laut.de-Kritik
Wie ein brodelnder Vulkan.
Review von Kai ButterweckGeht nicht gibt's nicht! So oder so ähnlich lässt sich wohl am ehesten die Marschroute der drei The Hirsch Effekt-Protagonisten Moritz Schmidt, Nils Wittrock und Ilja Lappin auf den Punkt bringen. Was andere Bands an die Grenzen des Machbaren stoßen lässt, wird in Hannover mit Kusshand begrüßt. Im Hirsch-Universum wird alles in einen Topf geworfen. Das war schon immer so. Und das wird wohl auch so bleiben.
Mit "Eskapist" schließt das Trio jedenfalls nahtlos an die spektakulären Crossover-Exzesse der drei "Holon"-Vorgänger an. Abermals schießt die Band aus allen Rohren. Veränderungen entdecken nur diejenigen, denen die krachende Oberfläche nicht sofort den Atem raubt.
So verzichten The Hirsch Effekt beispielsweise weitestgehend auf atmosphärische Einstiege. Während die konzeptionellen Songbrocken in der Vergangenheit zumeist von stimmungsgeladenen Intros angeschoben wurden, brettern die "Eskapist"-Eckpfeiler gleich mit dem Kopf durch die Wand. Die Folge: Die CD dreht sich noch keine zehn Sekunden im Player, da steht bereits das Ordnungsamt vor der Tür. Geht das auch leiser? Nein, leider nicht.
Das eröffnende "Lifnej" funktioniert nicht im Zimmerlautstärke-Modus. Da müssen die Nachbarn jetzt durch; sechseinhalb Minuten, in denen das Metal-Genre mit all seinen Abzweigungen komplett auf links gedreht wird.
Nach drei Songs sind bereits knapp zwanzig Minuten ins Land gezogen. Und der Zettel mit möglichen Inspirationsquellen ist voll: Refused-Rotz, Deftones-Sphären, Sludge-Geschredder, Punk-Blitzlichter und kurzweilige Harmonie-Ausbrüche: Alles am Start.
Soundtechnisch gehen die Hirsche – und auch das ist 'neu' – wesentlich metallischer zu Werke als noch zu "Holon"-Zeiten. Gepaart mit der dritten und letzten Neuerung – der lyrischen Ohrfeige in Richtung Gesellschaft und Politik – weckt die Band Erinnerungen an Riffmeisterwerke der Herren Hetfield und Co.
Reichsbürger und Rechtspopulisten werden vom Hof gejagt. Die Flucht vor Krieg und Zerstörung wird in musikalische Wut verwandelt. Alles schmerzt. Das toolsche Atmo-Spektakel "Berceuse" verdient sich noch am ehesten den Button mit der Aufschrift "eingängig". Der Rest brodelt wie ein musikgewordener Vulkan kurz vor dem ultimativen Ausbruch.
Spätestens wenn das 14-minütige "Lysios" zwischen Lindemann-Vibes, abgedämpften "Orion"-Grüßen und Speed Metal-Einschüben pendelnd das komplette Spektrum der Band präsentiert, sehe ich mich erneut mit der Frage konfrontiert: Was soll jetzt bitte noch kommen? Unglaublich.
1 Kommentar
Ich hoffe das Ordnungsamt wird kontrollieren!