laut.de-Kritik
Der aalige Schwiegermutterkonsens des Austropop.
Review von Markus BrandstetterAls Rainhard Fendrich 1997 gemeinsam mit Wolfgang Ambros und dem 2007 verstorbenen Georg Danzer als "Austria 3" auf Tournee ging, war der Begriff "Austropop" in Wahrheit so etwas wie der dauerangesoffene Onkel, mit dem niemand mehr so richtig etwas zu tun haben wollte. Außer vielleicht die ganz Hartgesottenen auf Zeltfesten in irgendwelchen Vororten - und die österreichischen Filmemacher Rudolf Dolezal und Hannes Rossacher, um die dreihundertfünfundsiebzigste Dokumentation darüber zu drehen und einen (für österreichische Verhältnisse) gut vermarktbaren, gemeinsamen Narrativ heraufzubeschwören. Wie dem auch sei, "Austria 3" bescherte Fendrich und seinen Kollegen damals ein Karrierehoch, ausverkaufte Konzerte, goldene Schallplatten und bewahrte vor allem Fendrich wohl auch vor dem "drift into obscurity".
In die Annalen des Austropop ist Fendrich in erster Linie mit seiner (eh auch ein bisschen kritisch gemeinten) Schunkelhymne "I am from Austria" eingegangen, die betrunkenen Lloret-De-Mar-Urlaubern und Besuchern von Skirennen die sentimentalen Freudentränen der Heimatliebe ins vom Ethanol ganz rote Gesichterl treibt. Galt Danzer immer als der stille, mit Tiefgang gesegnete und ein wenig sardonische Lyriker und Ambros als das frühere ungekrönte, dafür dionysisch hochbegabte Oberhaupt des Austropop: Fendrich war stets der Faserschmeichler, der ein wenig aalige Schwiegermutter-Konsens. Dessen paar gute Lieder halt auch schon ein paar Dekaden her sind.
Weil Fendrich aber nicht nur ein Herz wie ein Bergwerk, sondern auch bald Geburtstag hat (seinen sechzigsten), hat er sich dann doch noch etwas einfallen lassen. Ausnahmsweise gibt's keine Best-Of und keine vierstündige Dolezal-Rossacher-Zeitzeugen-Dokumentation, aber auch kein Album mit neuen Stücken. Viel mehr hat sich Fendrich unbekannteren Stücken seiner Vergangenheit angenommen, diese neu aufgenommen und unter dem Namen "Auf den zweiten Blick" veröffentlicht.
Viele der Songs sind ursprünglich den 1980er Jahren veröffentlicht worden, jenem Jahrzehnt, in dem "Austropop" noch eine ganz eigene Klangästhetik bezeichnete. Eine Klangästhetik mit furchterregenden Snare-Sound und "hochemotionalen" Gitarrensoli, die die Gesangsmelodie, verziert mit ein paar Saitenbendings, eins zu eins nachspielten. Wichtig auch: Mit soft-pornographischen Saxophonklängen, die auch heute in diesen Breitengraden nicht ausgestorben sind.
"Ich bin ein Negerant, Madame" heißt das erste Stück, ein Tankstellenhinterzimmer-Calypso mit Bläser-Einlagen, die klingen als wären sie frisch in Peter Rapps "Brieflosshow" (wer's nicht kennt, hat's nicht erlebt) eingespielt worden. "Seven Days A Week" ist dann Fendrichs als Reggae gemeintes Eskapismuslied, im Original auf seinem 2001er-Album erschienen, das er "Männersache" genannt hat. Niemand auf der Welt sollte ein Album "Männersache" nennen, übrigens.
"Die letzten Schlachten sind geschlagen, es fehlt nur noch der letzte Knall" singt Fendrich in der in Udo Jürgens-Spätphase-Pathos ersaufenden Ballade "Erde". Derartiges Pathos wechselt sich mit schnippischen
Alltagsbeobachtungen und Schlagerismen ab. "I mecht mit dir auf weißen Stränden tanzen / und spüren, wie das Blut in dir pulsiert": eine solche Romantik erinnert an Fendrichs Kollegin Stefanie Werger und ihr bügelbrettromantisches Kleinod der absoluten Provinz "Sehnsucht nach Florenz".
Das letzte Lied des im Januar erscheinenden Longplayers heißt dann "Christbaum" und beginnt mit "Ho-Ho-Ho". Klingt komisch, ist eigentlich auch schon powidl (Wienerisch für "auch schon egal").
1 Kommentar
Ich hab die Rezi nur gelesen, weil ich mir einen anspruchsvollen und ehrlichen Veriss gewünscht habe - schön, bin nicht enttäuscht worden!