laut.de-Kritik
Bombast, Pathos und wirre Kirmes-Einschübe.
Review von Kai ButterweckBombast, Pathos und orchestrale Überdosen: Wenn sich Tarja Turunen in einem Studio verschanzt, dann bleibt keine Steckdose unbenutzt. Die Ex-Nightwish-Frontfrau mit dem Drei-Oktaven-Stimmvolumen schöpft eben gerne aus dem Vollen. Auch auf ihrem dritten Soloalbum zieht die Grande Dame des Goth und Symphonic Metal alle Register.
Mit Marsch-Beat und mittelalterlichem Harmonie-Thema öffnet "Victim Of Ritual" die Tore in eine mystische Klangwelt voller Licht und Schatten. Nach einer einminütigen Aufwärmphase sind die Muskeln angewärmt - Zeit für den obligatorischen Spagat zwischen Opulenz und Dekadenz. Mit einem Schlag drücken sich zentnerschwere Gitarrenspuren aus den Boxen, während sich Tarjas Stimme in klassische Höhen hievt. Die Vorgehensweise ist bekannt: Ihr dürstet nach der unantastbaren Melodie, die das bewährte Schema zu etwas Besonderem macht. Geschafft, der Opener darf ausklingen und sich am Ende eines anerkennenden Nickens sicher sein.
Weitere Applaus-Garanten folgen. Da wäre beispielsweise das anschließende Stalking-Drama "500 Letters", das sich schleppend und ohne große Dynamik-Pausen seinen Weg in die Bombast-Herzen bahnt. Auch die beiden ungewohnt deftigen Energiebündel "Never Enough" und "Neverlight" beeindrucken mit einer ausgewogenen Mischung aus Kraft und Liebreiz. Hier hat die Sopranistin die Zügel fest in der Hand und findet perfekt arrangierte Protz-Backgrounds vor, in denen sich ihr markantes Organ wunderbar austoben kann.
Zwischendurch schleicht sich allerdings immer wieder Unsicherheit in das mit reichlich orchestralen Zusatzeffekten aufgepeppte Grundfundament. Mit fragendem Blick setzt sich Tarja auf den Regiestuhl und öffnet Tür und Tor für vermeintlich spannende und gewinnbringende Außer-der-Reihe-Einschübe. Und so freuen sich wirre Kirmes-Einwürfe ("Lucid Dreamer") ebenso über unerwartete Gästelistenplätze wie gewöhnungsbedürftige Vocal-Effekte ("Darkness") und unterschwellig eingefügte Elektro-Rhythmen ("Until Silence").
Mut zum Risiko und der Drang nach Neuem sollten zweifellos immer ganz oben auf der To-Do-Liste eines Künstlers stehen. Wenn das allerdings zur Folge hat, dass ein an sich stimmiges Gesamtbild aufgrund punktuell eingesetzter Verzerrungen und Unruhestifter in Schieflage gerät, dann sollte man lieber die Finger davon lassen.
Glücklicherweise hält sich Tarjas Experimentierfreude im Rahmen. Und so schiebt der Freund märchenhafter Paukenschlag-Sounds all die kleinen Neuankömmlinge beiseite und erfreut sich an solider, teils überdurchschnittlich gelungener Basisware.
1 Kommentar
Tolles Album! Komplexer und sperriger als die Alben davor... Gefällt mir!