laut.de-Kritik

Prügel für den Mainstream.

Review von

Rancid, die eigentlichen Helden des 90er Punk-Revivals, schlagen mit "Tomorrow Never Comes" zum nunmehr zehnten Mal mit rauen Fäusten in die Gesichter des Mainstreams. Nahezu alle anderen namhaften Kollegen feiern unglaubliche, kommerzielle Erfolge, andere driften nach und nach die Belanglosigkeit ab, wiederum andere lösen sich mehr oder weniger endgültig auf. Auf Tim Armstrong und seine über die Jahre personell weitgehend stabile Kapelle trifft davon eigentlich nichts so richtig zu, was durchaus als Hinweis auf deren ungebrochene Authentizität gewertet werden darf.

Seit über 30 Jahren hauen die Kalifornier nun schon ausgewachsene Punkalben in die Welt, unter denen man die oft in die Diskografie tradierter Bands eingeschlichene Gurke vergebens sucht. Über das leicht oberflächliche "Let The Dominoes Fall" (2009) oder das extrem dreckige "Rancid" (2000) darf man trefflich streiten, richtig schlecht kamen die aber auch nicht an. "Tomorrow Never Comes" beinhaltet weder Experimente, noch besondere Ausreißer nach oben bzw. unten. Um es mit den Worten des Frontzausels Armstrong zu sagen: "Get to the show, do what we know" ("Live Forever").

2023 klingen Rancid nicht zuletzt dank Stammproduzent Brett Gurewitz (Bad Religion) exakt so, wie man sie sie kennen und im besten Fall auch lieben gelernt hat. Die insgesamt 16 Songs rumpeln innerhalb der Rekordzeit von knapp unter 29 Minuten durch wie eine spontane Kneipenschlägerei, herrlich direkt und kompromisslos. Dabei verzichtet man ungewohnter Weise auch komplett auf Ska-Anteile, Orgeltöne und ähnliches. Einige der Songs lassen leichte Hardcore-Punk Ansätze erkennen, wie z. B. der recht finstere Titeltrack oder der chaotische Einminüter "Don't Make Me Do It".

Wie immer wechseln sich Armstrong und Frederiksen mit dem Leadgesang ab, lassen aber auch Matt Freeman ausreichend Raum für sein kerniges Organ. Alle drei finden sich immer an den richtigen Stellen zum rauen Streetpunkchor zusammen und bringen die Songs mit Shouts und Kneipengesängen auf den Punkt. Ausnahmebasser Freeman verausgabt sich mit seinem Instrument und verleiht dem Gesamtsound eine einzigartige Fülle und die altbekannte Eigenständigkeit.

Der eher düstere Albumtitel lässt zurecht vermuten, dass hier inhaltlich eben nicht ausschließlich sonnige Themen besungen werden. Rancid thematisieren das harte Leben im Ballungsraum L.A. ("Hear Us Out"), machen Kampfansagen ("Tomorrow Never Comes") und dichten vor allem haufenweise Straßenpoesie. Kaum jemand kennt die Höhen und Tiefen des Lebens besser als Tim Armstrong, die Allerwenigsten sind in der Lage, darüber derart wunderbare Zeilen zu verfassen. In bitteren Worten wie "Well, there's nothing for me here now, I can see it if I open my eyes, if I leave here I'm a failure, but if I stay here I'm gonna die" ("One Way Ticket") erscheint seine Stimme auch eher brüchig und verbraucht, viel authentischer geht es nicht. In etwa wie wenn Shane MacGowan Songs von Joe Strummer sänge. Oder auch andersrum. Es passt jedenfalls wie die Faust aufs Auge.

"Tomorrow Never Comes" wird keinen besonderen Platz unter den anderen Alben einnehmen. Muss es auch nicht. Egal, ob man nun neu im Amipunk-Universum ist oder zu diesen mittlerweile sichtlich ergrauten Menschen der 90er Punkblase gehört, man bekommt hier ein frisches, knackiges und höchst melodiöses Stück Musik serviert.

Trackliste

  1. 1. Tomorrow Never Comes
  2. 2. Mud, Blood & Gold
  3. 3. Devil In Disguise
  4. 4. New American
  5. 5. The Bloody & Violent History
  6. 6. Don't Make Me Do It
  7. 7. It's A Road To Righteousness
  8. 8. Live Forever
  9. 9. Drop Dead Inn
  10. 10. Prisoners Song
  11. 11. Magnificent Rogue
  12. 12. One Way Ticket
  13. 13. Hellbound Train
  14. 14. Eddie The Butcher
  15. 15. Hear Us Out
  16. 16. When The Smoke Clears

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LAUT.DE-PORTRÄT Rancid

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4 Kommentare mit 5 Antworten

  • Vor einem Jahr

    Leider vermisse ich seit „Honor Is All We Know“ die einzigartige Identität die jedes Album davor hatte. Mit „Tomorrow Never Comes“ hat diese kreative Flaute mMn ihren Höhepunkt erreicht. Und dennoch ist mir das natürlich lieber, als das Rancid den kommerziellen Weg ihrer Kollegen einschlagen… In dem Sinne, ein weiteres grundsolides Rancid Album, dass es aber mMn leider nicht gebraucht hätte. 3/5.

    • Vor einem Jahr

      Schön zu sehen, wie da Meinungen auseinander gehen können, ich fand Let The Dominoes Fall und zum Teil Honor Is All We Know wie am Rancid-Reißbrett entworfen, Trouble Maker aber wieder richtig, richtig gut :D
      Die neue kann ich noch nicht so einordnen, braucht noch ein paar Durchläufe.

    • Vor einem Jahr

      Let The Dominoes Fall, finde ich tatsächlich besser als ihren Ruf :)

      Seit Honor Is All We Know hatte ich einfach das erste Mal das Gefühl, dass die einzelnen Songs sich nicht mehr so sehr voneinander abheben.

      Trotzdem mag ich es und Trouble Maker auch, aber nach LTDF ist für mich eine Ära zu Ende gegangen.

      Das neue kommt mir persönlich aktuell noch uninspirierter vor als die letzten beiden. Aber mal sehen wie sich das noch entwickelt.

      Wenn die Meinung so divergent sind, spricht das ja meistens eher für eine hohe Qualität des Outputs ;)

    • Vor einem Jahr

      Sehe ich genauso. Nettes Album, top Vinyl Pressung, aber rauscht wie ein D-Zug an einem vorbei, ohne Eindruck zu hinterlassen.

  • Vor einem Jahr

    Dieser Kommentar wurde vor einem Jahr durch den Autor entfernt.

  • Vor einem Jahr

    auch wenn wir diesen spruch mittlerweile inflationär verwenden, aber das ist wirklich mukke für den lautuser

  • Vor einem Jahr

    Dieser Kommentar wurde vor einem Jahr durch den Autor entfernt.