laut.de-Kritik

Drei Akkorde und England lag am Boden. Zurecht.

Review von

Kurze auf den Punkt gebrachte Songs, Ramones-Energie und Morrissey-Crooning. Das hat man sich von The Vaccines erwartet. Diese Wunschliste kann man getrost unterschreiben, denn allen Unkenrufen zum Trotz funktioniert das Debüt der Engländer auf ganzer Linie. Vor allem, weil es nicht mehr sein will, als einfach gute Musik.

NME, BBC und große Erwartungen sind sowieso sofort egal, sobald mit "Wreckin' Bar" und "If You Wanna" zwei kurze und knappe Rock'n'Roll-Songs eröffnen, die im Geiste nur ein Distortionpedal entfernt von den Ramones stehen. Pastellfarbene Hemden und Lovesongs statt Nietengürtel und Anti-Establishment, soviel Punk muss sein.

Ein Takt Gitarrengeschrammel und los geht's. Da bleibt Raum für die großartigen Melodien von Sänger und Songwriter Justin Young, der mit seiner sonoren Baritonstimme den Schlüssel zum Ohrwurmzentrum im Hirn gefunden hat und so schnell nicht wieder hergeben wird. Ob eine Zeile, ein Chorus oder ein Lalala, jeder Song wartet mit solch kleinen Widerhaken auf, die an ihrer Bittersüße in diesem Jahr noch nicht übertroffen wurden.

So erwarten uns mit "A Lack of Understanding", "Blow It Up" und "Under Your Thumb" klassische 60er Popdenkmale, mit "Wetsuit" gar eine zukünftigen Hymne fürs Dagegensein (und Surfen!). In Haudrauf-"I Want To Hold Your Hand"-Art erzählt später "Norgaard" mit einem vor guter Laune schier zerplatzendem Song über das Anschmachten von 17-Jährigen.

Man merkt schon, The Vaccines verstehen es wunderbar, die wichtigsten Dinge im Leben, nämlich Frauen, thematisch immer wieder mit einem schelmischen Grinsen anzusprechen. "If You Wanna" öffnet der Exfreundin wieder die Tür, "Post Break-Up Sex" haut sie nach frischem Beziehungs-Split wieder zu und in "All in White" steht die Liebste zwar vorm Traualtar, aber natürlich mit dem falschen Kerl.

Die ganze Geschichte steckt jedoch in einer großen Hallwolke, die schon einmal einem Hype ordentlich das Fahrwasser während der Fahrt von der Insel auf das Festland abgegraben hat (Glasvegas, anyone?). The Vaccines sind aber zu schnell, zu direkt und zu hookbeladen, dass der etwas wabernde Sound nicht negativ ins Gewicht fällt. Vom ersten "Pretty Girl" in der "Wreckin' Bar" bis zum gemeinschaftlichen Beach Boys-Gottesdienst mit anschließendem Weird-Out in "Family Friend", das Quartett tritt bis zum letzten Ton so sympathisch auf, dass es selbst die ärgsten Delaywände zersprengt.

Man zehrt von Dekaden der Popmusik über Liebe und Herzensangelegenheiten, hält alles in einem musikalisch bis auf die Songgrundpfeiler verknappten Gerüst, schmeißt eine Runde Ohrparasiten in die Runde und nach einer halben Stunde ist die Welt wieder in Ordnung. Abgesehen von dem sehnsüchtigen Blick zur Repeat-Taste, immer und immer wieder. So einfach kann die Welt manchmal sein.

Trackliste

  1. 1. Wreckin' Bar
  2. 2. If You Wanna
  3. 3. A Lack Of Understanding
  4. 4. Blow It Up
  5. 5. Westsuit
  6. 6. Nørgaard
  7. 7. Post Break-Up Sex
  8. 8. Under Your Thumb
  9. 9. All In White
  10. 10. Wolf Pack
  11. 11. Family Friend

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