.quakenet.org/
#gromky
Eigentlich das letzte Album von Pink Floyd in diesem Sinne. Oder auch The Final Cut, denn Pink Floyd waren für mich ohne Roger Waters nicht mehr Pink Floyd.