laut.de-Kritik

Scheiden und Sprachzerfall als Produkt von Jewlz' Imagination.

Review von

"Wir können auch Mucke machen. Aber da unsere Fans sich so lange den alten Stil gewünscht haben und unser erstes Album 'Hokus Pokus' gerade zehn Jahre alt wird, haben wir gesagt, der Nachfolger 'Abrakadabra' muss her. Wir sitzen gerade im Studio am nächsten behinderten Mutantenalbum", berichtete Shneezin im Sommer im laut.de-Interview. Von ihrer grundsätzlichen Geisteshaltung rücken die 257ers nicht ab. Doch während auf "Alpaka" noch Pop-Songs à la "Gravitacion" und "Delorean" dominierten, orientiert sich ihr siebtes Album am roheren Sound ihres Debüts.

Zur ästhetischen Rückbesinnung gesellt sich auch eine personelle. Sowohl Keule als auch 'Ehrenmitglied' Jewlz geben sich die Ehre, wobei Letztgenannter einleitend Wert darauf legt, dass es sich nur um ein Intermezzo handelt: "Sogar Keule, der Hurensohn, ist dabei. Keine Sorge, wir schmeißen ihn auch nach dem Album wieder raus." Keule beweist in "So Wie Es Immer War" gleich auch, dass ihm die absurd vulgären Texte noch immer liegen: "Meine dicke Eichel passt dummerweise leider nicht in Shneezins Scheide." Das Thema setzt sich im Laufe des Albums fort.

So verschafft "Vagina (Skit)" Jewlz den Raum, über das weibliche Geschlecht zu philosophieren: "Manchmal kommt da aber Blut raus." Schwer vorstellbar, welches Publikum sich darüber beömmeln oder am Ende damit identifizieren kann. Die 257ers ergänzen die Ausführungen ihres Kompagnons im anschließenden "Vagina" mit den Ergebnissen eigener Feldstudien: "An diesem magischen Ort werden Träume wahr. Will hier ein Häuschen haben, auch wenn die Sonne nicht oft scheint." Nur Shneezin wirkt so, als präsentiere er seinen ernsthaftesten Part auf dem Album.

Textlich zeichnet sich "Abrakadabra" vor allem durch den Zerfall der Sprache aus. Erst löst sich die Aussage auf, dann verschwindet der Inhalt und schließlich verbleiben nur noch Assoziationsketten, die sich nicht weiter um Grammatik oder Ausdruck scheren: "Wie ein dummer Person, komm' ich morgens in den Kindergarten, wird erstmal ein Hanf in meine Lunge gezogen. Achso, ich rauch' das nicht, aber ich auf das ess'." Von "Hardcore Vibes" bis "Abrakadabra" herrscht sprachliche Anarchie: "Deine Braut ist ein Saugetier, bald ist sie ausgestirbt."

Dass die 257ers eine Kinderposition einnehmen, geht zum Teil bereits aus den Titeln hervor ("Der Boden Ist Lava"). Weniger vertretbar fällt es aber aus, wenn sich die kleinen Schlingel in die "Sexdisko" verirren. Während Orgi und Arzt das Swingerclub-Szenario ganz natürlich verkörpern, trifft es bei den Essenern auf einen kindlichen Mindset: "Ein falsches Loch gibt es nicht. Ob du richtig bist, siehst du, wenn das Licht an ist." Unklar bleibt auch, ob sie sich mit recht konkreten Zeilen über das Treiben lustig machen oder es sogar ablehnen: "Immer nur ekeliger Scheiß."

Musikalisch liefert "Sexdisko" das erwartbare Electro-Instrumental. Dagegen versucht sich das Trio für "Alk Hol" an karibischen Klängen, "257 Ist Der Boss 2019" an Sitar-Sounds und "Immer Wieder Joints" im Stil eines Fatman Scoop. Grundsätzlich klingen die Songs der 257ers diesmal deutlich roher als zuletzt. "So Wie Es Immer War" setzt auf einen minimalistischen Kirmesbeat. "Adiletten" oder "A Man Must Do What A Man Do Must" klingen so, als ob die zuständigen Beatbastler nach der Toilettenpause schlicht das Interesse an der Arbeit verloren hätten.

Einzig "Autopilot" mit Sido klingt rund produziert. Bei aller Freude über den Zuspruch des Berliners hätten die Essener den Beitrag besser für ein radiotauglicheres Album aufbewahrt. Der Juror von "The Voice of Germany" bringt nicht nur den Pop-Appeal von "Ich & Keine Maske" mit, sondern verteilt erneut ermutigende Schulterklopfer an die werktätige Bevölkerung. Wer sich durch eine Arbeitswoche quält, darf am Wochenende auf Autopilot schalten. Nur Mike nimmt sich ganz aus dem System raus: "Der frühe Vogel fängt den Wurm. Ich scheiß' auf beide, weil ich Fuchs bin."

Mit "Abrakadabra" versuchen die 257ers an eine längst vergangene Zeit anzuknüpfen. Das Geheimnis hinter dem Albumkonzept geht aber vielleicht aus dem Cover hervor. Shneezin, Mike und Keule entsteigen darauf Jewlz' Kopf. So übernimmt nicht er die Rolle des Maskottchens, sondern der ganze Wahnsinn der Rapper stellt nur ein Produkt seiner Imagination dar. Folgerichtig übernimmt Jewlz auch die Abmoderation, verabschiedet Keule und bedankt sich bei den Gästen Frei.Wild, Helene Fischer und Kollegah: "In zehn Jahren machen wir 'Simsalabim' und dann ist Keule wieder dabei."

Trackliste

  1. 1. So Wie Es Immer War
  2. 2. 257 Ist Der Boss 2019
  3. 3. A Man Must Do What A Man Do Must
  4. 4. Adiletten (mit Finch Asozial)
  5. 5. Hardcore Vibes
  6. 6. Drehmaschinenstraßenabitur (Skit)
  7. 7. Immer Wieder Joints
  8. 8. Abrakadabra
  9. 9. ADAC (mit K.I.Z.)
  10. 10. Sexdisko
  11. 11. Vagina (Skit)
  12. 12. Vagina
  13. 13. Autopilot (mit Sido)
  14. 14. Der Boden Ist Lava
  15. 15. Alkoholexperte (Skit)
  16. 16. Alk Hol
  17. 17. König Hurensohn
  18. 18. Jewlz (Outro)

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