laut.de-Kritik
Musik aus einer Ära, in der man Fotos noch mit der Polaroid machte.
Review von Philipp KauseDas Debüt der Allman Betts Band liegt gerade ein gutes Jahr zurück, und schon klingt der Nachfolger reichlich anders: Satter und wie pochende Herzschläge die Drums, sägender die Lead und Rhythm Guitar, hallender die Bässe, stilistisch mit manch fein dosiertem Eagles-Einschlag, Surf-Sound-Ausflug, Honkytonk, zwei Akustik-Balladen, alternativem Bluesrock, twangendem Americana und nur zwei Songs, die erkennbar der Vorgänger-CD ähneln. Luftiger wirken die Melodien auf "Bless Your Heart", wie ein Aufbruch in den Frühling.
Das Timing geriet sowieso durcheinander: Im Sommer 2019 brachen die Erben von Gregg Allman und Dickey Betts krankheitsbedingt ihre Deutschland-Tournee mittendrin ab, und nun überspringen sie notgedrungen das, was diese Musik auszeichnet: die langen Live-Soli. Derweil sind die meisten Stücke on the road entstanden, inspiriert vom Unterwegssein und den am Tourbus vorbeiziehenden Landschaften.
Um eine Studioplatte trotz Mangel an Auftritten zum spannenden Ereignis aufzuwerten, schuf das Sextett wieder einen grandiosen Rahmen für die Aufnahmen, in ihren Lieblingsstudios. Dort war die Combo 'eingesperrt': Denn draußen tobten Tornados, wie sie in dieser Gegend öfter vorkommen, in Sheffield bei Alabama.
Die Band machte es sich gemütlich und profitierte erneut vom Summer of '69-Flair der holzgetäfelten 'Muscle Shoals'-Räume, mit Western-Optik, grünem Neon-Licht und perfektem Surround-Klang. Glück hatten die Herren, denn seit dem Corona-Ausbruch ist diese Location, die sich mit Touristenführungen querfinanziert, radikal geschlossen. Wie sehr die Umgebungen inspiriert haben, sowohl beim Songwriting als auch bei der Einspielung, lässt sich dem farbenprächtig klingenden Werk in sehr vielen Momenten anhören.
Als überstrahlendes Highlight inmitten lauter perfekter Stücke setzt sich das hymnische "Ashes Of My Lovers" durch. Ein stilistischer Zwitter: Einmal steckt da der rhythmische Groove und harmonische Verlauf von fetten 70er-Jahre-Hits wie "Wild Horses"/Stones und aus Dylans "Blood On The Tracks"-Phase drin. Selten platziert sich eine Mundharmonika so gut, außer natürlich bei Dylan selbst. Dann mischt sich Surf-Feeling dort hinein; Nick Waterhouse und The Blue Hawaiians wirken ganz nah. Als dann kurz die Songwriterin Shannon McNally einen Abschnitt singt, wähnt man sich bei Sheryl Crows Folk-Rock.
Das Spiel mit den Ebenen und Subgenres der Americana-Welt korreliert mit dem, was Allman und Betts wahrnahmen. Sie fuhren ihre Tournee durch Nordamerika großenteils auf der Straße und ließen die optischen Eindrücke des Mittleren Westens auf sich einprasseln, schauten Richtung Atlantik und Pazifik und in den Himmel über Wyoming, erspürten das Lebensgefühl der wechselnden Städte, von Chicago bis New York, die sie aufsuchten. Sie nutzten freie Minuten in Hotelzimmern, um die Unterschiede zwischen Florida, Louisiana und Georgia in Noten und Riffs festzuhalten, und schließlich begaben sie sich zum Proben nach Nashville.
Sie durchquerten die USA langsam, und sie lassen den vielen Impressionen und Emotionen nun Zeit: so laufen die rein instrumentalen zwölf Minuten von "Savannah's Dream" zu einer durchweg spannenden Erzählung auf. Ohne ein Wort, doch die drei Gitarren, die abwechselnd die Soli absondern, sprechen für sich. Statt eines Traums entspinnt sich hier wohl eher ein Tagtraum, von der Sehnsucht nach den großen Zeiten, als Frampton und Led Zeppelin den Ton angaben und Rap kaum bekannt war (außer in New Yorks Hinterhöfen). Die Zeiten sind andere, die Musik erinnert an eine Ära, als Teppichböden statt Laminat der Standard waren und man Fotos mit der Polaroid machte und nicht mit dem Smartphone. Dieses viele Retro kommt hier sehr 'heartfelt' herüber.
Denn die Platte trumpft mit unbändiger Mitteilsamkeit auf, schreibt authentisch die Familiengeschichte(n) der beiden Bandleader fort. Und die Herren wollen auch nicht nur was, sie können es eben gigantisch gut. Handwerklich auf Hochglanz geschliffen, lassen die Tracks in Sachen Musikalität keinen Wunsch offen. Ob Devon gesanglich, wie in "Southern Rain", zwischen tiefem Timbre und 'falsettigen' Höhen springt wie ein Rehkitz im Wald, oder ob der Drummer so natürlich und unbeschwert spielt, als platzten seine Töne einfach so vom Himmel herunter – alle Musiker verrichten virtuos ihren Job.
Die großartige Keyboards-Arbeit von John Ginty (schon mit Bad Religion und Santana im Studio) bindet alles zu einem warmen Reigen zusammen. Netter Kniff sind die Atmo-Geräusche und Ansage-Schnippsel aus dem offenen Mikro des Toningenieurs bei manchen Track-Einstiegen. "Bless Your Heart" ist echt, nahbar und rund geworden.
1 Kommentar
jau, datt is ne Zeitreise... Abwechslungsreicher als die Alten, (vielleicht zu) perfekt produziert, nicht weltbewegend, aber wenn man mal ne Zeitreise in die damals scheinbar goldenen, unschuldigen Zeiten braucht, dann grenzperfekt 4/5