laut.de-Kritik
Dogs und Pigs und Theatralik: Ein audiovisuelles Floyd-Erlebnis.
Review von Alex KlugAlles beginnt mit dem unverkennbaren Herzschlag von 1973. Und so muss das ja auch sein. Wie sonst sollte Roger Waters seine erste Tournee nach dem "The Wall Live"-Zyklus beginnen als mit dem "Dark Side"-Opener "Speak To Me". Doch – ein Sakrileg? – schon nach dem ersten "I've been mad for fucking years" flüstert Waters Zeilen seines jüngsten Studioalbums "Is This The Life We Really Want?" dazwischen. Wir wissen Bescheid, "Us + Them" ist Rogers Big Show. Und zwar nur Rogers.
Das gilt natürlich auch, wenn sich die Setlist nahezu exklusiv aus Material von Pink Floyd speist. Waters unterscheidet da ohnehin nicht, im Gegenteil, schon vor Jahren versuchte er sein Soloalbum "Amused To Death" als dritten Eckpfeiler einer erträumten Meilenstein-Trilogie aus "The Dark Side Of The Moon" und "The Wall" zu verkaufen. Dass seine musikalischen Schöpfungen nicht immer mit dem tonnenschwer lastenden Erbe mithalten können, soll über eines jedoch nicht hinwegtäuschen: Der Mann weiß einfach Shows und Setlists mit beeindruckendem Spannungsbogen zu konzeptionieren.
So unterbricht sich das den Abend einklammernde "Dark Side"-Konzept schon nach "Breathe" von selbst und tauscht das Elektro-Geschnetzel "On The Run" gegen das ähnlich kultig-monotone "One Of These Days". Für Floyd-Kenner ist "Us + Them" aber noch aus einem ganz anderen Grund interessant: Und der nennt sich "Animals".
Als wirklicher Progressive Rock-Meilenstein kläglich übersehen, haben auch Gilmour und Waters selbst das 1977 zwischen "Wish You Were Here" und "The Wall" veröffentlichte Album in ihren Setlists mit schändlicher Regelmäßigkeit übergangen. Doch sei es Altersmilde, willkommene "Trump, das Schwein"-Metaphorik oder der Unmut darüber, dass wohl keine "Animals"-Deluxe-Edition mehr erscheinen wird: Waters ebnet den Longtracks "Dogs" und "Pigs" den Weg zurück auf die Bühne – in letzterem Fall erstmals seit 1987.
Klanglich trifft "Us + Them" damit perfekt in die Mitte zwischen der 70er-Floyd-Hochphase und dem angesprochenen "Is This The Life You Really Want?" – das ja durchaus als schwächeres(!) Floyd-Rest-Material der Waters-geprägten Phase durchgehen könnte. Gerade Beck- und R.E.M.-Drummer Joey Waronker sorgt mit seinem flachen Schlagzeugsound für mächtiges Retro-Timbre. (Rototoms im "Time"-Intro = Liebe!)
Father John Misty-Gitarrist Jonathan Wilson gibt dazu nicht nur klanglich, sondern auch optisch den blutjungen Gilmour und selbst die Background-Sängerinnen agieren meist erfreulich zurückhaltend. Aufgepumpte Arrangements sucht man erfreulicherweise vergebens.
Doch natürlich hält Roger Waters den Ball nur in musikalischer Hinsicht flach: Zu "Dogs" ragt dann nämlich gleich eine bedrohlich rauchende Nachbildung der Battersea Power Station (vom "Animals"-Artwork) aus der Saalmitte empor. Nicht ganz das cineastische "The Wall"-Niveau, aber macht schon einiges her – und spricht zugleich deutlich für die Anschaffung der BluRay-Variante.
Mauerwerk gibt's auf "Us + Them" logischerweise nur in abgespeckter Form. Durchaus zu betrauern jedoch, dass fürs Release nicht etwa "Another Brick In The Wall (Part 2)", sondern das natürlich nicht minder überfrequentierte "Comfortably Numb" der Schere zum Opfer fällt. Dabei wäre im Zugabenblock noch so viel mehr zu holen gewesen: Etwa das auf dieser Tour seine Live-Premiere feiernde "Two Suns In The Sunset" ("The Final Cut", 1983).
Aber zum Glück findet mit den "Animals"-Tracks sowie "Welcome To The Machine" und dem wutgeladenen, skandalös unterschätzten "Another Brick In The Wall (Part 3)" ja auch eine Handvoll Tracks ihren Weg in die Stadien, die man so nicht auf jedem Gilmour- oder Australian-Pink-Floyd-Tribute-Gig zu hören bekommt.
Fein zudem, dass Waters uns auch auf ursprünglich nicht von ihm eingesungenen Tracks wie "Time" und "Wish You Were Here" mit seiner ungeschliffenen, altersrauen Stimme beglückt. Muss man mögen (genau wie "The Final Cut"), aber hier sorgen die beispielsweise in "The Last Refugee" klagenden Quietscher noch immer für Gänsehaut – und bestätigen zudem, dass Waters vieldiskutierte Vocal-Backup-Tracks auf diesem Live-Release wenn, dann wohl nur bedingt zum Einsatz kommen.
Doch in erster Linie ist "Us + Them" ja ohnehin ein audiovisuelles Gesamtkunstwerk. Klar, da gibt es den Waters, der sich in Backstage-Szenen beim Abklatschen mit den tanzenden "Another Brick"-Kids in Szene setzt und natürlich den Waters, dessen Gesicht vom Frontcover bis zum Vinyl-Inner-Sleeve jede einzelne Produktfläche ziert. Und natürlich gibt es diesen genialen Regie-Kniff, die bewegten Gesichter der ersten Reihe großzügig abzubilden, wie sie in Slow-Motion jedes Wort dieser zeitlosen Lyrics mitsingen. "Was ein Songwriter!", brüllen die Synapsen, und verdammt, natürlich haben sie recht.
Die Art und Weise, in der Waters seine simplen, aber doch erschreckend weisen Texte mit den teils bekannten "Dark Side"-Visuals, verfilmten Flüchtlingsdramen und ungeschönten Kriegsszenen vermischt, geht wieder einmal mächtig unter die Haut.
Und natürlich kommt eine Waters-Show an dieser Stelle auch nicht ohne die vieldiskutierten Palästina-Bezüge aus. Doch das Konstrukt ist ein so viel Größeres: "Us + Them" ist eine große, wenn auch mit Pathos aufgeblähte Antikriegsbotschaft – schlussendlich manifestiert im zu "Eclipse" leibhaftig im Raum stehenden XXL-Prisma, das das singulär Weiße auffächert in die endlos bunten Floyd-Facetten.
Wen derartige Musical-Theatralik nicht kickt und zudem die "Animals"-Schwäche des Rezensenten nicht unbedingt teilt, der ist mit Gilmours musikalisch womöglich voluminöserem "Live At Pompeii" gewiss besser bedient.
Doch diese Schwäche hat eben auch Gewicht: Denn solange The Band Formerly Known As Pink Floyd das legendäre "Oakland 1977"-Bootleg nicht offiziell pressen lässt, ist "Us + Them" eben die beste, weil einzige Möglichkeit, "Pigs" und "Dogs" als legale Vinyl-Live-Versionen zu erwerben. Und das sind nur zwei von 20 verdammt guten Gründen.
5 Kommentare mit 2 Antworten
Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.
Schöne Rezi.
Dogs ist wirklich gut gespielt. Als Live Empfehlung kann ich nur hier die dt. Band Interstellar Overdrive nennen; diese spielt Dogs auch komplett nach, und zwar Note für Not und das mit Gänsehautgarantie. Toll.
Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.
Wollte ich mir auch immer schon mal geben, wird nachgeholt sobald möglich. Danke für den Tipp!
Naja… der gefühlt 100ste Aufguss der immer gleichen Songs, durchsetzt mit ein paar aus dem letzten, nüchtern betrachtet, doch mäßigem Album. Wie immer mit dem letzten Stand der Technik audiovisuell bestens in Szene gesetzt.
Allerdings ist die Band ziemlich langweilig, allen voran der Sänger und Gitarrist, der Gilmour am Mikro ersetzt. Der wird nur noch unterboten von den dünnen Stimmchen der beiden Backgroundsängerinnen. Dazu Waters‘ permanentes und penetrantes Gemotze. Nein. Sollte er nochmal in Deutschland auf Tour gehen, werde ich nicht mehr hingehen. Auch wenn ich für Pink Floyd mehr empfinde als für diverse Lebensgefährten
Sorry Leute, nur für unbelehrbare Fans zu ertragen. Visuell natürlich toll, aber: die Band (siehe Olli_BO) und natürlich Mr. Waters himself, narzisstisch bis zum Abkotzen. Insgesamt nur erträglich, wenn man es schafft, die Augen zu schließen sobald RW ins Bild kommt. Wenns Floyd sein muss, Studioalben oder noch besser Nick Masons Saucerful of secrets. Bestenfalls 1 Punkt