laut.de-Kritik

Für den höchsten Fahrstuhl der Welt.

Review von

So, liebe Generationen Z und Y – und sogar noch X, aufgepasst: Steve Hackett war mal Gitarrist von Genesis. Genau, das ist die Band, die ihr ausschließlich deshalb kennt, weil Phil Collins da mal war. Und den kennen auch nur diejenigen von euch, die GTA Vice City Stories oder Remakes davon gespielt haben. Aber früher waren das mal ganz, ganz große Nummern, nicht zuletzt der frühere Frontmann Peter Gabriel. Hackett war kein Gründungsmitglied der Band, er ist auch schon seit 1977 überhaupt kein Mitglied mehr der bis 2022 tourenden Band. Manche Prog-Heads mögen mich verfluchen, aber ich mochte die Pop-Band Genesis nach Hacketts Ausstieg gerne. Es war aber definitiv eine andere Band.

Insofern ist es nicht vermessen, dass Steve Hackett 2024, 50 Jahre nach Erscheinen, das Genesis-Album "The Lamb Lies Down On Broadway" live wiederaufführte. Das ist nur insofern verwunderlich, als immer klar war, dass er dieses Album am wenigsten mag von den fünf, die er mit der Band aufnahm – schlicht, weil er als Gitarrist weniger glänzen konnte als auf den anderen. Es gibt mehrere Versionen von "The Lamb Stands Up Live At The Royal Albert Hall", diese umfassen aber wahlweise nur die Aufnahmen des Konzerts und ein Interview. Es handelt sich aber nicht um eine Komplettaufführung des alten Albums, sondern um ein Medley aus Genesis- und Solosongs mit einem größeren Teil der Songs des Lammalbums. Das ist natürlich konzeptioneller Quatsch, zumal das Originalalbum ein Konzeptalbum war und die Frage nach dem Mehrwert dieser Veröffentlichung schon vor dem ersten Hören aufkommt. Das Konzert war übrigens durcheinander organisiert, nur aus Organisationsgründen wurden die beiden Teile Lamb und Nicht-Lamm für die Veröffentlichung getrennt. Das hier ist aber übrigens kein (reiner) cash grab: Hackett tourt schon wieder mit einem anderen Programm und nimmt weiterhin auf.

Die Solosongs der ersten Scheibe stammen teils von "The Circus And The Nightwhale", das beim Kollegen Rieger letztes Jahr nicht besonders gut wegkam. Ich oute mich als Prog-Laie, der eher für Rezensionen einen Zeh ins Gegniedel-Wasser steckt und ging mit niedrigen Erwartungen rein. Das mündete in einer positiven Überraschung, auch wenn ich erst nach mehrmaligem Nachsehen glauben konnte, wie jung die ersten drei Lieder dieses Albums sind. Das atmet 70er ohne Ende und alle drei machen sie Spaß, aber eben in diesem Kontext als Live-Album, bei dem die Kitsch-Schmerzgrenze absinkt. Leider scheint Hackett seinen Zenit für meinen Geschmack erst 2024 erreicht zu haben, denn danach fällt es ab. "The Devil's Cathedral" ist formelhaft, "Every Day", das Hackett fast immer spielt, aufgrund seiner völligen Harmlosig- und Vorhersehbarkeit nur nett, "Hands Of The Priestess" eine Folk-New Age-Demo.

"A Tower Struck Down" verliert ständig unnötig an Gravitas und fühlt sich wie ein sehr gutes Intro und ein ebenso gutes Outro an, dessen Mittelteil fehlt. "Camino Royale" ist Musik für den höchsten Fahrstuhl der Welt, "Shadow Of The Hierophant" verliert seinen Spannungsbogen gleich mehrfach und könnte viel mehr. Der Genesis-Song "The Cinema Show" ist zumindest in dieser Form disparat, gelingt aber zum Ende hin ein Jam-Atmosphäre. "Aisle Of Plenty" bleibt ein feiner Klassiker und schöner Abschluss einer insgesamt schwachen ersten Platte. Dass fünf dieser Songs der ersten Scheibe schon auf "Foxtrot At Fifty & Hackett Highlights" zu finden waren, kann man wohlwollend auslegen als konstanten Glauben an die Stärken der eigenen Songauswahl.

Scheibe Zwo schneidet endlich das heiß ersehnte Lamm an und die Gelegenheit nutze ich, Nad Sylvans Stimme für ihre scheinbare Zeitlosigkeit zu loben. Der gute Mann könnte auch zwanzig sein, ich würde es glauben. Gerade beim Opener und Titeltrack des zweiten Teils kommt er glänzend zur Geltung, "The Chamber Of 32 Doors" trägt er locker allein. Wenig überraschend wählte Hackett Songs aus, die ihm Raum geben als Gitarrist, deshalb kein "In The Cage" oder "Back In NYC". Fans werden "Cuckoo Cocoon", "Waiting Room" "Supernatural Anaesthetist" oder "Counting Out Time" sicher vermissen, der Rest von uns erfreut sich an "Fly On A Windshield", bei dem Steve Rothery von Marillion vorbeischaut. Der Genreklassiker verliert in dieser Version mal gar nichts von seiner Magie, eine stampfende Freude im Hintergrund, vor der die Gitarren um die Wette seufzen.

Da kann "Broadway Melody Of 1974" nicht mithalten, seine schöne Grundfigur wird nie eingelöst. "Hairless Heart" beginnt interessant und kraftvoll, macht dann aber schlapp. "Carpet Crawlers" baut mit Gast Ray Wilson diese Spannung auf, die dem Gitarrensolo erst den Boden bereitet für den großen Auftritt. Es folgen blitzsaubere Versionen von "Lilywhite Lilith" und "The Lamia". "It" ist ein Durcheinander und der Abschluss des Lammes.

Es folgen die beiden "England"-Stücke "Dancing With The Moonlit Knight" und "Firth Of Fifth", der erste guter Prog, der zweite kitschiger Schmarren. Der Medley-Song "Los Endos" beendet das Medley und fühlte sich schon immer zu sehr konstruiert wie ein Outro an. Handwerklich alles blitzsauber im Hause Hackett, nach zweieinhalb Stunden ist man platt und zweifelt an der Halbwertzeit manches Songmaterials und ob man es nicht besser modern, oder einfach anders, interpretieren sollte, um ihm eine zweite Seite abzugewinnen. Denn so ist es ebenso altbacken wie kompetent umgesetzt, daran führt kein Weg vorbei.

Trackliste

  1. 1. People Of The Smoke
  2. 2. Circo Inferno
  3. 3. These Passing Clouds
  4. 4. The Devil's Cathedral
  5. 5. Every Day
  6. 6. Hands Of The Priestess
  7. 7. A Tower Struck Down
  8. 8. Low Notes And High Hopes
  9. 9. Camino Royale
  10. 10. Shadow Of The Hierophant
  11. 11. The Cinema Show
  12. 12. Aisle Of Plenty
  13. 13. The Lamb Lies Down on Broadway
  14. 14. Fly On A Windshield
  15. 15. Broadway Melody Of 1974
  16. 16. Hairless Heart
  17. 17. Carpet Crawlers
  18. 18. The Chamber Of 32 Doors
  19. 19. Lilywhite Lilith
  20. 20. The Lamia
  21. 21. It
  22. 22. Dancing With The Moonlit Knight
  23. 23. Firth Of Fifth
  24. 24. Los Endos

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1 Kommentar mit 5 Antworten

  • Vor 12 Stunden

    Derjenige, welcher Firth of Fifth als kitschigen Schmarren bezeichnet, sollte seine Finger lieber von Rezensionen klassischen Genesismaterials lassen.

    • Vor 11 Stunden

      Na ja, ist nicht eindeutig, ob der Rezensent die Darbietung hier oder das Stück als solches meint. Die Original-Version auf Selling England ist sebstredend unhatebar.

    • Vor 59 Minuten

      Wer solche Rezensionen schreibt sollte überhaupt die Ohren von Genesis bzw. Steve H. lassen. Letztendlich ist dieses Geschreibsel eine einzige Frechheit.

    • Vor 57 Minuten

      Was der Steve da macht ist auch nur alte Grütze in neuen Schläuchen und dann zu Preisen die jedweder Grundlage entbehren. Aber alles nur kalkulierter Kommerz - wenn auch gut gespielt. Die scheinen ja die Asche zu brauchen.

    • Vor einer Minute

      Tja, wenn die alte Grütze nun mal besser als die neue Grütze ist, dann muss das eben so sein.

    • Vor 2 Sekunden

      Ich glaube, wenn man in einer Rezension von Genesis Material den Satz... "Ich mochte die Pop Band Genesis, nach Hacketts Ausstieg gerne"... Unterbringt, dann ist wahrscheinlich besser man hört auf weiter zu schreiben... Zweifelsfrei richtig ist es natürlich prinzipiell die Frage zu stellen, wie oft diese Lieder noch eine live Veröffentlichung in ähnlicher Variante brauchen... Aber das ist noch was anderes... Fahrstuhlmusik... Firth of fifth.... Kitsch???...