laut.de-Kritik
Tanzen bis zum Nervenzusammenbruch.
Review von Stefan MertlikAuf ein Genre legen sich die ungooglebaren !!! nicht fest. Das taten sie nie und damit fangen sie auch auf ihrem achten Studioalbum "Wallop" nicht an. Einflüsse aus vier Dekaden der Musikgeschichte vereinen die New Yorker auf einer Platte, die im Stehen gehört werden muss. Nic Offers Wohnung in Brooklyn diente als Keimbecken für diese tanzbare Mischung aus Dance, Punk und Funk.
"Least of my worries / Least of my cares / But I'd be lying / If I said I wasn't scared", lauten die ersten Zeilen auf "Wallop". Die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre gingen auch an !!! nicht spurlos vorüber. Schon gar nicht, wenn vor der eigenen Haustür der Gentrifizierungswahn seinen Lauf nahm. Plötzlich ergibt der Albumtitel Sinn. "Wallop" lässt sich in etwa mit "Dresche" übersetzen.
Die ernsten Inhalte, die sich wie ein roter Faden durch die Platte ziehen, lassen sich ohne Probleme ausblenden. Dafür zielen die Stücke zu sehr auf die Beine statt das Hirn. "Off The Grid" zieht mit einem stoischen Beat und einer rotzig und gemein klingenden Meah Pace in den Untergrund, "Couldn't Have Known" verbreitet mit Akustikgitarre und gepitchten Vocal-Samples gute Laune, und das vor Eingängigkeit triefende "Serbia Drums" bewirbt sich als Radio-Hit der Platte.
Rave, Grime, Trip-Hop, Synth-Pop – nennt ein beliebiges Genre und ihr werdet es auf "Wallop" in irgendeiner Form wiederfinden. Dass sich !!! in diesem Stilmix nicht verrennen, ist ein Wunder. "Mit Starkstrom und ohne Scheuklappen", heißt es treffend im Pressetext. Menschen, die alberne Floskeln wie "handgemachte Musik" gut finden, drehen hier durch.
Der talentierte Freundeskreis hatte maßgeblich Einfluss auf den künstlerischen Erfolg. Mit Gesangsbeiträgen von Angus Andrew (Liars), Maria Uzor (Sink Ya Teeth) und Glasser tragen auch die Gäste zur Party bei. Auch auf der Produzentenseite haben !!! mit Cole M.G.N. (Julia Holter), Graham Walsh (Holy Fuck) und Patrick Ford (früher schon mit !!!) auf bekannte Könner gesetzt.
Eine Schale aus Zuckerguss und ein Kern aus Granit: Wer genauer hinhört – und das sollte jeder – wird immer wieder aus der guten Stimmung gerissen. "I'm not the one who's paranoid / They always say I'm paranoid, you're paranoid / I'm not the one who's paranoid", redet sich Nic Offer in "UR Paranoid" seine seelische Krise schön. Besser ließ sich vermutlich noch nie zu einem Nervenzusammenbruch tanzen.
3 Kommentare mit 2 Antworten
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Fantastische Band! Ich habe auf allen letzten Scheiben etwas gebraucht, um mich die Dance-Disco-Schiene zu gewöhnen. Vor allem aber live ist es sehr schwer, sich auf diese Grooves nicht zu bewegen. Und gerade die sehr schrägen Nummern auf dieser Scheibe finde ich geil (z.B. UR Paranoid). Sie haben hier noch mal einen Gang hochgeschaltet und fetzen richtig!
So richtig gepackt haben die mich das letzte Mal vor 12 Jahren mit "Myth Takes". Aber bereits auf dem Nachfolger "Strange Weather, isn't it?" fand ich nur noch 2-3 Sachen wirklich herausstechend und hab sie danach komplett aus den Augen verloren.
Sind ja eh nie so die Studiomenschen gewesen, wie Laut-Bio und Ragi richtig betonen. Wenn sich also in absehbarer Zeit was günstiges live ergäbe, dann wäre ich nicht abgeneigt, mich wieder anfixen zu lassen und das aktuelle Album dann gleich vor Ort zu erwerben.
Ging mir auch so! Frusciante war großer Fan der ersten Platte, und daraufhin hab ich die ersten beiden gehört. Die war eben noch was instrumentaler, funkgitarriger arrangiert. Die danach hab ich kaum mehr gehört, dann aber allen folgenden eine Chance gegeben. Hat funktioniert!
Aber ja, live ist es oft besser, da sie auch die neuen Stücke dort klassischer mit Instrumenten spielen. Auf "Wallop" ist die Studioarbeit aber fetter und verspielter als zuletzt.
Danke für's Nachlegen, werde nun am Wochenende wohl doch ein Ohr riskieren, bevor sich die nächste Live-Gelegenheit auftut!