laut.de-Kritik
Weil Astralreisen nicht funktionieren, musst du diese Platte hören.
Review von Maximilian SchäfferVielleicht war "Artificial Energy" der Grund, wieso das Album floppte. Ein Anfangsstück mit souligen Bläsern à la James Brown versprach nicht das, was sich die transzendierende, LSD-schwangere Jugend in Kalifornien sehnlichst wünschte: "Wo dudelt die Rickenbacker von Roger Mc Guinn? Wo der mehrstimmige Engelsgesang? Zu was sollen wir uns die Birne wegkiffen, während wir im Krishna-Mantra durch Haight-Ashbury frohlocken?" Die kurze Aufmerksamkeitsspanne der Hippiekinder führte nicht nur zum völligen Ausbeuten ihres gelobten Landes zwischen Los Angeles und San Francisco, versaut durch Tech-Konzerne und frigide Ökokapitalisten, sondern auch zum Misserfolg der genialsten Platte der Byrds namens "The Notorious Byrd Brothers".
Dabei öffnet die einzige Vorab-Single "Goin' Back" schon jene Welten der Glückseligkeit, von denen man 1967, im Hochsommer der US-amerikanischen Gegenkultur, in jeder Studentenbude träumte. Leider kam das Album erst im Jahr darauf in die Plattenläden. Mit zwölfsaitigen Arpeggios, die schon Bob Dylan so gut gefielen, dass er seine wohl berühmteste Coverband wohlwollend abnickte und dafür sorgte, dass das Cover von "Mr. Tambourine Man" ihr größter Hit wurde, beginnt eine wehmütige Ballade an die Jugend. Natürlich klingen hier harmonische Versatzstücke indischer Musik durch. Monoton dröhnt der Grundton, während sich die Verzierungen fernöstlich darüberschlängeln, nur um sich in der Bridge in allzu amerikanisches Gezupfe mit Slide-Elementen aufzulösen. Ein paar Streicher im Hintergrund, ein Glockenspiel, und der typische Harmoniegesang schwebt im Äther. Das alles ist so schön, dass man es nicht mehr begreifen kann, bis am Ende ein kleiner Moment der Ruhe herrscht und dann sämtliche Zutaten in ekstatisches "Lalalalalalalaaaaa" verschmelzen. Man hätte hier schon aufhören können, weil eigentlich alles gesagt ist, was man zu begreifen hat über eine ganze Generation und deren Imagination von einer heilen Welt.
Jenes Kleinod dehnt sich in "Natural Harmony" zu sphärischem Größenwahn aus. Ein Flanger verschwurbelt die gesamte Spur, Takt und Stimmung wechseln zum Jazz und jubeln dann wieder zurück in den Aschram: "Dancing through the streets side by side / Head thrown back, arms open wide". Man darf sich bis heute fragen, wie dieser schwurbelnde Schwachsinn den Hirnen fünf gestandener Alkoholiker entweichen konnte. Während die Kollegen von The Band brav "Der Tag als Conny Kramer starb" lallten und sich ehrenhaft mit Literflaschen Grand Marnier entleibten, suchten die Byrds den unsterblichen Astralkörper.
Man schlug schnell auf dem Boden der Tatsachen auf. Und so hart, dass Hillman und McGuinn anschließend einen reichen Bauernjungen namens Gram Parsons zur kollektiven Erdung einkauften und unverzüglich "Sweetheart Of The Rodeo" aufnahmen. Auf einmal schüttelten ausgerechnet sie, die gerade noch von der Reise nach Rishikesh träumten, das zweitbeste Countryrock-Album nach "The Gilded Palace of Sin" aus dem Ärmel. Betrachtet man diese höchst seltsame Genese einer Musikgruppe, bemerkt man, dass das Wunderwerk der Byrds darin besteht, zur richtigen Zeit auf gesellschaftlichen und personellen Wahnsinn eingegangen zu sein. Das ist wichtig bei allen großen Eklektikern (Dieben) der Musikgeschichte: Gustav Mahler, David Bowie, Kanye West und Capital Bra.
Mit den astreinen Folk-Nummern südstaatlicher Anmutung "Wasn't Born to Follow", "Get to You" und "Old John Robertson" deutet sich allerdings schon die künftige Anbiederung ans amerikanische Herzland an. Stellenweise nicht von Simon & Garfunkel zu unterscheiden und textlich fast immer genauso unterirdisch, machen diese Songs aber vor allem wegen ihrer genialischen Arrangements so viel Spaß.
In der mittleren Phase des Albums regiert stilistisch und ideologisch die Schizophrenie. Kann man als Generationenbekenntnis werten und ist folglich nur ehrlich. Was das Ganze sollte, wussten sie nämlich selbst nicht: "Children laughed and played / And didn't know his name / They could tell when he was coming just the same / Walking slow with old John's crippled wife by his side / Then she sighed / Then she died" Was hat ein Cello-Intermezzo in einem seltsamen Kinderlied verloren? "Sitting by the window / Watching ocean going by / Seems I should be with you / But how fast can this thing fly" – danach ein Chor mit dem Satz "Oh, that's a little better!" Es braucht nicht noch mehr Beispiele, "The Notorious Byrd Brothers" ist durchgängiger Hirnschiss und dann am schönsten, wenn wie in "Change Is Now" gar nicht erst versucht wird, dem Gieren nach diffuser Glückseligkeit weiteren Kontext zu verleihen.
So geht es weiter. "Tribal Gathering" meditiert im 5/8-Takt wie Americas "Horse With No Name" und "Dolphin's Smile" beeindruckt mit ungewöhnlicher Harmonik. Kurze, prägnante Songs, die zeigen, wie die Stringenz von LSD funktioniert: Universale Zusammenhänge, wie das Lächeln von Delfinen, auf den Punkt gebracht.
"Space Odyssey", das letzte Lied des Albums, ist kein gutes. Modell einfacher Raga-Stampfer, den die Beatles mit "Love You To" bereits deutlich intelligenter und authentischer aus den exotischeren Ecken des Commonwealth importiert hatten. Trotzdem fasst "Space Odyssey" noch einmal zusammen, um was es bei dieser Platte geht: Weil Astralreisen fast nie funktionieren, kann man mit ihr zumindest für 28:28 Minuten die Augen schließen und träumen. Davon, wie die Welt sein könnte, wäre sie nicht so grausam von Logik dominiert. Davon, was in Kalifornien hätte passieren können, wenn die Blumenkinder nicht zu Arschlöchern mutiert wären. Davon, dass einer Jugendbewegung das kollektive Seelenheil einmal wichtiger war als Gendertoiletten. Und wenn man die Augen wieder aufmacht, kann man immer noch über das saudämliche Albumcover schmunzeln.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
2 Kommentare
Ist das nicht auch Album der Woche bei SWR 1?
Weird Scenes Inside the Canyon: Laurel Canyon, Covert Ops & the Dark Heart of the Hippie Dream - das Buch von David McGowan zeigt deutloich das die ganze Sache um Birds, CSN, FlowerPower,... von US-3BuchstabenDiensten initiiert worden ist. Okkulte Hintergründe inklusive, aber die gehören ja ins Musikbusiness wie das Meer zum Strand.