laut.de-Kritik

Ein pinker Punkt für den Neustart.

Review von

Ke$ha durchquert ohne Rick Rubin ein ganz anderes Register als auf "Gag Order". Sie baut ihr Album als Labyrinth aus verschiedenen Ausdrucksformen, Genres und Effekt-Techniken der Elektronik auf. Die Platte hat einen Punkt als Titel, auszusprechen "Period". Fast ein Jahr, elf Perioden in Ke$has Hormonsystem, bildet der Lieder-Zyklus ab.

Dabei zeigt die Künstlerin sich bezüglich der Beats und Bässe sowohl für die platteren wie auch filigraneren Spielarten aufgeschlossen. Phasenweise schlüpft sie sogar ins Territorium der alternativen advanced Ableger von House, auch wenn solche Abschnitte 'nur' Schlenker innerhalb von Tracks sind und sie sie nicht komplette Stücke lang durchhält. Dieses Unentschiedene, also zu indie/verspult für den Mainstream aufzutreten, zu mainstreamig und four-to-the-floor für progressive Clubs und Szenen, kann man je nach Sichtweise als Hauptkritikpunkt an "." auslegen. Oder man sieht die Sonnenseite der Medaille: Gerade dieser Spagat macht den Reiz aus, macht dieses Album so besonders, so wirkungsvoll, ein bisschen überraschend und auch gerade gut. Denn in simplere, populäre Strukturen Reibung hinein zu legen, oder Spleeniges annehmbar zu machen, darin liegt ja oft die Kunst, siehe Byrne oder Bowie.

Apropos Bowie, dort wo Ke$ha auf Discopop setzt, in Teilen des Openers "Freedom." oder in "Love Forever.", stapft sie durch satte Grooves und stellt Bowies "Let's Dance" mit Nile Rodgers in den Schatten. Sie erscheint weniger plakativ, eher non-chalant, elegant. Einigen Anteil daran haben das gedimmte Tempo und ein elastischer Back-Beat. Zudem sorgen auch Stimm-Verfremdung in "Love Forever." und Verlaufsbrüche bei "Freedom." für den Reiz des Außergewöhnlichen.

Obwohl es die ganze Platte hindurch dezente Parallelen zu Jessie Ware, Carly Rae Jepsen, Marina, Lady Gaga, Foster The People oder auch Madonnas "Music"-Phase gibt, wirkt Ke$ha ganz selten wie eine aufmerksamkeitsgeile Nachahmerin. Selbst eine Synth-Geige hat hier Stil und Klasse: Es sind feine Unterschiede in Abmischung und Produktion, aber auch in Ke$has unaufdringlichem und doch präsentem Vortrag, die diese ganzen Assoziationen zu anderen Artists schnell wieder verblassen lassen. Der Unique Selling Point von ". (Period)" liegt im Luftigen der Songs.

Auf lyrischer Ebene fehlt es jedoch an Reizen, trotz des Blickwinkels aus dem Sexualleben einer Frau und ihren Bedürfnissen, eines roten Fadens und trotz okayer Ansätze in einzelnen Formulierungen (z.B. "You're good at making it hurt / thought it was gonna be: You and me / against a violent world." in "Too Hard.", oder "I've been a good girl, now I'm a connoisseur. / Many men are on the menu / Eat 'em up like amuse-bouche" in "Boy Crazy."). Das Existenzialistische, Dramatische, Expressive etlicher Stücke des ernsten und selbst-therapeutischen Vorgängers geht der Künstlerin dieses Mal ab, und manchmal bleibt ohne die Verpackung wenig übrig. Wenn sie in "The One." betont, "Baby, I'm the one / the one, the one", hat sie nichts mehr mitzuteilen. Nur der Autotune-Effekt auf ihrer Stimme während der Bridge übt seinen Reiz aus.

Verfremdung und Unschärfe sind in diesem ganzen Werk gleich mehrmals die Mittel der Wahl. Es gibt ein Stück, in dem diese Form der Darstellung sehr gut mit dem humorvollen Liedinhalt einhergeht - das trashige "Glow." Es entstand unter Mitwirkung von Hudson Mohawke. Er ko-komponierte, produzierte. "Glow." ist der nachhaltigste Tune und Anspieltipp für die Pop-verweigernde Fan-Fraktion. Es handelt sich um eine Trennungsansage an einen Ex, der sich nicht vorstellen kann, wie toll sie ohne ihn klar kommt. Ironisch heißt es, dass der Ex nicht mal von diesem Song über ihn etwas mitbekomme, weil er sich für "too cool for that pop shit" halte, seine Mutter den Track aber lieben werde. Ke$ha turnt stimmlich zwischen vampy-verrucht und Super-Sopran. Dazu ereignet sich eine stilsichere Abwärts-Chromatik, und das Auto-Tuning verschlingt diese Tonfolge. Am Lied-Ende trägt Glitch-Experimentierkunst zur vollendeten Dekonstruktion bei.

Lange vor dem Auto-Tune, also dem schiefen Geradebiegen menschlich gesungener Töne, gab es bereits den Vocoder. Auch dieses Tool zieht man, in abgespeckter Plug-In-Form, aus der Trickkiste. Wenn es dazu im Text von "Love Forever." um Tokios "neon lights" geht, lassen sich schnell Moroder und Munich-Disco assoziieren. Zeitreisentechnisch geschickt stellen sich Ke$ha und ihr Producer Zhone insbesondere in "Boy Crazy." an, wo die Achtziger in Form von Hi-NRG-Hip-House-Zitaten auf Y2K-Skater-Pop-Punk stoßen. Ko-Autorin ist hier wie auf der Hälfte der Stücke Madison Love. Der bekannteste Tune dieser Berufs-Autorin ist bis dato "Sweet But Psycho" für Ava Max, für die sie oft schreibt. Madison hat auch "Midnight Trip To Vegas", das Highlight des letzten J.Lo-Albums mit verfasst und bei "Gossip" von Måneskin ihre Finger mit im Spiel. Für den "Boy Crazy."-Clip, der eine lüsterne Frau auf der suchtgetränkten Suche nach willigen Jungs aufführt, heuerte Ke$ha sogar Porno-Darsteller an.

Die doppelte Portion Retro in "Boy Crazy." hört sich frisch an. Ke$ha hat sich ausprobiert und mit ihrem Album mit dem Klecks auf dem Cover und den Punkten in den Liedtiteln bunte Farbflecken ins Pop-Jahr gesetzt. Gleichzeitig schwimmt sie sich aus der Vergangenheit der Vertragserfüllung bei Kemosabe/RCA nach einem jahrelangen, kräftezehrenden MeToo-Gerichtsprozess frei. Das Personal für eine Songwriter-LP ohne Pop-Überbau war übrigens für ". (Period)" zugegen, und hier wird es kurios: Den Opener "Freedom." schrieb Jonathan Wilson mit, Gitarrist von Roger Waters, im Hauptberuf zurzeit Producer für Father John Misty, Jackson Browne und Margo Price. Die Sängerin traf den Kollegen im Wald. An der urbanen Ausrichtung ändert das allerdings nichts: Ohne die Felder von Pop, Hyperpop, Dance/EDM, Elektronik zu mögen, wird man es mit der Platte schwer haben - wer auf ein Singer/Songwriter-Album hoffte, den zerrt die Sängerin trotz vereinzelter Akustikgitarren und "Joyride."-Akkordeon-Takten beharrlich Richtung Stroboskop-Licht und Tanzfläche.

Trackliste

  1. 1. Freedom.
  2. 2. Joyride.
  3. 3. Yippee-ki-yay.
  4. 4. Delusional.
  5. 5. Red Flag.
  6. 6. Love Forever.
  7. 7. The One.
  8. 8. Boy Crazy.
  9. 9. Glow.
  10. 10. Too Hard.
  11. 11. Cathedral.

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