laut.de-Kritik
Human After All.
Review von Franz MauererLange nichts mehr gehört von Daft Punk, und wenn, dann von Thomas Bangalter. Die eine Hälfte der auf etwas krude Art aufgelösten Franzosen legt mit "Mythologies" das erste Post-Trennung-Solowerk vor. In den Fußstapfen von Daft Punk geht es sich beschwerlich, also durchaus verständlich, dass Bangalter es vorzieht, in fremde Gefilde auszugreifen. Die Reise führt ihn in die Klassik, genauer gesagt in die Ballettmusik. Die untermalt, der Name ist Programm, Ballett. Insofern stellt sich die Gebrauchsmusikfrage, vulgo "steht das eigentlich für sich selbst?", natürlich ein wenig, aber bei Klassik wollen wir darüber hinwegsehen, schließlich ist die Erfindung für sich alleinstehender Klassikmusik eher eine Sache der Neuzeit.
Nachdem wir das aus dem Weg geräumt haben, stürzen wir uns in "Premiers Mouvements". Dort wird auch gleich klar, dass Bangalter, Sohn einer Balletttänzerin, sich kundige Hilfe suchte: das Orchestre National Bordeaux Aquitaine. Das ist nicht Paris, mit einem deutschen Provinzorchester allerdings auch nicht zu vergleichen. Das ONBA hat als Symphonieorchester eine stolze Geschichte und dient nicht zuletzt als Begleitorchester auch der Ballettstücke der Opéra Nationale de Bordeaux. Dieses hat (nach Paris, wie immer in Frankreich) seit vielen Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten den allgemein anerkannten zweiten Rang im Ballett von Gottes Lieblingsland inne. Wir sprechen hier also von Experten unter der Führung von Romain Dumas, die sich von Bangalters Ruhm in anderen Genres vermutlich nicht so leicht blenden lassen.
Wo wir dabei sind: Das zugehörige Ballett choreographierte Angelin Preljocaj, der langjährige Chef des Pavillon Noir. Preljocaj könnte einem ein Begriff sein, da er hin und wieder in kleineren Städten gastiert, wo er verblüffte Feuilletonredakteure und glühende Anhänger hinterlässt – zurecht. Der Mann ist für Ballett ungefähr das, was Houellebecq für die europäische Literatur zumindest einmal war, und deklassiert mit seiner Improvisationsfreudigkeit regelmäßig en passant den großen Rest seiner Kunst. Dem geneigten Leser sei sein "Snow White" auf Youtube zur ersten Ansicht empfohlen. Auch er also jemand, der seit vielen Jahren fest im Sattel sitzt und seine Kunst kennt.
Und dieser Gedanke, der lässt einen nicht mehr los, quer durchs Album, weshalb wir ihn später wieder aufnehmen wollen. Zunächst aber endlich in die "Premiers Mouvements": Wie im Ballett üblich wird der Zuschauer etwas in die Vorführung hereingelockt und durch eine gewisse Zaghaftigkeit eine Grundstille im Saal eingeführt, bevor das stellenweise durchaus wuchtige Werk den Raum abmisst. Ein sehr gelungenes Stück, das gerade zum Ende hin viel Sehnen und aber auch Erwartung vorwegnimmt. Das Stück selbst handelt von griechischer Mythologie und hat eher Medley-Charakter; die große, epische und pathetische Geschichte ist hier nicht zuhause.
Symphonieorchester und Streamingdienste sind meist so eine Sache, leider macht "Mythologies" da keine Ausnahme. Schwierig ist die Umsetzung, klar, aber das muss besser gehen. Oft klappen auch auf guten Anlagen Dinge weg oder gehen unter, die es an der Stelle offenkundig nicht sollten, und die Streicher bringen die Tonabnahmekapazitäten der Aufnahme des Öfteren an ihre Grenzen. Ich habe meine Zweifel, dass das Resultat auf LP sehr viel besser ausfällt, da häufig Aufnahme und Mixing die Hauptschuldigen zu sein scheinen.
Das schmälert den Hörgenuss durchaus, allerdings nicht über Gebühr, und ist irgendwo nun mal ein notwendiges Übel, will man nicht nach Bordeaux jetten und viele französische Euros für den Zutritt zur Opéra ausgeben. "Mythologies" entschädigt einen auch zur Genüge, durch sein verspieltes, quasi durchgehend freundliches Wesen. Zuweilen fühlt man sich – und das ist ausschließlich positiv gemeint – an frühe Disney OSTs erinnert. Zu "Les Amazones" könnte auch Bambi durch den Wald brechen, bevor es vorsichtig die Wiese beschnuppert, um dann ihren Cousins nachzutoben. "Le Catch" ist ein weiteres Beispiel dieser Spielfreude, die überdies mit Stücken wie "Thalestris" und "Arès" aber auch gekonnt Wucht entfaltet.
Ganz Ballett-ungewohnt wird es selten. "Le Minotaure" glänzt und man kann sich förmlich vorstellen, mit welcher Freude die Tänzerinnen und Tänzer bei diesem Tom Waits-esken Stampfer über die Bühne fegen, bevor eine schlicht wundervolle Violine den Song über viel zu kurze drei Minuten beendet. "Mythologies" ist eine rundum gelungene Ballettuntermalung; sie ist sogar so gut, dass man weit weg von der Bühne sich dieselbe und ihre Akteure ausmalen kann.
Das ist ein großer Erfolg für Bangalter, der in der Komposition alles umkrempeln musste, was er bislang tat. Dafür bedient er sich eifrig in der reichen historischen Sammlung der Klassik, von Mussorgsky über Barber bis Smetana; das geht allerdings nie bis zur Kopie, man erkennt jedoch Phasen und Versatzstücke und Kniffe durchaus wieder. Das ist jedoch legitim und diese Herrschaften taten es ebenfalls allesamt. "Mythologies" ist nun mal ein Anfängerwerk und für den Musiker Bangalter ein gewagter, gelungener Schritt. Die Klassik selbst bringt es aber nicht voran. "Mythologies" Aufgabe ist vermutlich darin erfüllt, eben durch den niedrigschwelligen Zugang, den es zur Klassik bietet, dieser neue Hörerschichten zu erschließen. Der Medley-Charakter der Choreographie verleitete natürlich förmlich auch zu einer solchen Herangehensweise auch in der Musik.
Dass Bangalter es mit den Mitteln der Klassik nicht geschafft hat, "Mythologies" über das Level "nur" sehr guter Ballettmusik hinauszuheben, ist nicht verwunderlich und war bei allem Respekt vor seinem nachgewiesenen Genius kaum zu erwarten. Aber wo hört man hier den Musiker Bangalter, die eine Hälfte von Daft Punk? Was gibt er der Ballettklassik neu hinzu, welchen neuen Impuls? Diese Frage muss nicht unbeantwortet bleiben, sie erschließt sich aber eher nur dem Kenner. Dumas, der Dirigent, beschwerte sich zum Beispiel, dass die Struktur in "Zeus" für ein Orchester so kaum zu bewältigen war. Dem Klassikkenner erschließt sich wieso, obgleich sich diese Passage gar nicht besonders anhört: Orchester hassen Repetition. Sie ist technisch fordernd und anspruchsvoll, insbesondere mit den kleinen Mikroänderungen, die Bangalter in diesem ausgezeichneten Track eingebaut hat. "Circonvolutions" wäre ein weiteres Beispiel, gegen das man auch beim besten Willen nichts Schlechtes sagen könnte.
Das ist allerdings für alle nicht neu, die den Namen Glass schon einmal hörten. Abgesehen von diesem hin und wieder durchblitzenden Faible für Repetitionen verharrt "Mythologies" auf einem Musikverständnis des 18. Jahrhunderts. Das ist nicht per se verwerflich, man wundert sich aber schon, weshalb einer der erfolgreichsten Musiker unserer Zeit nicht mit dem Anspruch antritt, die Klassik etwas aufzurütteln. Dass Bangalter das nicht versuchte, ist der einzige, wenngleich schwerwiegende, Vorwurf, den man "Mythologies" machen muss. Die Wahl seiner Mitstreiter scheint im Nachhinein als Omen für seine zu konservative Herangehensweise. Es nötigt einem aber ehrlichen Respekt ab, mit welcher Klasse (die des ONBA sei hier auch erwähnt) er diese Aufgabe wahrnahm, und nicht zuletzt könnte so mancher Komponist sich ein Beispiel daran nehmen, wie gelungen Bangalter den Hörer bei jedem neuen Stück immer wieder mitnimmt. Langeweile ist "Mythologies" fremd, das dürfte auch dem bekennenden Klassikbanausen so gehen.
10 Kommentare
Ballettuntermalung, Symphonieorchester - bangt null, alter!
ist das Daft Punks "Lulu"?
Er ist zwar schon 48, aber immerhin ist er noch im Bangalter.
Dieser Kommentar wurde vor einem Jahr durch den Autor entfernt.
Das Künstleralias von laut.de-Autor Matthias Bossaller.
Klingt irgendwie nach einem Andrew Lloyd Webber/Debussy-Mix. Obwohl Monsieur Bangalter bei mir einen lebenslangen Bonus hat, bin ich nincht so richtig überzeugt.