laut.de-Kritik
Auch ohne Studio-Perfektion stark.
Review von Simon ConradsAuf dem Cover des letzten The War On Drugs-Albums "A Deeper Understanding" sah man Adam Granduciel im Studio sitzen, spärlich beleuchtet und - so kann man häufig über den Band-Kopf lesen - genau in seinem Element. Der Amerikaner gibt sich der Produktion seiner Platten hin, bis der Knopf an jedem Gitarren-Pedal auf den Grad perfekt eingestellt und das Fell der Snare ideal gestimmt ist. Der zehrende Arbeitsprozess hat sich bisher gelohnt, vom Geheimtipp für Fans von Bruce Springsteen und den Dire Straits hat Granduciel seine Band zu einem Grammy im Jahr 2018 geführt. "A Deeper Understanding" gewann die Auszeichnung für das 'Best Rock Album'.
Mit "Live Drugs" liefert der Tüftler jetzt für alle, die die Band noch nicht im Konzert erleben durften, den Beweis, dass die Musik der Truppe nicht nur mit aufwendiger Studio-Produktion funktioniert. Granduciel steht zwar mit seinem Gesang oft im Fokus, immer wieder aber drängeln sich Gitarren, Piano oder Synthies ebenso sehr ins Rampenlicht, dass man bei The War On Drugs mehr denn je die komplette Band wahrnimmt. Was nicht von Ungefähr kommt: Im Podcast, der die Veröffentlichung der Platte begleitete, erklärt die in Philadelphia ansässige Kapelle, wie sie die zehn Songs auf "Live Drugs" ausgewählt haben.
Denn auch wenn es gelingt, das Gegenteil vorzutäuschen, hört man nicht die Aufnahmen eines einzelnen Konzerts, sondern Mitschnitte, die bei Auftritten zwischen 2014 und 2019 entstanden sind. Während einer Zeitspanne, in der die Band sich neu ein- und den ganz großen Erfolg erspielte. 2014 brachte "Lost In The Dream" Lob und Popularität, was schließlich dazu führte, dass Granduciel die Live-Band um den Saxophonisten Jon Natchez und den Multiinstrumentalisten Anthony LaMarca erweiterte. "Live Drugs" soll nun die Findungsphase der neuen Formation dokumentieren. Eine Veränderung oder gar Steigerung im Sound ist im Verlauf des Albums allerdings nicht zu hören - die Band hält konstant ein sehr hohes Niveau.
Auf den Applaus zu Beginn von "An Ocean Between The Waves" folgen die ratternden Drums von Charlie Hall. Die Truppe baut darauf ihren Stadion-Sound, mit flächigen Synthies und Gitarren-Layern, die einen wahnsinnig großen Klangraum eröffnen, in den man als Hörer*in richtiggehend aufgesogen wird. Was einen im Konzert sicher in eine Art Trance versetzen kann, gerade auch, weil die Band ihre ohnehin schon langen Stücke im Konzert noch mehr dehnt, funktioniert aber auch zuhause fantastisch, hier dann eher meditativ. Wie auch bei Springsteen klingt diese Musik in ihrer Opulenz distinktiv amerikanisch und lässt durch ihre Dynamik davon träumen, mit dem Auto durch die vielfältigen Landschaften des Landes zu reisen. Springsteens "Live 1975-85" diente Granduciel wohl auch als Vorbild bei der Zusammenstellung der Titel.
Die beiden bereits erwähnten Alben sind dabei mit den meisten Stücken vertreten, während das Debüt-Album "Wagenwheel Blues" nur mit "Bueons Aires Beach", der Zweitling "Slave Ambient" sogar gar nicht repräsentiert wird. "Buenos Aires Blues" klingt auch dementsprechend fast wie ein Fremdkörper in der Setlist. Im Original erinnert es an die ersten Platten von The Tallest Man On Earth, auf "Live Drugs" wird er zu Stadion-Folk transformiert. Gesanglich klingt hier noch mehr als sonst der Bob Dylan-Einfluss durch.
Hall ist mit seinem repetitivem Spiel der grundlegende Anpeitscher der Band. Mal im Trab ("Thinking Of A Place"), öfter im Galopp, etwa beim Übersong "Red Eyes". Hier tut sich besonders Natchez mit seinem Saxophon hervor, der mit seinem Instrument zu Beginn wunderbare Bass-Frequenzen beisteuert. Später darf er dann auch ein Solo spielen. Granduciel tauscht beim Gesang häufig Melodik gegen Nachdruck, was den Live-Versionen aber durchaus gut tut und noch mehr Drive verpasst. "Under The Pressure" strecken The War On Drugs auf zwölf Minuten und gehen immer wieder voll in wuchtigen Instrumental-Parts auf. Langweilig wird das nie
Mit "Accidentally Like A Martyr" huldigt die Band dem verstorbenen Warren Zevon. Auch die Aneignung von Fremdmaterial geht voll auf. Beim Closer "In Reverse" wird der Einfluss des Boss' dann noch mal ganz offen zur Schau gestellt. Wie launig die Gitarren und das Piano sich umspielen, weckt stellenweise etwa Erinnerungen an "Badlands". Dass inzwischen auch Jungspunde wie Sam Fender diese klassische Rock-Musik wieder populär machen, das wird auf "Live Drugs" deutlich, liegt sicher auch daran, dass The War On Drugs es in den letzten Jahren schon vorgemacht haben.
4 Kommentare mit einer Antwort
"Langweilig wird das nie."
Oh doch, sehr sogar! Ich liebe die beiden letzten Studioalben, man kann perfekt in diese Wohlfühl-Klangwelten eintauchen. Aber wozu dieses Livealbum, wenn die Songs nahezu wie im Studio klingen? Eine Liveatmosphäre will nicht entstehen, zumal man keinerlei Publikumsreaktionen wahrnimmt, wenn man von den Pausen zwischen den Songs einmal absieht.
Tut zwar musikalisch nichts zur Sache, aber das Artwork ist auch eine einzige Enttäuschung. Das Gatefold bietet soviel Platz und dann das.
das trifft es echt gut! auf platte ist es für mich vertontes serotonin, man spürt beim hören förmlich die wärme in sich aufsteigen. leider lässt die halbwertszeit etwas zu wünschen übrig. ocean between the waves ist aber ein überhit.
das zevon cover ist groß
Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.
Große Kunst, für meinen Geschmack live noch ein stärker und nuancierter als das ohnehin schon überragende jeweilige Studio-Pendant. Und ja, es ist trotz der Zeitstrecke der Live-Auftritte ein würdiges Gesamtkunstwerk bisherigen Schaffens. Von mir ganz klar 5 von 5