laut.de-Kritik

Sensibilität nach DIN-Norm.

Review von

Urlaubszeit Ende der 90er, Stau am Brenner. Im Warten auf neue, bessere Verkehrsmeldungen füllen Fury In The Slaughterhouse, Bell, Book & Candle, Meredith Brooks und Natalie Imbruglia die Zeit. Musik, die fast jeder damals kennt, über die heute niemand mehr spricht. Genauso wie über Amy MacDonald und ihre Peers Aura Dione, KT Tunstall, Leona Lewis. Die einen stehen am Anfang, die anderen am Ende einer (bis auf Rea Garveys Output) zum Glück vergangenen Phase der CD-Ära und vertreten eine Kompromiss-Farbe, die in der Fachsprache des Rundfunk-Marketings Adult Contemporary heißt und immer genau einem Ziel dient: Nicht zu stören, demzufolge glatt produziert zu sein und viele, sehr viele Leute gleichzeitig anzusprechen, eher Light User, die kaum Musik kaufen, als Freaks, und ohne eine Subkultur oder ein Genre zu tief zu berühren.

Diese Konsensmusik enthält in unterschiedlich hohen Anteilen Elemente aus Folk, Alternative und Modern Rock, Classic Rock, Dance und Electropop. Bei Amy mischt sich noch eine Prise Nashville-Sound hinein. Die Sängerin umwehte sich selbst mit dem Hauch des tanzbaren Geschichtenerzählens zu angedeuteten Gitarren-Riffs, präsentierte sich aber zu Karrierebeginn noch als Mädchen mit der Akustischen unterm Arm. Ihre Riffs sollen sich heute so anhören wie Frottee-Bademäntel aus Polyester sich anfühlen, gleichzeitig aussehen wie Motorradfahrer-Bomberjacken. Wir schreiben knapp 17 Jahre nach "This Is The Life" - mehr Zeit verstrich, als Merkel regiert hat. Und Amy macht auf "Is This What You've Been Waiting For?" genau das gleiche wie damals, bloß eine Spur künstlicher. Dieses Mal wirkt es umso mehr wie das Erfüllen einer vorgestanzten Formel - Sensibilität nach DIN-Norm.

Damit wäre das Album erschöpfend beschrieben: Langweilig. Es tritt alles auf der Stelle, führt auf monomanische Weise ein einmal entwickeltes Rezept aus, dessen Ziel es zu sein scheint, kein Instrument heraushörbar zu machen, sondern nur Brei mit Soße auszuspucken. Durchgefallen, auf ganzer Linie. Wären da nicht auf Seite B der Platte berührende Geschichten mit guten Absichten und dem seriösen Versuch, Singer/Songwriter-Aussagen zu treffen und zu machen, an die sich sonst keine:r heran traut. Die 37-jährige Schottin seziert die Alltags-Tragik des akzeptierten und tot geschwiegenen Alkoholismus in "We Survive". "Ich glaube, dass es in ganz Großbritannien ein Problem gibt", erläutert sie. "Die Leute setzen auf Alkohol, wenn sie sich lockermachen wollen – und hinterfragen nicht mal, weshalb sie das eigentlich tun. Sie arbeiten 40 Stunden die Woche, verdienen dabei aber nicht mal genug, um ihre Rechnungen zu bezahlen – und natürlich haben sie dann am Wochenende diesen Drang, einfach mal auszurasten."

Und nach sehr viel Mittelmaß und Monotonie überrascht mit "Physical" schließlich am Ende der (relative) Clou des Albums, ein seltenes Fundstück mit Ecken und Kanten, recht gleichmütig und ein bisschen retro, erinnert an Crowded House oder Triffids. "Ich glaube auch, dass wir inzwischen an einem Punkt angekommen sind, an dem niemand mehr erwartet, dass man komplett makellos ist, also keinerlei Ecken und Kanten hat", plaudert die Künstlerin in ihrem PR-Statement. Ah so?! Weshalb hat das Album denn dann kaum welche? Dabei wäre bei der Belegschaft eigentlich mehr zu erwarten. Amy, die seit ihrem Start zwei Mal das Team austauschte, umgab sich bereits 2020 mit Jim Abiss. Der hatte seinen Durchbruch als Produzent einst mit den Sneaker Pimps, brachte seither die Editors, Arctic Monkeys und Ladytron heraus. Adam Falkner war Trommler der Babyshambles, zumindest kurz.

Nicolas Rebscher, deutscher Multiinstrumentalist und Team-Komponist, steckt hinter Mega-Hits wie "No Roots" (Alice Merton) und "Girls Like Us" (Zoe Wees), wie auch immer man sie findet, doch recht eingängigen Stücken. Er setzte allerdings auch "Loyal To Myself" von Lena und "D.O.C." von Zucchero maßgeblich mit in den Sand und gestaltete die Hälfte des letzten Rea Garvey-Albums "Halo" mit. "Keiner pisst in mein Revier" von Sarah Connor geht auf sein Konto. Ob sich Amy all diesen Output vor der Zusammenarbeit anhörte, um sehenden Auges in die vollendete Sterilisation ihrer Musik zu tappen? Egal, denn: "Nico ist ein bisschen so wie ich: Er arbeitet sehr schnell, sehr effizient. Einfach rumhängen ist nicht", lobt Macdonald. Tatsächlich lese ich zum ersten Mal, dass es die Qualität eines Ko-Producers und Ko-Autors sei, "effizient" zur Tat zu schreiten.

In all den sauber geschniegelten Sounds schlummern sogar seltene Zutaten, doch man bemerkt sie nicht, sie dürfen nicht auffallen: Orgel und Mellotron in "The Hope", Mandoline in "We Survive", Omnichord in "One More Shot", Kalimba im Scheidungs-Song "Trapped". "I'm Done (Games That You Play)" stopft solide Zeit voll, damit es nicht still ist. Zum Beispiel als Stau-Soundtrack. Eine Akustikgitarre, ausnahmsweise als solche erkennbar, dreht zu einem pulsierenden, unschuldigen und kalkuliert lässigen Milky Chance-Beat ihre Kreise. Amy referiert, wie ihr lyrisches Lied-Ich aufs Versprechen ewiger Freundschaft hereinfiel, "You said I never ever leave you / and you said, I always gonna need you / and I said, I never ever go, and stay / with the games that you play - I'm done" ein Text, mit Verlaub, wie ihn die meisten 11-Jährigen wohl poetischer zu schreiben vermögen würden. Rundherum bounzen Akkord-Loops, die man in den 90ern und 2000ern mit Euro-Rock zusammen brachte, einem Musikstil, zu dem es keine Szene gibt, keine Clubs, keine Klamotten und Gadgets, aber Events wie das SWR3 New Pop Festival, die ihm eine Existenzgrundlage schufen.

Juhu, bei "Is This What You've Been Waiting For?" werden sie wach, die Erinnerungen an austauschbare Alben mit ideenlosen Artworks, zwei Köder-Singles und viel Füll-Futter. Immerhin, "Trapped" liefert Begleitgedudel, wenn es auf der Autobahn mit 160 km/h vorwärts geht und der Stau sich aufgelöst hat, bis die nächste Baustelle einen "Trapped". "We Survive" liefert einen angenehmen Sound für Tal- und Hügelab- und auffahrten, handelt vom seelischen Abwärtstrend und irrlichtert im kleinen, feinen Country-Twang. Würde Macdonald es unplugged zum Besten geben, erschiene allzu offensichtlich im Vordergrund, wie geringfügig die Ton-Modulation ausfällt und schon Uriah Heepsche "Lady In Black"-Züge annimmt. Das Lied geriet zwar allzu nett, aber nicht so recht echt.

Nun beurteilen Menschen beim Hören meistens das, was sie hören, nicht das, was die Artists gemeint haben könnten, mit der Ausnahme von Michael Patrick Kelly-Die-Hard-Fans (denn die nehmen alles in Schutz). Welche Amy-Follower ihr wohl das gekünstelte Drama in der Stimme bei "Forward" abnehmen werden? Es fällt schwer, hier nicht an die Reality-TV-Schauspielkunst aus "Berlin - Tag & Nacht" oder "Klinik am Südring", gar Cliffhanger-Heul- und Wutausbrüche in Soaps der Sorte "Unter Uns" und deren fragliche Überzeugungskraft zu denken. Das generische Riff-Geschrammel tut für Macdonalds Stimme nichts. Doch, sie könnte schon etwas reißen, wie die schöne Soft-Ballade "It's All So Long Ago" über Abzweigungen im Leben zeigt oder zumindest andeutet.

Das hoffnungslos lätschig produzierte "The Hope" macht den Kalauer unvermeidlich: Der Sound dieser Platte ist wie die systemgastronomischen Ergüsse des namensgleichen Unternehmens (das auch "sehr effizient" ist). Das bisschen Dire Straits-Stringenz der Nummer steht für die drei vorschriftsgemäßen Saure Gurke-Scheibchen, die weltweit jedes wabbelige gezuckerte Brötchen mit dem M unverwechselbar machen. Die weichgespülte Instrumentierung in "The Hope" entspricht der Teigkonsistenz. Das Schlagzeug, das streichelt, repräsentiert den Knackigkeitsgrad der berühmten Salatblätter. Die Lead Guitar, die keine Saiten hat und wie eine Waschmaschine im Schongang klingt, ist eine Antwort aufs zähe Patty zwischen den Zuckerbrötchenscheiben. Bleibt noch der lauwarme Cheddar-Ersatz, der nicht schmelzen will und so sehr als Fremdkörper im Weg klebt wie die Keyboards bei Macdonald, die den Rekord schaffen: Noch funktionaler als bei Stock/Aitken/Waterman zu klingen.

Wenn Servicekraft Amy inmitten der frittösenhaften Absaugung der Klangwellen fragt, "Is it a winner's or a loser's game?" ist meine klare Antwort "a loser's game". Denn ich höre lieber nichts anstatt den lieblosen Country-Western-Rockpop "One More Shot" oder den Totalausfall "Can You Hear Me?" Ja, Amy, we hear you, technisch gesehen. Aber wer in diesem Fernsehgarten-Blähschaum deine ehrenwerten Messages über Fehler, toxische Bindungen, kluge Entscheidungen, Selbstbewusstsein, Nationen und Generationen heraus zu filtern vermag, hat wahrscheinlich vorher Halluzinogene eingeworfen. Und weil das Album gar so trist ist, enden wir mit Heiterkeit. "Sie hat ihren Ruf als weibliche Springsteen mit generationsübergreifender und internationaler Anziehungskraft gefestigt", prahlt der Werbetext beschwipst. Ein Witz auf Kosten des Bosses, aber ein guter.

Trackliste

  1. 1. Is This What You've Been Waiting For?
  2. 2. Trapped
  3. 3. Can You Hear Me?
  4. 4. I'm Done (Games That You Play)
  5. 5. The Hope
  6. 6. Forward
  7. 7. We Survive
  8. 8. One More Shot
  9. 9. Physical
  10. 10. It's All So Long Ago

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