laut.de-Kritik
Justin Vernon macht derzeit einfach nichts falsch.
Review von Josef GasteigerJustin Vernon ist der Musikgemeinde ein fixer Begriff als bärtiger Barde, der Autotune in den Folk brachte, Kanye dessen Indie-Cred und allen anderen zwei bärenstarke Alben. Mit Volcano Choir erhebt sich nun eines seiner vielen Nebenprojekte aus der Versenkung mit dem Anspruch, die Lücke der pausierenden Hauptband zu füllen.
Volcano Choir besteht neben Vernon aus der instrumentalen Postrockband Collection of Colonies of Bees. Auf beiden Seiten des Atlantiks kaum mehr als eine Randnotiz des öffentlichen Auges, arbeiteten sie schon mit Vernon zusammen, bevor dieser sich in die Waldhütte zurückzog und dort Bon Iver ersann. Seit dem daraus resultierenden ambitionierten, aber auch teilweise kopflosen Volcano Choir-Debüt "Unmap" gingen vier Jahre ins Land. Statt kollektiven E-Mail-Bastelstunden sei man nun mehr strukturierter und songorientierter unterwegs, hieß es vorab.
Nun sind auf "Repave" acht Songs zu finden. Keiner unter vier, nur einer über sechs Minuten. Hier nimmt sich jemand Zeit für Entfaltung. Aber trotz allen Eigenständigkeitsansprüchen – die Mehrheit entdeckt diese Band wahrscheinlich aufgrund Justin Vernon und seinen bisherigen Leistungen. Insofern klopft man Volcano Choir natürlich auf Ähnlichkeiten zu Bon Iver ab. Und im Vergleich zu seinem Bluesrock-Projekt The Shouting Matches sind die Unterschiede diesmal gar nicht einmal so groß.
Weniger folkig, auch keine Pauken, Trompeten oder Elektronik mehr, dafür viele ineinandergreifende Gitarren und Klavier und eine etwas kantigere Produktion. Dafür: Großangelegte Klanglandschaften, explodierende Arrangements und eine Wagenladung an Textzeilen, die man vor lauter Perfektion des Momentes rausbrüllen möchte, bis die letzte Luft die Lungen verlässt. Musik für sternenklare Himmel, für zugeschneite Berggipfel, für erste Sonnenstrahlen allein auf hoher See.
Von der bedächtig gezupften Gitarre, die sich im Opener "Tiderays" über ein Orgelbett räkelt, bis hin zum krachenden Loop-Finale von "Almanac" schaffen es Volcano Choir, den Hörer in ihre Welt zu entführen, ihn in die Mitte des kristallklaren Sounds zu setzen und regelmäßig Wellen purer, hymnischer Intensität auf ihn loszulassen. Etwa bei dem cineastischen Doppelschlag "Comrade" und "Byegone", die sich jeweils als leichte Brise zusammenfinden, nur um als perfekt orchestrierter Sturm niederzugehen.
Ersterer hebelt mit einem frenetischen Chorus den nickenden Groove des lückenlos verwebten Gitarrennetzes aus, während ein von Vernons Falsett angeführter Chor engelsgleich klagt. Scheinbar mühelos kippt die Band mehrmals in diese Dynamiken, unmittelbar und kraftvoll.
"Byegone" hingegen ist ein Musterstück perfekt arrangierter Spannungsbögen. Schon vom Intro weg ist die Luft spürbar elektrisierend. Nach ein paar Sekunden ist man dermaßen in den Bann gezogen, dass man dem Song gar kein anderes Schicksal erlauben möchte, als in einem monumentalen Finale zu verklingen. Dass Volcano Choir solche Erwartungen auch erfüllen, macht "Repave" zu einem ungemein befriedigenden Album.
Die Collection of Colonies of Bees spielt ihre ganzen Fähigkeiten sehr unegoistisch aus und lässt Vernon den Raum, mit seinen niemals plumpen Melodien die Richtung anzugeben. Die komplexen instrumentalen Schichtungen klingen nie nach Frickelei, was von der Qualität dieser Herrschaften zeugt. Einzig bei "Keel" geben sie sich dem allzu losen und wabernden Gitarrenklirren hin, was sich nicht in das Gesamtbild einfügen möchte.
Mit "Almanac" wird aber dieser Irrweg wieder geradegebogen. Im Vordergrund steht ein treibender Synthie, darüber setzen warme Gitarren getupfte Akzente. Wenn Justin bei den ersten Refrains ins Falsett wechselt, klingen für einen kurzen Augenblick nicht nur die Vocals nach Prince. Und am Ende ruft ein verzerrter Bass Gedanken an Mogwai hervor, während sich die geloopten Gesangsspuren gegenseitig zerlegen, der weiche Geräuschteppich anschwillt und schließlich alles verschlingt.
Ein starkes Ende eines starken Albums, in dem viel Seele und musikalisches Handwerk steckt, egal welcher Name auf dem Cover steht. Justin Vernon scheint momentan nicht viel falsch machen zu können.
2 Kommentare
Für mich ne 5/5. Almanac, Acetate, Comrade und Byegone gehören zu den besten Tracks des Jahres
4/5 find ich shcon in Ordnung. Ist ein gutes Album. Justin Vernons Sachen werden im moment ein bisschen in den Himmel gehypt; nicht dass das Missverstanden wird: Er macht größtenteils großartige Musik, aber man muss mal realistisch bleiben