laut.de-Kritik
Es ist vollbracht.
Review von Emil DröllNach so viel Thomas Anders-Betreuung macht man sich so seine Gedanken. Warum diese furchtbaren Cover? Warum dieser hässliche Canva-Hintergrund? Und warum, um alles in der Popgeschichte, macht Thomas Anders sich selbst zum Duo? Hat man Dieter Bohlen einfach mit einem alten Thomas Anders über-photoshopt?
Und dann ist da noch die Tatsache, dass ich nachts nicht mehr schlafen kann. Warum hören Menschen das? Habt ihr schon mal vom Mere-Exposure-Effekt gehört? Menschen hören etwas, sind der Sache zunächst neutral gestimmt – und durch häufiges Wiederhören wird die Wahrnehmung immer positiver. So langsam vermute ich einen teuflischen Plan hinter den insgeheim nie zerstrittenen Bohlen-Anders-Schurken, die uns Modern Talking einfach so lange vorspielen wollen, bis wir es gut finden. Und es funktioniert. Thomas Anders' Coverreihe ist so schrecklich, dass sie wie eine Wohltat wirkt – nämlich dann, wenn man danach die originalen Alben hört.
Aber gut. Genug der Grübeleien. Es ist vollbracht. Vor 38 Jahren haben sich die beiden Modern Talking-Dinosaurier zerstritten – und damit unbewusst das Ende dieser Coverorgie besiegelt. Die Reihe "Thomas Anders Sings Modern Talking" ist nun an ihrem Ende angelangt – und ich bin müde. Nicht nur, weil ich in den letzten Monaten mehr Thomas Anders auf Neo-Schlagerbeat gehört habe, als jeder Mensch sollte, sondern auch, weil ich jetzt weiß, was musikalische Resilienz bedeutet. Meine, nicht seine.
Anders knöpft sich auf "...Sings Modern Talking: In The Garden Of Venus" – mal wieder – alle Songs des originalen Albums vor, dichtet zwei eigene dazu, serviert das Ganze in seiner gewohnt schrecklichen Version, klatscht es dann noch einmal in "The Mix", der den Schrecken lediglich vervielfacht, und legt als Add-on auch noch Instrumentals obendrauf. Dabei kommen natürlich gerade die im Original gar nicht mal schlechten Tracks besonders schlecht weg: "Don't Let It Get You Down" hat alles verloren, was einst an gutem Flair vorhanden war. "It's Christmas" schürt nur die Angst, dass Anders tatsächlich irgendwann noch ein Weihnachtsalbum veröffentlichen könnte. Und "Don't Lose My Number" klingt in diesem Zusammenhang fast schon wie eine Drohung. Wir sollten Thomas Anders nicht vergessen. Denn er wird uns auch nicht vergessen. "Slow Motion" macht Anders leider gar nichts – alle Songs klingen, als hätte jemand den Speed-Up-Button mit Tesafilm fixiert. Und bei den Bonus-Tracks demonstriert Anders mit "In The Garden Of Venus" und "Boulevard Of Broken Dreams", dass man selbst beim Benennen von Restposten noch nach unten überraschen kann.
Mit diesem letzten Coveralbum beschließt Thomas Anders sein Projekt, die Popgeschichte in Watte zu wickeln. Und während die Arrangements so glatt sind, dass selbst Dieter Bohlen darauf ausrutschen würde, stellt sich immer noch die Frage: Warum hören Menschen das noch? Die einfache Antwort wäre: Weil sie es können. Die ehrlichere: Weil sie es brauchen.
Thomas Anders bedient ein Bedürfnis, das Spotify-Playlists niemals stillen können – die Sehnsucht nach einer Welt, in der alles verständlich, sanft und ein bisschen klebrig ist. Wenn er "In 100 Years" singt, klingt das nicht nach 80er-Jahre-Ekstase, sondern nach einem Sonntagnachmittag zwischen Filterkaffee und Butterkuchen. Das ist kein Zufall. Das ist Deutschland.
Pop auf Schlager – oder was immer das hier sein will – ist weniger Musik als vielmehr emotionale Hausmannskost. Es schmeckt nicht aufregend, aber man weiß, was man bekommt. Und während der Rest der Popwelt ständig neue Geschmacksrichtungen ausprobiert, serviert Anders seit Jahrzehnten die immer gleiche Vanillesoße – und seine Fans danken es ihm. Denn wer sich an Thomas Anders hält, kann wenigstens nicht enttäuscht werden. Es gab ja nie Erwartungen.
Vielleicht ist das die heimliche Genialität dieser Reihe: Sie zeigt, dass Popkultur in Deutschland kein Garten der Venus ist, sondern ein Schrebergarten. Ordnung, Sauberkeit, kein Risiko. Der Rasen darf kurz sein, aber bitte gleichmäßig. Und irgendwo zwischen Synthesizer-Flöten und Schlager-Kitsch sitzt Thomas Anders, lächelt mild – und singt weiter, als hätten Modern Talking nie aufgehört.
Ich ziehe meinen Hut – aus Erschöpfung, nicht aus Bewunderung. Denn wer es schafft, so viele Alben mit so wenig Leidenschaft zu veröffentlichen, hat etwas erreicht, das man fast schon ästhetische Sturheit nennen könnte.


9 Kommentare mit 13 Antworten
Das wars. Das besiegelt den Deal. Ich bin kein Laut.de Leser mehr. Ich bin Laut.de Leser seit 2021 .Ich werde diese Seite nie wieder besuchen. Ich werde Leser von Pitchfork, wo sie tatsächlich Daniel Caesar Alben reviewen( auch wenn die Bewertung nicht so ist, wie es das Album eigentlich verdient hätte)
Finde ich gut. Gerechtigkeit! March on, brother!
marlonoq, kurz noch, bevor du gehst: haben die bei Pitchfork damals ZEITNAH bzw. ÜBERHAUPT das vorletzte Album (Raw Data Feel) von Everything Everything besprochen? Ich frage für einen ebenfalls Abwanderungs(-un-)willigen.
Wtf??
https://pitchfork.com/reviews/albums/every…
Das jüngste Album haben sie aber gar nicht besprochen, laut aber schon.
Von daher zeigen wir uns lieber dankbar für diese laut'sche Bußeleistung und hüllen den Mantel des Schweigens über das mehrzackige Hipster-Schmierblatt.
Ich finde die Reviews bei denen richtig gut
Wann kommt denn nun die länger versprochene Review zum Daniel Caesar Album?
Ist das irgendein Insider, den ich nicht verstehe?
Das ist kein Insider, das ist eine Massenbewegung!
Hast Du marlonoq gerade adipös genannt, Gleep?
Daniel Caesar Review hier:
nicht so pralle
Wolltest du mich gerade süßer Spatzi nennen, hast dich dann aber doch nicht getraut, Duri?
Jesus, nehmt euch ein Zimmer
Das Label rechts oben auf dem Cover bedeutet, dass The KLF dahinterstecken, nicht wahr?
Wohl eher "In the Garden of Anus", weil die Scheibe komplett für'n Arsch ist.
THOMAS ANDERS … sings Modern Talking: MAGIC The Long Versions
Gibt es in zwei Wochen als Black Friday Vinyl. Wenn noch wer was für die Liebsten sucht.
in a gadda da venus honey
don't you know that i'm loving you