Porträt

laut.de-Biographie

Rema

Wer die großen Hits von Rema hört, fühlt sich in Sekundenschnelle an angeberischen Materialismus-Trap erinnert. Konsum, Aufstieg, Status-Symbole: Ja, sie sind ein Thema für die Menschen in den nigerianischen Metropolen, und so sind die entsprechenden Träume und Wünsche in Remas selbst getexteten Lyrics durchaus authentisch. Seine Sprachen: Igbo, Yoruba, Pidgin-Englisch. Er lispelt leicht.

Hinter der Fassade seiner weltweit einschlagenden Streaming-Mega-Hits ruht ein stiller und religiöser Typ. Im Gespräch macht er einen bedachten, in sich gekehrten, spirituellen Eindruck. Seine Eltern lassen ihn auf den Namen Divine taufen: Der Göttliche. Mit Geburtstag am 1. Mai 2000 ist Divine Ikubor ein waschechter Millenial.

Die Zeiten, in denen sich Musik aus Afrika auf Import-Kassetten mühselig ihren Weg nach Paris oder Brüssel bahnte und über auserwählte Labels in Europa langsam publik wurde, kennt Rema nur aus Erzählungen. Der Digital Native ist es gewohnt, dass man seine Songs in Lateinamerika, Kanada, Australien und Neuseeland feiert.

Seine Geschichte: Er wächst ohne Vater auf. Statt dessen gerät er immer mehr in die Rolle des 'Mannes im Haus' hinein. Rema vermutet einen politischen Mord: Sein Papa war in einer Partei aktiv. Als Kind äußert sich sein Faible für Wörter und Geschichten, als er Comics textet, zeichnet und im Freundeskreis verkauft. Eine musikalische Heimat bietet ihm die riesige Kirchengemeinde der 'Christ Embassy' und deren Chor.

Hier tritt er als Jugendlicher auf. Laut dem örtlichen Prediger würde ihm eines Tages die ganze Welt zuhören. Rema will die Prophezeiung wahr werden lassen. Als Teenager gründet er mit einem befreundeten Drummer seine erste Gruppe. Außerdem lädt er sich online Beats herunter, zu denen er freestylet.

Im Mittelpunkt seiner Jugend steht chronischer Geldmangel. Mit 15 wandert er aus, um seiner Mutter nicht auf der Tasche zu liegen. Am Touristenstrand von Ghana ergattert er einen Gelegenheitsjob und spart so viel Geld, dass er seiner Mama damit ein Auto kaufen kann. Das 'climbing up the ladder'-Motiv des mühsamen Aufstiegs, materielle Ziele und Träume werden - wie in den Afrobeats üblich - zum Thema seiner Liedtexte.

Rema betritt das Musikbiz in dem Moment, als die bunt bounzende Welt aus Azonto, Moombahton und Gqom gerade so weit gewachsen ist, dass sie reif für eine internationale Reise ist. Erst hatten Major Lazer den Weg bereitet, dann speziell für nigerianische Mischungen aus Dancehall, Trap, Hip Hop, Pop, R'n'B und Naija-Kolorit der Kollege Burna Boy.

Ein anderer Nigerianer dient als Steigbügelhalter. Teen Rema hängt sich in einen Song rein, den die nationale Musikgröße D'Prince kurz zuvor aufgenommen hat: "Gucci Gang". Ob die Nummer Rema schlicht gefällt oder sie ihm strategisch vielversprechend erscheint, verrät er nicht. Sein Freestyle-Video ist jedenfalls recht vehement.

In 111 Sekunden purer Intensität fuchtelt er mit den Händen wie wild. Am kleinen Finger trägt der 17-Jährige jeweils links und rechts einen fetten Silberring. Der rote Zip-Hoodie lässt hingegen wenig auf Gucci schließen. Höhepunkt: Kurz setzt er sich eine Mund-Nase-Maske auf, bizarr prophetischer Hinweis auf die weltweite Maskenpflicht zwei Jahre später. Dieser Moment überdauert aus dem Clip. Ein Kumpel besorgt brauchbare Beats für einen Remix.

Beim Upload auf Instagram am 28. Februar 2018 taggt Rema den Account von D'Prince. Es ist der Tag, an dem der unbekannte Neuling viral geht. Der gecoverte D'Prince zeigt sich geschmeichelt, nimmt ihn für seine Mavin/Jonzing Records unter Vertrag und verhilft dem Newcomer zu Kontakten zur Musikindustrie von Lagos. Mavin Records fungiert außerdem als Klamotten-Label Mavin Clothing Line mit Anbindung an einen großen Mischmasch-Online-Shop.

In diesen Zirkeln lernt Rema auch seine private Partnerin kennen, Justine Skye, eine Zeitlang mit Kollege Wizkid ein Paar. Sein Producer wird Don Jazzy, eine markante Szenegröße. Don hat sich ebenfalls aus den Niederungen hoch gearbeitet und als Security eines Fastfood-Restaurants seine Karriere begonnen.

Es folgt der raketenhafte Aufstieg. Barack Obama erwählt "Iron Man" für eine von ihm kuratierte symbolträchtige Spotify-Liste. Im Video rollt ein VW Käfer mit rosa Ledersitzen ins Bild. Der Text wirkt dümmlich-pubertär, "Girly me adore (...) Tell her, baby, make I ding your dong". Der Obama-Nimbus überstrahlt alles, Obamas Wurzeln liegen in Kenia, Schulterschluss mit einem jungen Nigerianer, perfekter Werbe-Coup.

In der Folge schüttelt Rema viele Hände anderer Artists wie Ex-Labelkollege Reekado Banks. Von manchen bekommt er Tonspuren für Features. Eine Kollabo mit Chris Brown positioniert ihn an der Soft-R'n'B-Front. Ein Remix mit Becky G spült ihn in Dancepop-Playlists. Ice Spice und Don Toliver vernetzen ihn mit dem Hip Hop der US-Charts. Ein Remix mit Selena Gomez macht ihn zum Weltstar.

Geheimnis hinter dem Hit "Calm Down" ist wohl die Kombi mehrerer Zutaten. Da wäre der Brückenschlag quer über die Genre-Grenzen: Der Remix eröffnet mit einer unerwarteten Grunge-Gitarre. Dann hat diese Version auch einen Trance-Charakter, der Song hypnotisiert ein bisschen. Und die Lyrics ironisieren den Lockdown. "Girl, (...) put my heart for lockdown / Girl, you sweet like Fanta, Fanta" - der Song ist zudem maximal eingängig. Dabei textet Rema durchaus oft Tracks ohne ein Wort Englisch.

Witziger Weise geht ein konkurrierender Limo-Hersteller einen Reklame-Deal mit Rema ein. Für seine Mission, Afrobeats in jedem Winkel der Welt populär zu machen, sei es in Südostasien, im arabischen Raum oder in der Karibik, erweisen sich so ein Duett und so ein Deal derweil als Mittel zum Zweck. Nicht nur dass MTV ihn für den Award 'bester afrikanischer Artist' nominiert und die BET-Jury (Black Entertainment) an ihm kaum vorbei kann - nach dem Remix mit Gomez regnet es Würdigungen von Billboard-Magazin bis Brit Awards. Ein ganzes Jahr lang tänzelt "Calm Down" durch die US-Top 100, noch länger durch die deutschen und österreichischen Charts-Spitzen.

Nähern sich die ersten EPs noch über Hip Hop, Dancehall und Traphall der Afrobeats-Einfärbung an, entlehnt der junge Künstler das Etikett 'Afrorave' für sein Debütalbum "Rave And Roses" (2022).

In diesem Fall schmückt sich Rema erneut mit fremden Federn, es hilft ihm wieder mehr als dem Ideengeber. Der Begriff stammt von Latoya Nontokozo Buthulezi oder kurz Toya Delazy, einer engagierten und innovativen, lesbischen Londoner Modedesignerin mit Wurzeln in Kapstadt, die uns beibringen will 'out of the box' zu denken.

Im Magazin Unlabelled definiert sie: "AfroRave ist ein alternatives afrikanisches Musik-Genre, das aus einer Fusion von LeftField-Bassmusik, Techno, Drum'n'Bass und Rap in Regionalsprachen geschaffen wurde. Es dient als Raum, in dem unsere indigenen Sprachen und unsere Kultur im Rave gefeiert werden, hat aber noch nicht die verdiente Plattform."

Rema verschweigt die Quelle genauso wie die Bedeutung und benutzt das Wort Afrorave lediglich als gut klingendes Attribut, das noch nicht abgegriffen anmutet. Ein Teil seiner Fans nennt sich fortan 'Ravers', das gab es seit Scooter nicht mehr.

Wenn man schon Elemente der elektronischen Musik entdecken will, könnte man eher sagen, dass er punktuell die aktuellen Trapbeats mit dem südafrikanischen 90er-Deephouse-Ableger Amapiano verschmilzt. Großen Einfluss auf die Produktion scheint der Künstler jedoch nicht zu nehmen. Sein zweites Album "Heis" verliert sich soundtechnisch in einem heterogenen Kraut- und Rüben-Salat.

Zu diesem Zeitpunkt im Sommer 2024 hat sich der farbenfroh gekleidete, Halsbänder, Ketten, Schmuck und Mode liebende Rema längst als Marke etabliert. Im Streit darum, wie er vermarktet wird, trennt er sich am 6. Juli, wenige Tage vor Erscheinen von "Heis" vom Label und kündigt sein eigenes an. Es soll Rave Records heißen und auch andere Künstler unter Vertrag nehmen.

Niemandem aus Nigerias Musikblase wurde je ein so blitzschneller Aufstieg zuteil. Selten liefen so viele quervernetzte Promi-Namen so schnell bei einer Person zusammen. Alle Wege führen also nicht nach Roma, sondern zu Rema. Er ist Afrikas Charts-Rakete.

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