laut.de-Kritik
Drei Girlbosses in der Midlife-Crisis machen sich für Dr. Luke zum Affen.
Review von Mirco LeierWenn es 2021 zwei Dinge gibt, die das Internet liebt und dazu treibt, sämtliche Kommentarspalten mit Hasstiraden in Brand zu setzen, dann sind es Industry Plant-Vorwürfe und feministisches Songwriting. Schlecht für die Tramp Stamps also, dass sie beides mit sich brachten, bevor sie überhaupt ihre erste offizielle Single veröffentlichten. Ernsthaft, was diese drei Mädels aus Nashville in den letzten Monaten über sich ergehen lassen mussten, sucht in den Shitstorms der letzten Jahren seinesgleichen. Auch diese EP fiel dem kollektiven Witz, den sich das Internet aus den Tramp Stamps machte, zum Opfer. Eigentlich sollte sie schon vor über einem Monat erscheinen, aber die Band zog in Erwägung, dass ein Release, kurz nachdem sie die Tumblr-Community dazu trollte, ihren (unwissenden) Support für Pädophile auszusprechen, vielleicht nicht der beste Moment für ihr großes Debüt wäre.
Als Tik Tok-Band, die sich mit jedem edgy Song-Cover mehr mit der Einstellung und Sprache von Communities anbandeln wollen, von denen sie nicht den Hauch einer Ahnung haben, rannten sie mit dem Tempo eines mit Red Bull gedopten Usain Bolt ins offene Messer. Das vermeintliche Totschlagargument "Industry Plant", mit dem die Tramp Stamps seit Stunde 0 abgestempelt werden, ist jedoch ebenso schwachsinnig wie irrelevant.
Der Kern des Problems hinter dieser Girlgroup liegt an anderer Stelle. Denn diese drei junggebliebenen Riot Grrls in ihren Dreißigern sind vielleicht der größte Griff ins Marketing-Klo, seit sich Social Media zu einem ernstzunehmenden Vehikel für selbiges entwickelt hat. Da hat sich irgend ein besonders cleverer A&R gedacht: "Mensch, die Zoomer fahren ja wieder ganz schön auf diesen Pop-Punk-Scheiß ab, und Feminismus und die Regenbogen-Buchstabensuppe ist ja auch gerade Mode, wird Zeit, dass wir unser eigenes kunerbuntes Girlboss-Flaggschiff ins Rennen schicken".
Dieses Flaggschiff entpuppt sich als nach Mischbier und Tequila stinkende Nussschale, die bereits vor der Ausfahrt aus dem Label-Hafen mit so viel Gülle beworfen wird, dass sie untergeht, ehe sie die weiße Fahne hissen kann. Denn es hilft natürlich nicht, wenn die die Musik das ohnehin nicht mehr zu rettende Image der Tramp Stamps an Authentizität nochmals unterbietet.
"We Got Drunk And Made An EP" ist das, was sich konservative Incels unter Feminismus und Frühpubertierende unter Punk vorstellen. Über sechs Songs kalibrieren Marissa Maino, Caroline Baker und Paige Blue ihren unapologetischen Moralkompass, der beim Kotzen auf die eigenen Schuhe anfängt und seltsam-übergriffigem Sexualverhalten aufhört. Nebenbei versuchen sie noch, dem weißen Hetero-Mann gehörig ans Schienbein zu treten und stolpern dabei über ihr eigenes.
Im Kern ist diese EP eine Bühne für drei Mädels in einer verfrühten Midlife-Crisis, die mittels unsäglich schlecht geschriebener Songs das verrückte Highschool-Leben ausleben, das sie nie hatten. Man bekommt dabei aber nie das Gefühl, dass die Tramp Stamps sich genuin für den Kitsch und den Pomp dieses Genres interessieren. Vielmehr wirkt es so, als hätte jemand einmal zu oft das "Complicated"-Musikvideo gesehen und die drei Mädels mitten während des Mittagessen ihren trauten Eigenheimen entrissen, in den nächsten Hot Topic geschleift und mit der konzentrierten Edginess aus vier Staffeln American Horror Story injiziert.
Es ist nicht so, dass die Intention der Tramp Stamps grundlegend lächerlich oder falsch wäre, es ist die ungelenke Umsetzung, die jene Intention zur Parodie ihrer selbst verkommen lässt und wahrscheinlich endgültig den Sargnagel für die gerade erst angelaufene Karriere der Gruppe bedeutet. Dabei bewegt sich die EP instrumental nicht einmal allzu weit hinter den genre-typischen harmlosen Standards, selbst in den Melodien von Songs wie "I'd Rather Die" oder "1-800-miss-ur-guts" steckt durchaus Potential.
Doch jedes Mal wenn man geneigt ist, ungläubig mit dem Kopf im Takt zu nicken, schicken einen Textzeilen wie "Just a tumblr girl and a skater boy" mit der Kraft eines Klitschko-Kinnhakens wieder auf die Matte. Und jedes Mal wenn man sich wieder aufrappelt, folgt der nächste. "When I say hanging out, I mean fucking around / And not only in the bed, but on every couch" - Pow! Voll auf die Zwölf. "We met in science class / You didn't try to grab my ass / So we made friends" - Das gibt'n blaues Auge. Und zu guter letzt- "I'd rather die, than hooking up with another straight white guy"- der erlösende Knock Out.
Nichts davon liest sich besonders angenehm, geschweige denn ernstzunehmend. Wo sich der ekelhafte, pelzige Beigeschmack dieser EP jedoch erst in seiner vollen Unerträglichkeit entfaltet, ist einmal mehr in den schwammigen Hintergründen der Band. Denn das Industry-Backing für das sie so oft kritisiert wurden, kommt nicht von irgendwoher, sondern von einem gewissen Dr. Luke, dessen Verurteilung für den ihm zur Last gelegten sexuellen Übergriff immer noch aussteht. Gräbt man noch etwas tiefer, findet man beispielsweise Tweets, in denen ein Bandmitglied ihren Support für Trump ausspricht. Das ist nur bedingt mit dem Girlboss-Motto der Tramp Stamps vereinbar und zieht nicht nur die Authentizität ihrer Musik, sondern auch die ihrer eigentlich unterstützungswürdigen Ideale noch weiter ins Lächerliche.
Dass die Tramp Stamps nach diesem Debakel die Chance auf eine erfolgreiche Karriere wahren können, scheint fast unmöglich. Nichts desto trotz wird ihre Geschichte und in der Folge vielleicht auch diese EP als eines der größten Paradebeispiele für katastrophales Marketing und den absoluten Disconnect zwischen der Industrie und ihren Konsumenten in die jüngeren Geschichtsbücher eingehen. Auch wenn die bodenlos schlechte Musik eigentlich nicht einmal diese peinliche Ehre verdient hätte.
5 Kommentare mit einer Antwort
Weiß nicht, was ihr habt. Ist doch total gut.
Lieber Mirco (für den Namen kannst Du ja wohl nichts),
wie stolpert man/frau über sein Schienbein?
Frei nach Loriot: "Das Bild hing schief."
Im übrigen geht die Kombination von Punkrock und Autotune natürlich gar nicht.
Die Texte kommentier ich nicht....aber ein für Europäer unverständlicher Akzent wäre wirklich angenehm...
Also sich als feministische Band zu verkaufen und dann so eng mit Dr. Like zusammen zu arbeiten kommt schon einer Verhöhnung des Feminismus gleich.
Jedenfalls sollten wir diese Gruppe nicht allzu sehr Haten. Nicht dass die sich später noch aus dem Hate eine Art Karriere aufbauen können.
"Nicht dass die sich später noch aus dem Hate eine Art Karriere aufbauen können." Genau das wird der Plan gewesen sein.
Gerade beim Song "I Rather die" wird ja wirklich nur auf billigste Weise versucht eine gewisse konservative Bubble zu triggern. Aber an den Aufruf zahlen merkt man ja, dass das eher so mäßig funktioniert hat.
hilfe...
musik ist tot!!!
Das Problem ist wirklich primär die Tatsache, dass pseudo-edgyer Feminismus zu Marketing- und Profilierungszwecken missbraucht werden. Das wäre ja nicht so schlimm, machen ja genug Leute, nur ist es in diesem Fall selbst für die extremsten Feministinnen offensichtlich, dass das nur eine Masse ist. Und ansonsten gilt dasselbe wie bei Sookee: Musik mit ideologischer und politischer Botschaft schön und gut, aber dann sollte der Fokus hauptsächlich auf der Musik dabei liegen. Ansonsten kann man auch ein Buch schreiben.
"We Got Drunk And Made An EP" - Nein, ihr arbeitet seit Jahren in der Musikindustrie und habt Kontakte zu den einflussreichen Personen. Das Album ist primär am Whiteboard entstanden, nicht im Proberaum.