laut.de-Kritik

Diese Stimme zerbricht jede Schutzmauer.

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Ohne Vorwarnung durchbricht ihr Gesicht den kunterbunten Alltag auf MTV. Ihre Augen, ihre kurzgeschorenen Haare, zwei Tränen und diese Stimme ziehen alle Aufmerksamkeit auf sich. Dieser zartschmelzende Song, der wie kaum ein anderer die innere Leere nach dem Ende einer Beziehung zum Ausdruck bringt. Diese Stimme, die selbst in ihren lautesten Momenten anmutig und zerbrechlich und in ruhigen Augenblicken wütend und sarkastisch klingt.

"Nothing Compares 2 U" bringt die Irin Sinéad O'Connor an die Spitze der weltweiten Charts, in die Wohnzimmer der Angepassten und letztendlich gar auf den "Kuschelrock IV"-Sampler. Das Bild, das sich die breite Öffentlichkeit von der Sängerin macht, hat mit der realen Sinéad O'Connor nur noch wenig gemein. Ein großes Missverständnis, wie sich zwei Jahre später zeigen soll.

Wer Sinéad von ihrem Debüt "The Lion And The Cobra" und den Singles "Troy" und "Mandinka" kannte, weiß 1990 bereits von ihrer ungezügelten Wut. Durch ihre zerrissenen Songs voller Herzblut, Melancholie, Ingrimm und Kraft ziehen sich irischer Protest-Folk, Garage-Rock, Punk-Attitüde, Hip Hop-Elemente und Reggae. Sie singt von Unabhängigkeit, Gott, Rebellion, Verlust und zerbricht jede Schutzmauer zwischen dem Zuhörer und sich selbst.

Immer wieder kommt sich Sinéad O'Connor selbst in die Quere. Die Herumgestoßene, die Verstörte, die Ungeliebte, die Märtyrerin. Zu ihrer Faszination gehören das ewige Straucheln, das Scheitern, das Anecken und die Peinlichkeiten. Vier Ehen, die letzte dauert gerade einmal sechzehn Tage, bringen sie viel später wieder in die Klatschspalten.

Mehrmals kündigt sie an, sich von der Musik komplett zurück zu ziehen, nur um kurz darauf ein neues Werk zu veröffentlichen. Ein spontaner, zorniger, ehrlicher Mensch mit extremen Ansichten zur organisierten Religion, Frauenrechten, Krieg und Missbrauch, den die Medien bis heute nicht verbiegen konnten. Als sie in einem Interview zugibt, zweimal abgetrieben zu haben, spucken ihr auf den Straßen von Dublin fremde Menschen ins Gesicht: "Dich hätte man abtreiben sollen, du Hure des Teufels."

Wie um ihre Freigeistigkeit zu bestätigen, schart sie für ihren zweiten Longplayer Musiker aus den verschiedensten Genres um sich. Das ehemaligen The Wild Bunch-Mitglied Nelle Hooper, der sich gerade mit Soul II Soul einen Namen macht, produziert das Album. Marco Pirroni, ehemals bei Siouxsie And The Banshees und Adam And The Ants, greift zur E-Gitarre, Ex-The Smiths-Bassist Andy Rourke zur Akustischen. Der ewig getriebene Public Image Ltd-Bassist Jah Wobble übnernimmt den Job an den vier Saiten. O'Connors erster Ehemann John Reynolds sitzt am Schlagzeug. Die bevorstehende Scheidung vom Vater ihres Sohnes und die Schattenseiten des aufkeimenden Ruhms überziehen die Atmosphäre von "I Do Not Want What I Haven't Got".

"I am not like I was before / I thought that nothing would change me." Die orchestrale Ballade "Feel So Different" eröffnet die Platte. Eine geradlinige Abrechnung mit dem Ruhm und seinen Auswirkungen auf zwischenmenschliche Beziehungen. So ruhig, so nüchtern, so voller Rage. Dabei standen die eigentlichen Veränderungen noch bevor. Das feenhafte und zeitgleich gallenbittere New Age-Stück "Three Babies" schreibt O'Connor nach einer Reihe von Fehlgeburten. Ein in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommenes Thema, dessen aufrichtige Trauer und Zärtlichkeit sich in jedem Wort widerspiegelt und direkt ins Mark trifft. "Each of these my three babies / I was not willing to leave / In my soul / My blood and my bones / I have wrapped your cold bodies around me / The face on you / The smell of you / Will always be with me."

Deutliche Spuren hinterlässt Hooper in "I Am Stretched On Your Grave", einem gälischen Gedicht aus dem 17. Jahrhundert, das vom irischen Musiker Philip King ins Englische übersetzt wurde. Eine Romanze zwischen altertümlichen Sagen und Zeitgeist, in der keltische Melodien mit James Browns "Funky Drummer"-Sample kollidieren. Hinter dem zugänglichen "The Emperor's New Clothes" versteckt sich eine bittere Bilanz. Die Erinnerungen an eine uneheliche Schwangerschaft in einem irisch-katholischen Umfeld treffen auf die Pein einer vom Erfolg verdorbenen Liebe.

Für die Maxi-Single steuerte Public Enemy-Produzent Hank Shocklee einen Remix bei. "He thinks I just became famous / And that's what messed me up", grantelt O'Connor. "But he's wrong / How could I possibly know what I want / When I was only twenty-one?"

Doch mit keinem Song wird Sinéad O'Connor mehr in Erinnerung bleiben als mit "Nothing Compares 2 U". Jenem von Prince für The Family geschriebenen Stück, das sie mit gewaltiger Intimität ganz zu ihrem eigenen macht. Wie entblößt steht ihr Seelenleben vor dem Zuhörer. "I went to the doctor n' guess what he told me / Guess what he told me / He said girl u better have fun / No matter what you do / But he's a fool." Niemand kann diese Zeilen so spöttisch und böse singen wie die Irin. Viele versuchten sich danach an dem Track, doch selbst der 1,58 Meter kleine Großmeister aus Minneapolis scheitert 1993 kläglich auf seiner "The Hits 1"-Compilation.

"Margaret Thatcher on TV / Shocked by the deaths that took place in Beijing / It seems strange that she should be offended / The same orders are given by her." "Black Boys On Mopeds" geht mit Rassismus und der Heuchelei der Thatcher-Regierung entwaffnend romantisch ins Gericht. Im Mai 1989 verfolgte die Londoner Polizei den schwarzen Nicholas Bramble auf seinem Moped, in dem Irrglauben, dass er es gestohlen habe. Der von Panik erfasste Jugendliche verlor die Kontrolle über sein Fahrzeug und stürzte zu Tode. O'Connors Stimme setzt sich gespenstisch und elegisch gegen ihre akustische Gitarre durch. Auf einem Album der persönlichen Kämpfe wirkt der Track wie ein Weckruf an die Außenwelt. Ein verträumter Folk-Song, politisch wie auch persönlich prophetisch. "These are dangerous days / To say what you feel is to dig your own grave."

Das Grab für ihre Karriere schaufelt Sinéad O'Connor am 3. Oktober 1992. Niemand ahnt, was die Sängerin vorhat, als sie vor das Millionen-Publikum von "Saturday Night Live" tritt. Im weißen Kleid, umgeben von Kerzen, singt sie eine A-capella-Version von Bob Marleys "War", in der sie "racism" durch "child abuse" ersetzt. "And we know we shall win / As we are confident / In the victory / of good over evil." Evil - das Böse, das Üble. Sie hält ein Bild des damaligen Papstes Johannes Paul II. in die Kamera, dem Stellvertreter Jesu Christi auf Erden, und zerreißt es zu den Worten "fight the real enemy". Das Live-Publikum zeigt sich von der Aktion vollkommen überfordert. Kein Applaus, keine Buh-Rufe, nur absolute Stille legt sich über die Szenerie, als die Sängerin nach ihrem medialen Selbstmord die Kerzen neben sich ausbläst.

Für die gläubige O'Connor steht der Papst an der Spitze der religiösen Organisation, die für unzählige Fälle von Kindesmissbrauch durch Priester steht. Ein Thema, das Irland zu Beginn der 1990er erschüttert und 2010 auch in Deutschland zu unzähligen Austritten aus der römisch-katholischen Kirche führt. Im Rahmen der Seligsprechung Johannes Pauls II. im Mai 2011 äußert sich Norbert Denef, Vorsitzender des Netzwerks Betroffener von sexualisierter Gewalt: "Nicht nur für mich persönlich, sondern weltweit für viele Opfer, die als Mädchen und Jungen in der Amtszeit Papst Johannes Pauls II. missbraucht wurden, ist diese Seligsprechung Salz in ihren tiefen, noch immer frischen Wunden."

Selbst ein Opfer von Missbrauch, will O'Connor ein deutliches Zeichen setzen. Ein Zeichen gegen den Papst, der die Menschenrechte von Frauen und Theologen mit Füßen tritt und einen Kreuzzug gegen die Verwendung von Kondomen führt, womit er eine Eindämmung des HI-Virus in den afrikanischen Ländern verhindert. Doch was interessiert all dieses Leid religiöse Fanatiker in Amerika? Es hagelt Auftrittsverbote für O'Connor. Ihre Platten werden öffentlich verbrannt.

Zwei Wochen nach ihrem Skandal-Auftritt betritt sie für das 30th Anniversary Concert von Bob Dylan die Bühne. Ein Orkan aus Buhrufen und vereinzeltem Jubel bricht über sie herein. Vor einer wildgewordenen Menge nimmt Kris Kristofferson sie zur Seite. "Not to let the bastards get you down." - Sinéad: "I'm not down." Ein weiteres Mal schreit sie der Menge "War" entgegen. Eine stolze, kämpferische Löwin, deren Stimme immer wieder kippt. Ein letzter direkter Blick ins Publikum. Als sie die Bühne verlässt, bricht sie weinend in Kristoffersons Armen zusammen.

Sinéad O'Connor verabschiedet sich an diesem Abend als vermeintliches One-Hit-Wonder weitestgehend aus dem öffentlichen Interesse. Das kurz zuvor veröffentlichte "Am I Not Your Girl?", ein seltsam gleichgültiges Cover-Album, fällt bei Käufern und Kritikern durch. Was mit dem zerbrechlichen "Nothing Compares 2 U" und zwei Tränen begann, endet in Wut, Zorn, Courage und Integrität. Auch wenn sie oft genug gegen Windmühlen anrennt, kämpft die Irin bis heute lautstark für die Dinge, die sie glaubt, ändern zu können.

Die ersten Worte auf "I Do Not Want What I Haven't Got", das Gelassenheitsgebet von Reinhold Niebuhr, mit dem sie "Feel So Different" beginnt, werden zu ihrem Mantra. "God, grant me the serenity to accept the things I cannot change, the courage to change the things I can and wisdom to know the difference."

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Feel So Different
  2. 2. I Am Stretched On Your Grave
  3. 3. Three Babies
  4. 4. The Emperor's New Clothes
  5. 5. Black Boys On Mopeds
  6. 6. Nothing Compares 2 U
  7. 7. Jump In The River
  8. 8. You Cause As Much Sorrow
  9. 9. The Last Day Of Our Acquaintance
  10. 10. I Do Not Want What I Haven't Got

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5 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 11 Jahren

    Ich freu' mich ja so schon immer, wenn ich einen der Meilensteine überhaupt kenne, aber diesmal erst recht, weil ich den selber auch so sehr mag.
    Dazu muss ich aber auch sagen, dass ich die Rezension (wenn man das denn so nennen darf) sehr gelungen finde. Sinéads Geschichte ist von sich aus schon 'n Hammer, klar, aber Herr Kabelitz hat das darüber hinaus wirklich schön erzählt.

    (Keine Ahnung, ob "Kompliment!" verschleimt oder verstockt rüberkommen könnte, nur darum lass' ich das mal stecken.)

    • Vor 11 Jahren

      Natürlich geht's auch hier wieder um Klicks, aber davon mal ab find ich's gar nicht mal schlecht, den Meilenstein jetzt rauszuhauen.
      Wenn die Top-Kommentare der Sinéad-Videos auf YouTube allesamt Miley behandeln, kann es sicher nicht schaden, hier jetzt ein bisschen Aufklärung / Nachhilfe von anderer Seite aus zu betreiben.

  • Vor 11 Jahren

    Gutes Album. Ich hätte aber trotzdem ihr Debut "The Lion and the Cobra" gewählt.

    Zu ihrer derzeitigen Auseinandersetzung mit Mily Cyrus fällt mir ein:
    bevor O'Connor ihr erstes Album veröffentlichte hatte sie kurze Haare. Ihre Plattenfirma forderte sie auf sich die Haare länger wachsen zu lassen, damit sie weiblicher und mehr sexy aussieht und damit mehr Platten verkauft. Ihre Reaktion darauf war sich eine Glatze zu scheren: sie will dass die Leute ihre Alben wegen der Musik und nicht wegen ihres Sexappeals kaufen.
    Daher scheint sie wohl auch ein Problem mit anderen Sängerinnen zu haben, die Alben nur mit Sexappeal aber nicht mit musikalischer Qualität verkaufen... ^^

  • Vor 11 Jahren

    Ist Skinhead I' Copnner eigentlich rechts?

  • Vor 11 Jahren

    Tolle Sängerin interessanter Mensch nur die Männer halten es wohl nicht mit ihr aus oder ist es eher umgekehrt ;-)