laut.de-Kritik
"These bitches ain't fuckin' with me": Santi White ist zurück.
Review von Sven KabelitzVier Jahre sind seit Santigolds Debütalbum vergangen. Vier Jahre, die mit großartigen Features bei Spank Rock, Major Lazer, Amadou & Mariam und nicht zuletzt im Song "Don't Play No Game That I Can't Win" der Beastie Boys überbrückt wurden. Santi White gab den gefürchtetsten Einwechselspieler seit Jürgen Grabowski. Die Erwartungen schossen in unerreichbare Höhen.
Die Leila K-artige Vorabsingle "Big Mouth" hätte mir in ihrer Mittelprächtigkeit vielleicht eine Warnung sein können, die Vorfreude etwas herunter zu schrauben. "Bla bla against the wall." "Abracadabra me say open sesame." Aber was soll's. Nun denn, Sesam öffne dich.
Hinter den Toren von "Master Of My Make-Believe" erwartet uns eine Welt, in der das volle Augenmerk auf der Jugend liegt. Santigold zelebriert Selbstbewusstsein, Aufruhr und Skepsis der Backfischjahre. All dies wird so häufig betont, dass es irgendwann leicht aufgesetzt wirkt für eine 35-Jährige. Aber Musiker altern bekanntlich langsamer.
Santi White greift auf ihrem Zweitling immer wieder tief in die Wundertüte des Pop. Versatzstücke aus 40 Jahren Musikgeschichte pflastern den Weg von "Master Of My Make-Believe". Die zweite Single, das elysische Gefilde erkundende "Disperate Youth", das nun leider in der Werbung eines britischen Mobilfunkunternehmens totgenudelt wird, bedient sich recht offensichtlich bei "Making Plans For Nigel" von XTC. Über den Teppich des New Wave-Klassikers verbreitet Santigold Grimes-Synthesizer, unterlegt den Song mit Bubblegum-Electro-Dub und durchbricht ihn mit einer Jab-Gitarre, durch die selbst Don King auf die Sängerin aufmerksam wird. "We know we want more, a life worth fighting for."
Vorher gelingt mit "Go!" ein furioser Einstieg. "People want my power / and they want more station / stormed my winter palace / but they couldn't take it." Wildwirrer Synthrock trifft auf afrikanische Beats trifft auf M.I.A. und Bow Wow Wow. Gemeinsam mit Karen O und ihrem auf der Platte allgegenwärtigen Bandkumpan Nick Zinner gelingt ein energischer Opener, der auf die Arbeit von insgesamt sieben Songwriter zurückgreift. Ob Produzent Q-Tip da noch einen Überblick hatte? Trotzdem funktioniert der Song und widerlegt die alte Mär mit den zahlreichen Köchen.
Dagegen kommen weder die Basseinschläge von "Fame" noch das keyboardlastige "This Isn't Our Parade" wirklich in Gang. "Pirate In The Water" dauert nur drei Minuten, die sich aufgrund ständiger Wiederholung anfühlen wie eine Ewigkeit. Man möchte auf das durchgaloppierende Pferdchen springen und im Sonnenuntergang verschwinden.
Den größten Schwachpunkt leistet sie sich mit "Freak Like Me", das mitsamt seiner Cheerleaderattitüde stark an "Rich Girl" von Gwen Stefani erinnert. Der Beat packt, der Rest zerrt an den Nerven. Geb' mir ein B, geb' mir ein U, geb' mir ein H und dann geh wohin du willst.
Mit dem balladesken "The Riot's Gone" zeigt Santi ihre verletzliche Seite. "I've been haunted all my life / on the brink of something close / people know that I write / know I'm grappling with a ghost." Florence Welch kann sich neidisch zeigen, während mein Favorit die Yazoo-artige Bridge bleibt.
"We're the keepers / while we sleep in America / our house is burning down." Die prägnanten Zeilen in "The Keepers" unterlegt White mit einem charttauglichen gefälligen Synth-Pop-Ohrwurm, der das Zeug zu einem zweiten "L.E.S. Artistes" hat. Das untadelige "God From The Machine" findet seinen Charakter über eine gespenstische 60s-Punk-Gitarre und Militärsnares. Santi White singt kalt, unmenschlich, fast metallisch, als wolle sie sich zur nächsten Witch House-Queen bewerben.
Wie zum Gegenentwurf gibt sie in "Look At These Hoes" die Nicki Minaj light. Über Psychodrums verteilt sie einen Diss gegen all die Rihannas dieser Welt. "Look at me / Then look at these hoes / These bitches ain't fuckin' with me." Ob Santigold ahnt, dass der Weg zu Beyoncé, Britney Spears und Konsorten kein weiter ist? Immerhin hat Diplo, Mitproduzent des Stücks, bereits mit den Damen gearbeitet. Ulkige Welt.
Pop ist ein Überlebensbiest. In den vier Jahren zwischen "Santogold" und "Master Of My Make-Believe" hat er Santigold überholt und schlussendlich assimiliert. Die ewig angestrengten Vergleiche mit M.I.A. hinken, Gwen Stefani oder eine Madonna in Hochform treffen es eher.
11 Kommentare mit 2 Antworten
lesbenmusik
Da ist tatsächlicherweise was dran.
Nach Disparate Youth hätte ich mehr erwartet.
Ich auch. Disparate Youth ist wirklich gut, auch das Video, Big Mouth und Look at these hoes sind aber ganz ganz grottig! Jemand hat gesagt dass das Album durchwachsen ist, das trifft es ganz gut find eich. 3 Punkte gehen noch klar wenn ich ein Auge zudrücke. Mir ist das alles zu langweilig, in der ganzen Stilmischung und genre-hopping klingen vor allem die letzten Tracks alle total gleich. Fad und ohne Geschmack. Das Debut war sehr, sehr viel besser. Schade.
Gefällt mir richtig gut.
Wieder ein Verriss, den ich nicht nachvollziehen kann. Fand die Platte richtig gut.
Drei Punkte sind bei dir ein Verriss?
Eine gute Scheibe für ein Comeback leider sind ein paar ziemliche Rohrkrepierer dabei wie die zwei letzten Tracks oder Pirate in the Water. The Riot's Gone wäre hier ein perfekter End Track gewesen.