laut.de-Kritik
Ein radikaler Kriegsgegner und Kapitalismuskritiker.
Review von Daniel ThomasWir schreiben den 15. September 2010. Roger Waters startet in Toronto zu einer Tour der Superlative, die - und hier schreibt ein Augenzeuge - niemand je vergessen wird, der eine der Shows gesehen hat. Rund drei Jahre später steigt in Paris das letzte Konzert. Es ist die kommerziell erfolgreichste Tournee eines Solokünstlers, und das, obwohl die Produktionskosten schätzungsweise bei über 60 Millionen US-Dollar liegen.
Die Bühnenaufbauten kommen planerischen Herkulesaufgaben gleich: Nur die absolut größten und modernsten Locations bringen die Voraussetzungen mit, um Waters Vorstellungen der Show zu realisieren. Doch wie soll man ein Album auf die Bühne bringen, über das bereits so viel diskutiert und geschrieben wurde, das nebenbei das meist verkaufte Doppelalbum der Geschichte ist und eigentlich schon 1990 an der gefallenen Berliner Mauer mit größtmöglicher Inszenierung in Gänze aufgeführt wurde?
Mit Bescheidenheit ist nicht zu rechnen, und trotzdem versucht sich die Konzertdoku zunächst genau darin. Der konzeptionelle Ursprung von "The Wall" wird demütig ins Zentrum gerückt, als der sichtlich gealterte Waters zwischen Kriegsgräbern steht, um mit Trompete die Anfangstöne von "In The Flesh" zu spielen.
Es folgt ein Schnitt, reichlich Feuerwerk und man ist mittendrin im audiovisuellen Spektakel, das einen selbst am Bildschirm staunen macht. Der Sound ist umwerfend, die Musiker tadellos und Waters – zum Zeitpunkt der Tour immerhin runde 70 Jahre alt – erstaunlich gut bei Stimme. Schon jetzt ist klar: "Roger Waters: The Wall" ist mindestens so sehenswert, wie der 1995 ohne ihn erschienene Pink Floyd-Konzertfilm "Pulse".
Brick für Brick setzen die Techniker die Mauer während der ersten Hälfte des Konzerts zusammen, bis die Musiker vorrübergehend komplett hinter ihr verschwunden sind. Die ursprüngliche Mauer, als Metapher für Waters psychologische Abschottung, tritt in den Hintergrund. Hier wird sie zur Projektionsfläche mit maximaler Effektwirkung gegen Krieg, Kapitalismus und den Hunger in der Welt. Neben religiösen Symbolen werfen die Bomber Shell- und Mercedes-Logos aus ihren Schächten, Ausschnitte von Wikileaks-Videos aus dem Irak inklusive. Waters lässt keinen Zweifel an seiner Rolle als radikaler Kriegsgegner und Kapitalismuskritiker.
30 Meter große Puppen, eine Licht- und Pyroshow, die ihren Namen verdient und die Animationen aus Alan Parkers Film zum Album: Eine Augenweide an der sich in Zukunft alles messen muss, was ähnlich ambitionierte Livekonzeptkunst sein will. Hier wird Gigantomanie neu definiert, dient im Gegensatz zu anderen effektreichen Konzertdarbietungen aber nie der Inszenierung eines Starkults, sondern ist Mittel zum Zweck und stets dem Thema untergeordnet. So war das eben bei Pink Floyd schon immer.
Eine Schwachstelle hat der Film allerdings: Die theatralischen Szenen und gestellten Dialoge in den Zwischensequenzen hätte es nicht unbedingt gebraucht, auch wenn die Schnitte zwischen On- und Offstage-Footage großartig ausfallen und man Waters gerne zusieht, wie er im britischen Oldtimer über Landstraßen durch Frankreich und Italien fährt, um die Grabstätten seiner in den Weltkriegen gefallenen Vorfahren aufzusuchen.
Das surreale Spektakel auf der Bühne ist für sich jedoch umwerfend und selbsterklärend, und die Geschichte hinter der Geschichte eigentlich schon ausreichend oft erzählt. Zumal diese Zwischensequenzen noch im umfangreichen Bonusmaterial fortgesetzt werden und dort vielleicht besser in Gänze untergebracht wären.
Das Bonusmaterial kann sich im Allgemeinen aber sehen lassen und hat in seiner Fülle für The Wall-Fans etwas zu bieten. Sei es Waters beim Einstudieren von "Another Brick In The Wall Pt. 2" mit Kindern, Gitarrenmodelle, die vorgestellt werden, der riesige Bühnenapparat in seinen Einzelteilen oder der Puppenspieler, der die übermenschlich großen Figuren bewegt: Perfektion und Aufwand dieser Mammuttour wird durch die vielen kleinen Videos, die Mitmusiker und Crew zu Wort kommen lassen, vermenschlicht - ohne dabei das Werk an sich zu entzaubern.
8 Kommentare mit 3 Antworten
Kann dem Rezensenten nur zustimmen, durfte dem Spektakel im Wiener Ernst Happel-Stadion ebenfalls beiwohnen - für mich ein schwer zu toppender Höhepunkt einer langen Laufbahn als Konzertbesucher. Blu-ray wird definitv gekauft!
Hab das live auch mal miterleben dürfen. War sehr geil, aber auch ziemlich teuer. Blu-Ray kommt auffe Liste, Geld ist grad knapp.
Ich habe die Show 2011 in der Münchner Olympiahalle gesehen, werde mir den Film anschauen und in Erinnerungen schwelgen, war eines der besten Konzerte die ich je besucht habe.
Ich werde es mir mal ansehen. Allerdings kann ich mir Comfortably Numb ohne Gilmour´s Gitarre nur schwerlich vorstellen :-/
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.
Und da hat er erstmal den Text vergeigt.
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.
Ja das kennt man inzwischen, millionenschwere Kapitalismuskritiker, die in ihren Villen hausen. Grüne Umweltminister, die jeden Tag von ihrem Fahrer im Phaeton zu Hause abgeholt wwerden,....
Muss fast sagen: Aus Versehen gekauft, sofort bereut. Das Album fand ich damals ziemlich okay, deshalb also DVD gekauft und fassungslos, da offenkundig uninformiert über RWs gnadenlose Selbstbezogenheit/-überschätzung. Nicht nur wird die Mucke oft unnötig gestreckt/halb dekonstruiert, das permanente Mentalgewichse von dem Mann - unerträglich. Selbst das Us And Them - Video ist da eher zu ertragen. Kann man nur gut finden, wenn man PF schon immer als RW-Projekt betrachtet hat und die Schlichtheit seiner Weltanschauung/Texte für getarnte Weisheit hält. Für alle Anderen: Finger weg, 0 Punkte