laut.de-Kritik

Die High Speed-Frickler kreuzen die Klingen mit dem Trumpeltier.

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"Palim-palim, eine Flasche Pommes Frites" sagte einst Didi Hallervorden. "Palimpsest, eine Dosis Prog Metal" antworten Protest The Hero, die High Speed-Frickler aus Übersee. Textlich basieren die energetischen Tracks aus Post-Hardcore, Math-Rock und Heavy Metal auf der Realität der ungleichen Staaten von Amerika zwischen Diskriminierung, Angriffskriegen und Turbo-Kapitalismus.

Das umständliche Wort "Palimpsest" klingt nach einer Neuschöpfung ähnlich wie Slayers Schwanengegurgel "Repentless". Tatsächlich beschreibt der Ausdruck eine Technik, ein bereits beschriebenes Manuskript abzuschaben und neu zu betexten. Angesichts der Sündenfälle der amerikanischen Geschichte, die aktuell im Black Lives Matter-Prozess und der Präsidentschaft des Trumpeltieres kulminieren, steht der Wunsch im Vordergrund, die Geschichte neu zu schreiben. Insofern fokussiert die Gruppe um Sänger Rody Walker eindringliche Geschichten wie in der Endorphin-getränkten ersten Single "The Canary", in der Walker das Leben der Flugpionierin Amelia Earhart beleuchtet.

Zwar stammt die Band selbst aus Kanada. Aber der Schatten des Landes der alten weißen Männer verdüstert auch die Gemüter der Ahornblätter. Dazu passt perfekt das in Rottönen gehaltene Artwork, in dem ein tobend-tosender Bulle das Star Spangled Banner zerfleddert. Das Aggrometer auf Anschlag passt auch gut als Beschreibung des musikalischen Wirbelwinds. Als Albert Einstein die Geschwindigkeit des Lichts definierte, waren Protest The Hero noch in Abrahams Wurstkessel. Nun belehrt das Quintett den Physik-Popstar eines Besseren.

"The Fireside" spendiert eine Strophe mit Vocals in irrwitzigem Scat-Tempo, wandelt sich über eine brutalen Brecher zu einem Moshpit-Monolith. Was hier der Text sorgfältig getrennt beschreibt, passiert in der musikalischen Echtzeit bisweilen gleichzeitig.

Die leider verblichenen Wild Throne gaben die Losung aus, dass Angriff die beste Verteidigung sei. So verfahren viele Springinsfeld des Genres wie Animals As Leaders oder Between The Buried And Me. Auch die Punk-Erneuerer Refused, die Emo-Giganten Billy Talent oder der Thinking Men-Post-Hardcore von Thrice haben ihre Spuren hinterlassen.

Dabei stand die Band vor einigen Herausforderungen: Elternzeiten und Stimmprobleme zögerten die Arbeit nach hinten. Bereits die Europatour zum zehn-jährigen Jubiläum von "Fortress" fiel dem Stimmen-Dilemma zum Opfer und es zogen zwei Jahre ins Land bis Rody Walker wieder zu singen imstande war. Dafür packt Walker seine an Punk und Metal gleichermaßen geschulte Stimme bei den Hörnern und liefert eine beängstigend gute Performance ab. Unvorstellbar, aber wahr, dass all die cleanen Parts, Falsett-Einlagen, Rap-Spots, Grunts, Screams und Growls demselben Organ entfleuchen. Im nächsten Leben sollte es Walker mal mit Zehnkampf versuchen.

"Soliloquy" beginnt als Hardcore-Granate, die über eine traumhafte Melodiesequenz in einen verjazzten Extrem Metal-Teil mündet und über einen kurzen Flirt mit dem Anfang wieder den Himmel durchstößt. Als hätten My Chemical Romance, WatchTower und Rush ein hyperaktives Kind gezeugt, das Prog und Black Metal mit der Helium durchsetzten Muttermilch aufgesogen hat.

Umso intensiver tönen die rar gestreuten Momente des Loslassens und Luftholens inmitten bezaubernd-betörender Melodiebögen wie in "All Hands" oder "Rivet". Das Emo-Gespenst zeigt sich von seiner besten Seite. Auch orchestrale Pads mit Soundtrack-Touch tragen zur Abwechslung bei. Ein weiteres Highlight markiert das Bass-Break am Ende von "Little Snakes", das mehr Töne enthält, als die meisten Tieftöner in ihren ganzen Leben zustande bringen.

Generell diese Gitarren aus den Händen des Duos Hoskin/Millar: Riffs, Licks und Läufe sind zum mit der Zunge schnalzen und ergeben keinen seelenlosen Skalen-Salat, sondern sorgsam sondiertes Songwriting, wie Adrian Smith mit den Beinen von Usain Bolt in den Armen. Grundsätzlich stellt die Mutation des Materials ein Markenzeichen aller Größen der proggigen Zunft dar. Selten fällt die Umsetzung so eindringlich aus wie auf "Palimpsest".

Trackliste

  1. 1. The Migrant Mother
  2. 2. The Canary
  3. 3. From The Sky
  4. 4. All Hands
  5. 5. The Fireside
  6. 6. Soliloquy
  7. 7. Reverie
  8. 8. Little Snakes
  9. 9. Gardenias
  10. 10. Rivet

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