laut.de-Kritik
Ein Album voller Liebeszauber.
Review von Philipp KauseDie Geschichte geht so: J.Lo ist eine anerkannte Schauspielerin, dann startet sie gegen Unkenrufe als Gesangs-Star durch, übertrifft als knapp 30-jährige Spätzünderin damit ihre Filmerfolge, geht privat eine Liaison mit einem der größten Leinwand-Celebrities ein. "Long time ago / I met this superstar / and he changed my life", heißt es im neuen Lied "To Be Yours". Darüber singt die Verliebte schon damals ein Album, es ist ihr drittes. Was klingt wie eine Eiscréme, Ben and Jenny's Love Story, verkauft sich unter dem farblosen Titel "This Is Me ... Then" unfassbar spitze. Die Yellow Press wittert etwas, das man gut kaputt machen kann, verfolgt das Paar auf Schritt und Tritt, sucht den Haken, schürt Neid.
Jennifer gibt auf, die Beziehung zerbröselt ganz schnell. "I gave, what I could / but it wasn't enough. You drifted away", singt sie jetzt in "Broken Like Me". Nach dem nächsten Beziehungs-Pech als Alleinerziehende kleiner Kids unterwegs, scheint ihre Karriere Geschichte. Sowohl privat als auch im Rampenlicht berappelt sie sich jedoch rasch. Den Grund enthüllt der smoothe schöne neue Song "Hearts And Flowers" auf euphorischen R'n'B-Beats und catchy Scratches: "We all got super-powers", "wir alle haben Superkräfte". Die fiesen Paparazzis bekommen sogar eine kleine Watsche in Form einer Hip Hop-Einlage ab. Und einen konkreten Tipp aus Lopez' Lifestyle liefert "Midnight Trip To Vegas": "Throw the kids in the back / of a pink Cadillac!" - Die Kinder müssen ja nicht daheim im Bett pennen, man schmeißt sie auf den Rücksitz im Auto.
Rund 20 Jahre später heißt es in einem Strudel aus Dance, R'n'B, Pop, Disco und Neo-Soul: "With you it's paradise / you got me mad in love / I can't get enough". Mittlerweile sind Jennifer Lopez und Ben Affleck wieder ein Paar. Nach sehr langer Auszeit. Darüber singt die Jenny from the block das gesamte Album lang. "This Is Me ... Now", mit diesem Titel spielt die CD augenzwinkernd aufs alte "This Is Me ... Then" an.
Das "Now"-Album hat ein so simples wie wirkungsvolles Konzept: Es feiert das Leben, die Liebe, die Musik mit ihren Rhythmen und Jennifers Fähigkeit, im Sopran zu klirren. Und es feiert die Liebe zur Musik und deren Rolle im alltäglichen Leben. "This Is Me ... Now" schleppt eine ganze Reihe Melodien an, die man gut bei sich haben, mitsummen, nachpfeifen kann. Okay, an manchen Stellen ist das Mitsingen nur wenigen Menschen beschieden, weil nicht jeder so zwischen den Oktaven herum hüpfen kann und nicht jeder singen und mitten im Gesang plötzlich rappen kann, aber da bleibt immerhin das Mittanzen als Option: "This Time Around" pflegt den entsprechenden rhythmischen Groove.
"This Is Me ... Now" erschließt sich schnell. Die abwechslungsreiche Scheibe zeigt die Sängerin von verschiedenen musikalischen Seiten. Ungewöhnlicher Weise eröffnet eine sphärische Ballade das Werk. Im Wesentlichen bounzt die Platte im Uptempo-Modus. Spanische Texte gibt's dieses Mal keine. Genauso wie beim ersten Album über die Beziehung zum lieben Ben, wo er im Videoclip eines Hits zu sehen war, öffnet er seine Kehle für die neue Produktion nicht, nachdem er damals schon den Clip-Auftritt schwer bereute. Sein Name wird aber mit "Dear Ben Pt. II" genannt. Einem sehr guten Tune, der westafrikanische Griot-Musik zitiert, mit Wumms-Bässen zusammen fügt und beweist, was für eine expressive Gesangskünstlerin Jenny tatsächlich ist und in welche hohen Ton-Regionen sie sich stretchen kann. Mit in den Credits verewigt hat sich hier übrigens Raye.
Das eingängige "Not Going Anywhere" markiert das Revier des Bronx-Mädchens, das jetzt im Nachhinein mehr auf Casio-Beats hängen geblieben wirkt als 2002. Wobei ihre heutigen Synthie-Anachronismen damals in waren. "Rebound" rekapituliert die künstlichen Geigen, mit denen schon Brandy reüssierte, recycelt die Clap-Hack-Effekte, die schon bei Def Jam-Girls wie Teairra Mari Standard waren, und ist trotzdem ein tolles, wenn auch nostalgisches Lied. Der ganze Milleniums-R'n'B von Aaliyah bis Mary J. Blige wirkt plötzlich wieder aktuell, wenn J.Lo ihn nach zehn Jahren Funkstille aufwärmt. Zwischenzeitlich, 2014, knackte sie mit neuzeitlicher Dance-Power die Charts.
Das, was nun bei manchen neuen Nummern Gänsehaut aufkommen lässt, ist die Brücke zurück ins Jahr 2002. Das Lebensgefühl und der Sound von damals sind ein sinnfälliger Ausdruck für die Wurzeln der thematisierten Liebesbeziehung. Was damals Liebe auf den ersten Blick gewesen sein mag, ist heute die Euphorie darüber, dass man wieder von vorne anfangen, noch mal zusammen jung und 'Ü50' sogar unbeschwerter als in den eigenen Dreißigern sein kann. Klar, dass man dazu keine Trap-Riddims auflegt. In "This Time Around" scheitert dieser Versuch kläglich, dem einzigen Ausfall der Platte: mies gemastert. Weitere zeitgemäße Sounds zu erzwingen, das würde aufgesetzt rüberkommen. Überzeugender macht sich dagegen das Mash-Up aus alten Motown-Samples der 70er und einem Rocksteady-Klassiker der 60er in "Can't Get Enough".
Dabei weiß Lopez, wer z.B. Lizzo ist. Spätestens seitdem sie selber den Film "Hustlers" produzierte, in dem beide neben Cardi B als Stripperinnen zu sehen sind. Lopez weiß wahrscheinlich auch, wer Tierra Whack ist und was whack heißt. Trotzdem schließt sie sich den dauer-stoned schlurfenden Slow-Mo-Beats der Spotify-Blase und den darin gehypeten Formatvorgaben von Urban Music nicht an.
Sie angelt sich statt dessen Jeff Gitelman als Helfer. Der Akustik- und E-Gitarrist, Arrangeur, Bassist, Komponist und Producer hat einige Songs von Blige, Alicia Keys, Amber Mark, Anderson .Paak, Banks, Genesis Owusu, H.E.R., Jennifer Hudson, John Legend, Jorja Smith, Kaytranada, Ledisi und Mac Miller veredelt und ging einst bei Lauryn Hill in die Lehre. Wenn man die Namensliste so sieht, fällt auf: Ja, irgendwie klingen alle diese Artists auf eine gewisse Art ähnlich, und die Gemeinsamkeit ist: er. Dass Jeff sich mit Jenny zusammentat, beschert ihr (und uns) jetzt ihr erstes durch komponiertes, substanzielles Album. Bis auf den allzu Schlafzimmer-haften Opener und den genannten trappigen Schnitzer verzichtet "This Is Me ... Now" auf Füllstücke.
Der "Greatest Love Story Never Told" werden Lieder alleine nicht gerecht - deswegen gibt's auch ein zugehöriges Doku-Musical, für die Abo-Kundschaft eines großen Logistikkonzerns. Die englische Zeitung Guardian hat den Streifen gesehen und als "Therapie-Musik-Biopic" eingeordnet. Obwohl ein Album voller Liebeszauber langweilig hätte werden können und darauf tatsächlich kaum Spannendes passiert, blinkt das Sich-selber-Therapieren an manchen Stellen leise durch.
Zudem ist der Longplayer quicklebendig. So sorgen z.B. Boom Bap-Stellen wie in "Mad In Love" von Minute 2'07" bis 2'30" für sympathische Vibes. Auch sprachlich kann man sich selbst-bestärkenden Party-Zeilen wie "we go up and down / we get lost and out / we go round and round / we fall in and out" kaum entziehen, und so macht diese Platte einfach Spaß.
6 Kommentare mit 12 Antworten
„J.Lo ist eine anerkannte Schauspielerin“…
Ich weiß nicht, ob man das bei jemandem, der für 7 Filme als schlechteste Schauspielerin für eine goldene Himbeere nominiert war, wirklich behaupten sollte.
Na ja, eine Nominierung IST ja eine Anerkennung...
Ich bin übrigens Weinkenner: Immer wenn ich Wein sehe, denke ich "Ah, Wein!"
XDDDD
Ich klicke mich gerade auf Wikipedia durch ihre Filmographie, aber da ist bisher tatsächlich nichts dabei, was großen kritischen Zuspruch bekam. Vor ihrem Start als Musikerin wurden nur 3 Filme gut bewertet. Das waren aber auch keine Meisterwerke, sondern okaye Streifen, die mittlerweile keiner mehr kennt.
Das beste mit ihr war Cell, mit viel Wohlwollen noch Out of Sight
Hustlers war ein ziemlicher erfolg
nur Liebe für The Cell ♥ ♥ ♥
"Ich hatte viel Glück mit meinen Filmen, naja, nicht alle waren so gut." - Zitat aus: https://www.laut.de/Jennifer-Lopez/Intervi…
Wenn man keine großen Ansprüche hat geht die Scheibe schon in Ordnung, aber 4/5 sind das niemals
Dieser Kommentar wurde vor 10 Monaten durch den Autor entfernt.
?
Alles ok bei dir?
Noch schlimmer als die Platte ist übrigens der gleichnamige Film. Unerträglicher Ego-Müll.
Ben Affleck soll ebenso ein unerträgliches Ego sein. In der Hinsicht perfektes Match.
Von wegen Match! Die beiden haben seinerzeit für Gigli auch die Himbeere für das Schlechteste Filmpaar bekommen…
Oh, Ben, you are so perfect.
So spectacularrr in every way.
You bring light into my life, Ben.
You almost make me forget all about...tacoos!
Ooh, tacos so good in my tummy yummy yummy give me more.
Philipp muss verliebt sein. Cool für ihn. Das Album ist halt trotzdem nicht mehr als maximal durchschnittlicher Pop. Mehr: https://youtu.be/KzV2OroVKQg?si=hC_dRQjKhA…